- RegieEliza Kubarska
- Dauer86 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 12
Vorstellungen
Filmkritik
Das Verschwinden eines Menschen hat das Kino schon immer gereizt. Für Kriminalfilme ist das offensichtlich, doch auch dokumentarische Formen spüren derartigen Geheimnissen gerne nach. „Searching for Sugar Man“ war so ein Film. Malik Bendjelloul machte sich darin auf die Suche nach einem Singer-Songwriter aus den 1970er-Jahren und konnte den totgeglaubten Sixto Rodriguez schließlich aufspüren.
Auch die Regisseurin Eliza Kubarska nimmt sich in „The Last Expedition“ einer verschwundenen Person an. Was ist mit Wanda Rutkiewicz passiert, die im Mai 1992 am Kangchendzönga in Tibet verschwand? Das Schicksal der polnischen Bergsteigerin und ersten Europäerin, die den Mount Everest bestiegen hatte, fasziniert viele. Wobei „mysteriöses Verschwinden“ zunächst erklärungsbedürftig klingt. Schließlich ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Mensch beim Besteigen eines Achttausenders verschwindet; das Klettern in solch eisigen Höhen endet für ein gutes Drittel der Teilnehmer tödlich.
Tödlicher Absturz oder Flucht ins Kloster
Bei den Bergen Annapurna und dem Kangchendzönga liegt die Rate noch höher. Sie gibt der Annahme eine gewisse Glaubwürdigkeit, dass Wanda Rutkiewicz dort verstorben ist, ähnlich wie etwa Reinhold Messners Bruder Günther 1971 am Nanga Parbat. Doch während Messners sterbliche Überreste in den 2000er-Jahren geborgen werden konnten, fehlt von Rutkiewicz jede Spur. Das ist in dieser Umgebung kein Wunder. Trotzdem bietet es genügend Anlass für die Vermutung, dass Rutkiewicz vielleicht in ein buddhistisches Kloster entschwunden sein könnte. Andere Frauen aus dem Westen haben das schließlich auch so gemacht. Ihr Tourgefährte Carlos Carsolio scheint davon nicht überzeugt zu sein. Er macht sich schwere Vorwürfe, dass er sie damals nicht zum Umkehren überredet hat.
Der Film setzt gelegentlich Sitar-Musik ein und stützt sich auf Talking Heads und Texttafeln, was zunächst konventioneller klingt, als es ist. Für Buddhisten ist der Kangchendzönga ein heiliger Berg, den man nicht betreten darf. Für Wanda Rutkiewicz aber war er nur eine Etappe auf ihrer „Karawane der Träume“. Als erster Mensch überhaupt wollte sie alle vierzehn Achttausender im Laufe eines Jahres erklimmen. Ein aberwitziges Unterfangen.
Regisseurin Kubarska ist selbst professionelle Bergsteigerin. Sie schafft es, viele Weggefährten von Rutkiewicz vor die Kamera zu holen – Kollegen, Freunde, einheimische Nepalesen – und dabei auch die seltsamen Rivalitäten unter den Extremsportlern herauszuarbeiten. So zweifeln manche polnischen Kollegen Wandas Gipfelbesteigungen an.
Polen lag die allermeiste Zeit von Rutkiewicz’ Leben hinter dem Eisernen Vorhang. Die Reisen in den Himalaya waren nicht ohne weiteres möglich. Der Film spart die politischen Vorzeichen aus. Er setzt vielmehr auf die Aufzeichnungen der Bergsteigerin und erstaunlich viel Archivmaterial – vornehmlich unscharfe graue Aufnahmen aus Polen während der Ostblock-Zeit, die durch ihre Patina aber faszinierend anzuschauen sind.
Ein Leben voller Herausforderungen
Es ist kein glückliches Leben, das hier erzählt wird, was einen interessanten Kontrast zu den Heldengeschichten früherer Bergfilme markiert. Rutkiewicz’ Bruder starb kurz nach dem Zweiten Weltkrieg durch eine Mine, ihr Vater wurde ermordet. Wanda erscheint als eine wagemutige, bemerkenswert offene Frau. Man erfährt von ihrem wechselhaften Liebesleben, dem späten Wunsch nach einem Kind, dem Tod ihres Lebensgefährten am Berg. Die titelgebende „letzte Expedition“ steht dabei gar nicht im Fokus. Dafür kommen Menschen aus dem Volk der Sherpas, die seit Hillarys Erstbesteigung des Mount Everest zum Synonym für Edelhelfer geworden sind, ausführlich zu Wort. Die altmodische Konnotation als treue Helfer heldenhafter weißer Bergsteiger bricht der Film auf.
Trotz ihrer Erfolge lernt man Wanda Rutkiewciz als Außenseiterin in der Community der Bergsteiger kennen. Kubarska erzählt nicht nur vom alpinistischen Wettbewerb, der bis heute von Männern dominiert wird, und dass manche (polnische) Kollegen Rutkiewicz den Ruhm nicht zu gönnen scheinen. Reinhold Messner, der als erster alle Achttausender bezwang, beklagt im Film den Machismus der Szene. Man kann sich allerdings die Frage stellen, ob in der von ihm beschworenen „Kunst des Überlebens“, ob in seinem „Sterben, ohne zu sterben“ nicht auch etwas von jenem machistischen Pathos mitschwingt