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Filmkritik
Zu Beginn: Eine Viertelstunde ohne Dialog. Nur Bewegung, ein Fluss aus Zeit, Raum und Zeichen. Wagners Oper „Rheingold“ kommt einem in den Sinn, und wie sie zielt auch dieser Film auf nichts Geringeres als auf eine neue Mythologie. Im Zentrum steht ein Mann wie aus Stahl, voller Energie, aber innerlich fast zerrissen von der Kraft und Anstrengung, die es ihn kostet, sich selbst zusammenzuhalten. Der Unternehmer Daniel Plainview ist dieser Mann, um den sich Paul Thomas Andersons Adaption des 1927 geschriebenen Romans „Oil!“ von Upton Sinclair dreht. Daniel Plainview – was für ein sprechender Name! – will reich werden, weil er glaubt, dass sich alles andere nur auf dem Weg des Materiellen einstellt. Er sucht seine Reichtümer im Boden, mit harter Arbeit. Schweiß, Tränen und Blut sind sein Kapital, das er in den Minen des noch ein wenig wilden Westens gegen Gold, Silber und Öl eintauschen will. Erst mit letzterem, dem „schwarzen Gold“, hat er Erfolg. Er wird reich, alles andere aber verlieren. Das ahnt man von Anfang an, und „There Will Be Blood“ ist kein Film, der es darauf anlegt, zu überraschen. Sogar Plainview selbst weiß es wohl, doch er kann nicht anders, als immer mehr Öl zu wollen: Wie dem Midas der Sage alles zu Gold wurde, wird ihm alles zu Öl, das seine Seele infiziert. Man begreift rasch, dass Anderson die Geschichte eines Teufelspakts erzählt: Plainview bekommt so viel Öl, wie er will, und muss dafür alles andere hergeben. Von Anderson, dem Regisseur von Filmen, die in aller Sentimentalität doch immer optimistisch ausfallen, trotz Traurigkeit doch immer Sinn für Humor behalten, in aller Ernsthaftigkeit den Sinn für das Absurde nie verlieren („Boogie Nights“, fd 33 156; „Magnolia“, fd 34 178), hätte man einen Film von solch klassischer Wucht, von solcher Nüchternheit nicht erwartet. Ihm gelingt das, was Martin Scorsese mit „Gangs of New York“ (fd 35 802) nicht glückte, nämlich einen modernen Mythos zu erzählen, eine Fabel über den in Amerika untrennbaren Zusammenhang von Barbarei und Zivilisation. Andersons Film handelt von der Psychologie des Fortschritts, mit der der frisch eroberte amerikanische Westen kolonisiert und verwandelt wurde, von Menschen, die keinen Stein auf dem anderen lassen, deren Schöpfungswerk eine große Zerstörungskraft enthält, deren Wille zur Macht von (Selbst-)Hass gespeist ist. Er handelt von einem Menschentypus, den Nietzsche „Übermensch“ genannt hatte – Plainview ist in jeder Hinsicht kein Einzelfall, sondern eine repräsentative Figur. So gesehen, enthält „There Will Be Blood“ einen geschichtsphilosophischen Kern. Der symbolische Einsatz der Flüssigkeiten Blut und Öl fragt auch nach ihrem Verhältnis zueinander: Wann und um welchen Preis ist man bereit, das eine fürs andere zu opfern? Unter welchen Umständen wird Leben nicht mehr als absoluter Wert anerkannt, sondern relativ zu anderen Werten gesetzt? Der Film folgt Plainview über Jahrzehnte, erzählt, dass der Mann einen Sohn hat, aber keine Frau, und wie Täuschungen ihm erst zum Aufstieg verhelfen, er aber dann selbst enttäuscht wird. Andersons Film ist eine nahezu klassische Tragödie, nicht nur die einer Figur, sondern auch die Tragödie Amerikas, die hier jenseits politischer Aktualität thematisiert wird. Es geht um eine Mentalität; um eine Männerwelt aus Gott und Machismo, Einsamkeit und Gier – eine Weltsicht, die keine Skepsis zu kennen scheint und deren Pragmatismus von blindem Sendungsbewusstsein getragen wird. Der Film, der George Stevens’ „Giganten“ (fd 5 516)“ ebenso nahe steht wie der Romanvorlage, erzählt genau davon; und weil er bei allem Willen zum Klassischen ganz und gar ein Film unserer Zeit ist, spiegelt er das, wovon er erzählt, zugleich wieder: Anderson will merklich ein epochales Werk abliefern, und der schiere Mut, mit dem er nicht davor zurückscheut, sich an „Citizen Kane“ (fd 10 261) zu messen, nimmt für ihn ein. Es braucht vielleicht noch Zeit, um zu erfassen, ob ihm dies geglückt ist oder ob man doch bloß einem ästhetischen Trick aufsitzt; denn es ist schon augenfällig, wie hier jedes Bild auf Größe schielt und die Botschaft des Epischen, Schicksalhaften verbreitet. Trotzdem: Mit diesem Film gelingt Anderson ein weiteres Meisterwerk, großartiges Kino und einer der wichtigsten Filme der letzten Jahre.