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Filmkritik
Drei Frauen und der Tod. Die von Natalie Portman gespielte Kennedy-Witwe „Jackie: Die First Lady“ (2016) gibt nur eine Woche nach der Ermordung ihres Ehemanns John F. Kennedy ein langes Interview – das die Rahmenhandlung des ersten großen Biopics von Pablo Larraín bildet. In „Spencer“ (2021) erleben wir die psychisch wie physisch labile Prinzessin Diana (Kristen Stewart) an Weihnachten 1991 auf dem Landsitz der britischen Königsfamilie in Norfolk. Ihr Unfalltod sechs Jahre später ist nicht Teil der Filmhandlung, hat aber den Mythos – und mithin auch „Spencer“ – entscheidend geprägt. Mit „Maria“, einem fiktionalisierten Porträt der griechischen Sängerin Maria Callas (1923-1977), rundet Larraín seine Trilogie über historische Frauenfiguren des 20. Jahrhunderts ab. Und fokussiert auf die letzten Lebenstage der Callas (gespielt von Angelina Jolie) vor ihrem Tod im September 1977.
Primadonnen haben viele Bühnentode hinter sich, bevor ihr reales Leben endet. Donizettis Anna Bolena wird zum Schafott geführt, Bellinis Norma geht ins Feuer, Leonora in Verdis „Troubadour“ schluckt Gift, Puccinis Tosca stürzt sich von der römischen Engelsburg. Können sich Opernsängerinnen im tragischen Fach besser auf das wirkliche Finale vorbereiten als Normalsterbliche? Tatsächlich erzählt „Maria“ von einer Frau, die ihrem nahen Tod gefasst entgegentritt. Callas, die im Alter von nur 53 Jahren am 16. September 1977 an einem Herzinfarkt starb, wird von dem britischen Drehbuchautor Steven Knight als gereifte Künstlerin charakterisiert, die sich am Lebensende die Deutungshoheit über ihre Biografie zurückholt und ihren eigenen Abgang inszeniert.
Leben und Opfer sind hier nicht zu trennen
So wird es real nicht gewesen sein. Umso überzeugender konstruiert „Maria“ eine Callas-Figur, die alle bisherigen biografischen Ansätze – seien es Bücher oder Filme – transzendiert und hinter sich lässt. (Das gilt nicht für Monografien von Stimmkennern wie John Ardoin oder Jürgen Kesting.) Ähnlich wie Terrence McNallys Bühnenstück „Master Class“ (um Callas’ Meisterkurse an der New Yorker Julliard School Anfang der 1970er-Jahre) ist auch „Maria“ als Beleg dafür zu nehmen, dass das Phänomen Callas am besten „theatralisch“ zu fassen ist – im Sinne einer zwischen Lebensrealität und Oper wechselnden Form.
In Verdis „Otello“ ist Callas nie aufgetreten, aber sie hat Desdemonas Nachtgebet 1964 für die Schallplatte aufgenommen, ganz am Ende ihrer Karriere. „Ave Maria, piena di grazia“ – „Gegrüßest seist du, Maria, voll der Gnade“. Die Stimme zum Mezzosopran heruntergedimmt, die Höhe brüchig. Und trotzdem hat keine Sängerin diesen Abschied vom Leben – Desdemona ahnt, dass Otello sie in dieser Nacht töten wird – schmerzvoll-schöner gesungen. Die Filmzuschauer hören am Beginn von „Maria“ diese Stimme, die noch im Abgesang ein Wunderwerk an Ausdruck und Kunstfertigkeit war: „Prega per chi adorando a te si prostra“ – „Bete für diejenigen, die dich anbeten und sich vor dir niederwerfen“. Während sich diese vom Leben gezeichnete, flackernde Stimme auf der Tonspur in die hohe Lage aufschwingt, sind große Momente der Laufbahn der Callas zu sehen. Wobei man sich erst daran gewöhnen muss, dass der Star auf den verrauschten Filmclips das Gesicht von Angelina Jolie hat.
Opernbetrieb als Schlachtfeld
Jolie verkörpert die alternde, tablettensüchtige und herzkranke Callas indes derart überzeugend, dass man bald nicht mehr an Schauspielerei und Inszenierung denkt. Beziehungsweise: Selbstinszenierung und Selbstschutz im Kostüm und Gehabe der Diva gehörten bei der Callas bis fast zuletzt dazu. Sie wolle gar nichts essen und trinken, hören wir die Sopranistin a.D. in einem Pariser Straßencafé sagen. Sie sitze hier, um bewundert zu werden. Callas’ Problem war allerdings, dass die Publikumsgunst schnell in Hass umschlagen konnte, wenn ihr Perfektionismus und ihre Liebe zur Musik die Sängerin zwangen, Vorstellungen abzusagen. Besonders der „Rome Walkout“ 1958 – ihr Abgang nach einem mit schwerer Erkältung durchgestandenen ersten Akt von „Norma“, bei der ausgerechnet Staatspräsident Gronchi in der Loge saß – zeitigte schwerwiegende Folgen für die Psyche der Sängerin. Das „Doppelleben“ einer empfindsamen Frau und eines unverwundbar scheinenden Bühnentiers mit dem Spitznamen „Tigerin“ spielt in „Maria“ eine zentrale Rolle. In einer ihrer Fantasien wird die abgedankte Diva von Passanten am Pariser Trocadéro bedrängt, die ihr den „Coro degli zingari“ aus Verdis „Troubadour“ entgegenschmettern. Opernbetrieb als Schlachtfeld.
Wie „Jackie“ und „Spencer“ fokussiert Larraíns Callas-Film auf einen eng begrenzten Zeitraum, in den allerdings Rückblenden und Fake-Dokumentarszenen eingeflossen sind. Die Rahmenhandlung zeigt die letzten Tage der Diva in Paris, wie sie ihre Pudel füttert und von ihrem Butler und Chauffeur Ferruccio (Pierfrancesco Favino) und ihrer Köchin Bruna (Alba Rohrwacher) umsorgt wird. Ein Beispiel für die raffinierte Montage von Bild und Ton ist eine zwischen Theaterauftritt aus der Pariser Oper – irgendwann in den frühen 1960er-Jahren – und Callas’ Küche in der Avenue Georges-Mandel wechselnde Sequenz, in der man die berühmte „Casta Diva“-Arie einmal mit und, nach einem Schnitt, ohne Orchester hört. In der Küche brutzelt zur Gesangsbegleitung nur das Omelett in der Pfanne. Köchin Bruna hat gewissermaßen das Dirigat übernommen.
Eine wohlüberlegte Musikauswahl
Doch Callas, ganz eigensinnige Diva, will sich gerade in dieser Lebensphase nicht dominieren lassen, auch wenn die Dienerschaft doch nur das Wohl des kränkelnden Stars im Auge hat. Die Pillen, die ihr nicht guttun, nimmt sie gegen Brunas und Ferruccios Rat und die Anweisung ihres Arztes (Vincent Macaigne) trotzdem weiter. Da nimmt es kaum Wunder, dass einige Gäste, die Maria in ihrem Apartment besuchen und zu Spaziergängen begleiten, gar nicht wirklich existieren. Einem jungen Reporter namens Mandrax (Kodi Smit-McPhee) gibt sie ihr letztes Interview – in ihrer Fantasie. (Mandrax hieß das stark abhängig machende Schlafmittel, dass Callas sich regelmäßig verschreiben ließ.) Traum und Wirklichkeit, das Gestern und die Gegenwart, Oper und „Ordinary Life“ fließen beständig ineinander: Eindrucksvoll, fast kitschig eine eingebildete Stand-Up-Aufführung von Puccinis „Madama Butterfly“ vor (!) der Opéra Bastille, mit kostümierten Choristinnen und einer Callas, der die Bühnenschminke im Pariser Regen vom Gesicht herunterläuft. Mit gewaltigem Aufwand hat Larraín auch bei Cherubinis „Medea“ oder Donizettis „Anna Bolena“ die entsprechenden, fotografisch überlieferten Inszenierungen mit Jolie in Callas-Kostümen nachinszeniert. Sorgfältig wurden auch die Musikstücke und entsprechenden Schallplatten-Aufnahmen ausgesucht. Ob wir in einer Szene die junge, hochdramatische Callas oder die abgeklärte, mitunter brüchige Stimme der Spätzeit hören (sie hat diverse Opern zweimal aufgenommen) – spürbar steckt viel Überlegung in der Auswahl.
Leben von der Kunst, leben von der Liebe
Mit ihrer Stimme ging es bergab, als Callas 1959 ihren Landsmann, den Milliardär Aristoteles Onassis kennenlernte; ihre Liebesgeschichte war gefundenes Fressen für den Boulevardjournalismus und fehlt bis heute in keiner Callas-Biografie. Bald nach der Begegnung mit Onassis ließ sich die Sängerin damals von ihrem wohlhabenden Förderer und Ehemann Giovanni Battista Meneghini scheiden. Letzterer spielt in „Maria“ nur einen Nebenpart, während Onassis (Haluk Bilginer) eine größere Rolle zugedacht bekommt: Hier einmal nicht primär als rücksichtsloser Macho, der Callas wie ein Schmuckstück begehrt und nach knapp zehn Jahren sitzenlässt, um mit Jackie Kennedy anzubandeln. Larraín zeigt die Callas – deren Freundschaft mit Onassis sich tatsächlich am Ende wieder vertiefte – am Sterbebett des Milliardärs. Eine bewegende Szene, die mit der tränenseligen Abschiedsmusik aus dem dritten Akt der „Tosca“ unterlegt ist.
Puccini wirkt immer! Die Sängerin mochte gerade diesen Komponisten nicht besonders, während sie Donizetti, Bellini und Verdi anbetete; dass Larraín trotzdem reichlich Puccini erklingen lässt, geht aber durchaus in Ordnung: Schließlich soll sein Film ein breites Publikum ansprechen. Und tatsächlich hat die Callas gerade als Puccinis „Tosca“ Maßstäbe gesetzt. Die stolze römische Gesangsdiva (!) Floria Tosca war ihre erste und letzte Bühnenrolle. „Vissi d’arte, vissi d’amore“ – die Arie der Tosca ist denn in „Maria“ auch ihr Schwanengesang. Sie lebte von der Kunst, sie lebte (seit Onassis) auch von der Liebe. Perfekt lippensynchron und Callas-like performt Angelina Jolie den einsamen Auftritt (Maria singt nurmehr für sich selbst und stirbt dabei), und die Tontechniker haben ein paar asthmatische Atemzüge und Huster der Schauspielerin in die 1953er-Aufnahme einmontiert.
„Maria“ ist der mit Abstand aufwändigste Callas-Film, der bisher ins Kino kam. Larraín nutzt den ganzen heute verfügbaren technischen Apparat, um Callas’ Lebensumstände und das Paris der späten 1970er-Jahre zu rekonstruieren – inklusive der Flashbacks, die bis in ihre Jugend im von Nazis besetzten Griechenland zurückreichen. Schwarz-weiß-Szenen zeigen eine junge Maria (Aggelina Papadopoulou), die von ihrer Mutter dazu gedrängt wird, vor SS-Leuten zu singen – und offenbar auch von deutschen Soldaten sexuell missbraucht wird.
„Maria“ ist keine lupenrein faktentreue Filmbiografie und will das auch nicht sein. Angesichts der vielen Pillendosen in ihrer Schublade müsste Callas weit zerrütteter sein, als Jolie sie verkörpert. Ihre Film-Callas ist eine zwar nervlich angegriffene, reizbare Frau, bei der trotzdem Abgeklärtheit und innere Reife vorherrschen. Allen Vorbehalten zum Trotz: Jolie spielt sowohl die Callas-Rolle als auch die Rollen der Callas (in deren Bühnenauftritten) hinreißend, ohne Übertreibungen und gerade deshalb tief bewegend.
Das Göttliche und das Abgründige
Callas war eine öffentliche, eine gefeierte wie geschmähte Frau. Jeder Opernabend war für sie von Euphorie und Versagensangst zugleich geprägt. Aber Maria will nicht mehr – mit Hermann Hesse – die Kerze sein, die an beiden Enden brennt. Sie will ihren Frieden mit der Welt schließen. Wo der Film der Sängerin ein Vieraugengespräch mit John F. Kennedy andichtet, wird das Thema weiblichen Empowerments vielleicht überstrapaziert. Da erklärt Callas dem US-Präsidenten, was sie von ihm als Privatmann hält: nicht viel.
Callas, souverän auch auf dem politischen Parkett? Hier nimmt „Maria“ den Mund wahrscheinlich etwas zu voll. Was die Künstlerin angeht, muss man Ingeborg Bachmann beipflichten, die sie 1956 an der Scala als „La Traviata“ erlebte: „Da steht ein gefährlicher Mensch auf der Bühne. Ein Mensch, der gefährlich sein wollte und sich selbst gefährdete, um zu ergreifen“, schrieb Bachmann, die zudem fand, dass Maria Callas „singt und spielt, als hätte sie einige Teufel und Engel in sich“. Genau das hört man im „Ave Maria“ der von Shakespeares und Verdis Konzeption her engelshaften Desdemona (deren Musik sich leitmotivisch durch den gesamten Film zieht). „Prega per chi adorando a te si prostra“: Die Callas-Stimme schwebt in himmlischen Sopranregionen. Aber es schwingt etwas Dunkles, Abgründiges darin mit, ein Lebensschmerz, den Steven Knight, Pablo Larraín und Angelina Jolie durchaus begriffen haben. Einen stärkeren Schlussakt der Frauentrilogie, die Larraín mit „Jackie“ begann und mit „Spencer“ fortführte, kann man sich kaum vorstellen.