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Filmkritik
Abwesend blickt Vivienne (Vicky Krieps) durch ihren unaufhörlich quasselnden Begleiter hindurch. Der sich mit besonders affektierter Aussprache von französischen Wörtern profilierende Schnösel bemüht sich sichtlich darum, sie zu beeindrucken, trifft aber nicht den richtigen Ton. Nach einer Weile lässt sie ihn deshalb wortlos sitzen. Das Risiko, das sie damit eingeht, keift der gekränkte Verehrer ihr am nächsten Tag nochmal als Drohung entgegen. Vivienne sei nicht mehr die Jüngste und werde allein und in Armut versauern.
Kurz vor Ausbruch des US-amerikanischen Bürgerkriegs präsentiert Viggo Mortensens Westerndrama „The Dead Don’t Hurt“ eine Frau, die moderner und selbstbewusster ist, als es in ihrem Umfeld schicklich ist. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn während des Monologs ihres Bewunderers träumt sie sich in ihre Kindheit in der frankokanadischen Heimat zurück. Zum Ursprung ihrer Verlustangst kommt der Film, als der Vater am Essenstisch verkündet, aus Pflichtgefühl in den Krieg zu ziehen. Wenig später hängt er tot an einem Baum, während das Mädchen zu Hause wartend in die Ferne blickt.
Nicht mehr als eine Holzhütte
Die Rückblende bereitet die Begegnung mit einem Mann vor, der nicht nur einen ähnlichen Zottelbart wie der Vater hat, sondern ebenfalls bald in den Krieg ziehen wird. Der schweigsame dänische Einwanderer Holger (Viggo Mortensen) hat Vivienne nicht mehr zu bieten als eine Holzhütte in der Ödnis Nevadas. Zwar scheint sie von seiner sanften Bodenständigkeit angezogen zu werden, aber was genau sie an ihm findet, bleibt nebulös. Die beiden lächeln sich sofort an und flirten miteinander, aber als Zuschauer beobachtet man dieses Treiben wie aus weiter Ferne.
Mortensen interessiert in seiner zweiten Regiearbeit weniger diese Liebesbeziehung als der zermürbende Zwiespalt Viviennes, ihrem Freiheitsdrang nachzugeben, sich dabei aber zugleich der eigenen begrenzten Möglichkeiten bewusst zu sein. Dass die Protagonistin gleich in der Eröffnungsszene an Syphilis stirbt und der restliche Film überwiegend in Rückblenden erzählt wird, verleiht ihr eine tragische Aura. Tatkräftig wie sie ist, beginnt sie in der benachbarten Stadt als Tresenkraft zu arbeiten und gerät an den herrisch cholerischen Weston (Solly McLeod), den privilegierten Sohn eines in der Gegend wütenden Großgrundbesitzers. Während Holger schließlich über Jahre im Krieg ist, wird Vivienne für Weston zum Freiwild.
Verloren in der Landschaft schweben
„The Dead Don’t Hurt“ wählt für seine Geschichte einen langsamen und mäandernden Erzählfluss. Die Bilder der endlos weiten, nicht nur zahlreiche Möglichkeiten, sondern auch Gefahren in sich bergenden Landschaft sind beeindruckend, aber Handlung und Figuren schweben hier mitunter etwas zu verloren herum. Nachdem Holger aus dem Krieg zurückgekehrt ist, blickt sich das ein wenig fremd gewordene Paar lange und wortlos an. Es ist zwar nicht ganz klar, was genau in diesem Moment geschieht, aber durch den sichtbaren Wechsel an Gefühlen entsteht zwischen Vivienne und Holger eine besondere Verbindung.
In anderen solcher diffusen Momente wirkt die Dramaturgie dagegen zu ungeformt. Man sieht zweifellos fähigen Schauspielern bei der Arbeit zu, aber ihre Charaktere bleiben häufig zu schwammig. Als Grund dafür, freiwillig in den Krieg zu ziehen, nennt Holger etwa lediglich die ungerechte Sklaverei. Das weist ihn zwar, im Gegensatz zu dem die Konföderierten unterstützenden Weston, als Guten aus, ist aber als persönliche Motivation für einen so radikalen Schritt zu wenig. Auch Viviennes innere Kämpfe bleiben trotz Vicky Krieps’ emotionaler Darbietung nicht greifbar genug.
Liebe, Freiheit und notwendige Kompromisse
Mit seinem impressionistischen Stil erschöpft sich „The Dead Don’t Hurt“ regelmäßig in Andeutungen. Ein ätherischer Schleier umweht die Bilder, und auch die flirrenden Klavier- und Geigenklänge auf dem Soundtrack bleiben passenderweise mehr raunend und atmosphärisch, als dass sie sich zu Melodien verdichten. Für seine dramatische Geschichte über Liebe, Freiheit und notwendige Kompromisse wirkt der Film letztlich, ähnlich wie seine gedankenverlorene Protagonistin bei ihrem ersten Auftritt, zu abwesend.