Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Im See der Provinzstadt Trenque Lauquen wurde eine mysteriöse Erscheinung gesichtet. Ein Wesen. Vielleicht ein kleiner, unterernährter Junge. Oder ein Kind, das von einem Affen großgezogen wurde. Möglicherweise könnte es sich auch um eine nicht-menschliche Spezies handeln. Sexualität unbestimmt. Eine Pflanze, ein Tier, ein Alligator vielleicht. Angeblich kann es unter Wasser atmen. Und es gibt Laute von sich. Am nächsten kommt dem Unbekannten wohl folgende Beschreibung: ein Mutant. Etwas, das jeden Tag etwas anderes wird.
Auch „Trenque Lauquen“ von Laura Citarella ist über seine insgesamt 240 Minuten immer wieder etwas anderes. Ein Mutant zwischen Detektivgeschichte, Liebesfilm, Film noir und Mysterydrama, verschachtelt als ein dreidimensionales, hypertextuelles Gebilde aus mehrspurigen Rückblenden. Es gibt in dem Film, der in zwei Teile und zwölf Kapiteln strukturiert ist, viele Vielleichts, viele Möglicherweisen, jeder Name, jede Begebenheit, jedes Ding – gelbe Blumen! – birgt ein potenzielles Geheimnis. Zentrum dieser eigenwilligen, in alle Richtungen sich zerstreuenden Verkettung ist Laura, eine Biologin aus Buenos Aires, die in einer Radiosendung über „Frauen, die Geschichte schreiben“ berichtet. Auch ist sie von einer noch unklassifizierten Pflanze besessen. So zumindest die Theorie ihres Lebensgefährten Rafael, der sich mit Ezequiel, Lauras Mitarbeiter bei einem Rechercheprojekt, auf die Suche nach ihr begibt. Denn Laura ist plötzlich verschwunden, hat nichts hinterlassen als einen Zettel, darauf die Worte: „Lebe wohl lebe wohl. Ich gehe fort.“
Ein Film, der sich im Kreis dreht
Die beiden bärtigen Männer fahren mit dem Auto durch die Gegend, machen Halt, um Menschen zu befragen, steigen wieder ein, fahren weiter, Orte oder Leute, die sie auf eine Spur bringen sollen, erweisen sich als falsche Fährten. Trenque Lauquen bedeutet „runder See“, heißt es einmal. Was wiederum ein Hinweis sein könnte auf die verschlungene Dramaturgie der Erzählung, auf das Sich-Drehen in Kreisen. Dabei ist „Trenque Lauquen“ kein Film der Bewegung im Sinne von „Action“. Vielmehr verlagert Laura Citarella, Mitglied des auf labyrinthische Erzählungen spezialisierten argentinischen Filmkollektivs El Pampero Cine (vor einigen Jahren brachte es mit dem vierzehnstündigen Gewächs „La Flor“ die Köpfe zum Schwirren) die „Ermittlungsarbeit“ weitgehend in die Sprache. Die Bilder dagegen wirken flach und nicht sonderlich lebendig, die Farben glanzlos und fahl. Als Schauplätze bleiben uncharismatische Cafés, das Auto oder das Radiostudio. Das Fehlen von Räumlichkeit und die stereotype Auflösung in Schuss/Gegenschuss bewegen sich irgendwo „unterhalb“ von oder vielmehr „neben“ Fernsehästhetik.
Diese in ihrer Reizlosigkeit fast schon wieder reizvolle Bildsprache ist der ideale Rahmen für die Ausgestaltung von Denkbewegungen, die der Film mit großer Lust am Detektivspiel betreibt. Theorien, Spekulationen und Halbwahrheiten werden in konspirativen, mit leiser Stimme gesprochenen Gesprächen geteilt. Meist passiert dabei eine Art von „Ansteckung“ oder Übertragung.
Historische Frauenfiguren sind ein Motor
Die detektivische Energie, die den Film antreibt, entfaltet sich mit jedem Kapitel mehr, die Frauen sind dabei die handelnden, aktiven Kräfte, die Männer immer ein wenig langsam und hinterher. Lauras Interesse für historische Frauenfiguren ist ein zentraler Motor, ihre Beschäftigung mit Alexandra Kollontai, russische Politikerin, Marxistin, Revolutionärin und Autorin von „Autobiografie einer sexuell emanzipierten Frau“, öffnet die Tür zu einem eigenen Erzählraum. Ein aus der lokalen Bibliothek entliehenes Exemplar des Buchs bringt sie auf die Spur einer geheimen erotischen Korrespondenz zwischen der Lehrerin Carmen Zuna und ihrem Geliebten.
Ezequiel, auf denselben Wegen wie Laura, ist von der Geschichte nun ebenfalls angefixt und stellt eigene Recherchen an, in seinen Vorstellungen imaginiert er sich selbst als den Briefeschreiber. Die bei dem gemeinsamen „Fall“ freigesetzten Energien machen auch etwas mit den beiden, die Anziehungskräfte, die in der Korrespondenz zum Ausdruck kommen, greifen auf sie über.
Lust am Spinnen von Geschichten
Mit jedem Faden, der sich scheinbar entwirrt, kommt ein neuer hinzu, kaum glaubt man einer Figur und ihrem Geheimnis näher gekommen zu sein, taucht die nächste auf, das nächste Mysterium, die nächste Spur. Und irgendwann stellt sich die entscheidende Frage: Will Laura überhaupt gefunden werden? In „Trenque Lauquen“ ist das Detektivische eine Haltung zur Welt, ein Interesse an Verknüpfungen, eine Lust am Spinnen und Erzählen von Geschichten. Es geht nicht darum, etwas aufzulösen und zu klären, sondern sich in den allgegenwärtigen Rätseln der Existenz zu verlieren.