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Filmkritik
Am Hotelpool blickt Familienvater Ben (Scoot McNairy) beeindruckt dem Fremden hinterher, der sich gerade sehr selbstbewusst eine Liege geliehen hat. Als er den Mann namens Paddy (James McAvoy) beobachtet, wie er sich ein Bier bestellt, versucht auch Ben seine Frau Louise (Mackenzie Davis) zu einem Drink zu überreden. Immerhin sind sie im Urlaub. Ihr Hinweis auf die frühe Tageszeit aber reicht, um den Plan im Keim zu ersticken.
Ein Ausflug in die Provinz
Die in London lebenden US-Amerikaner Ben und Louise lernen Paddy und seine Frau Ciara (Aisling Franciosi) kennen, weil beide Paare mit ihrem Kind unterwegs sind und Anschluss suchen. Die Unterschiede zwischen den wohlhabenden, leicht zugeknöpften US-Amerikanern und den extrovertierten, etwas prolligen Briten vom Land sind unübersehbar. Doch zumindest für den Moment lassen sich Ben und Louise von den derben Scherzen und der unverfrorenen Offenheit der beiden einnehmen.
Als die US-Familie wenig später eine Postkarte samt Einladung ihrer Urlaubsbekanntschaft erhält, stellt sich die Frage, ob die Sympathie auch für ein ganzes Wochenende reicht. Doch Ben und Louise riskieren es, nichtsahnend, dass sich ihr Ausflug in die Provinz bald in einen Albtraum verwandeln wird. Zunächst sind es nur Details: die dreckige Bettwäsche, der ruppige Umgang mit dem angeblich in Folge eines Geburtsfehlers stummen Sohns Art (Dan Hough) oder ein übergriffiger Augenblick, in dem die Vegetarierin Louise genötigt wird, ein Stück Braten zu probieren. Doch die Grenzüberschreitungen, die für sich genommen nicht unbedingt vehementen Einspruch erfordern, häufen sich. Ben wiegelt dabei notorisch ab, weil ihn seine Faszination für Paddys dominante Männlichkeit blendet. Nicht zuletzt auch, weil in seiner eigenen Beziehung Louise den Ton angibt.
Das Original und sein Remake
„Speak No Evil“ basiert auf dem gleichnamigen dänischen Horrorfilm, der um eine ebenso simple wie filmisch ergiebige Idee kreist: Was, wenn wir uns durch Höflichkeitsfloskeln und Konfliktvermeidung zunehmend in ein unlösbares Dilemma manövrieren? Regisseur Christian Tafdrup gestaltete das Szenario dabei von Anfang an so mitleids- wie hoffnungslos. Die Urlaubsbekanntschaft, hier ein holländisches Paar, ist von Anfang an suspekt. Dass sich die reservierten Dänen trotzdem darauf einlassen, hat mit ihrer angepassten, von den eigenen Sehnsüchten, zutiefst entfremdeten Lebensweise zu tun.
Tafdrup spinnt seinen zentralen Gedanken bis zum sadistischen Finale durch. Doch die didaktische Vehemenz, mit der zugange ist, degradiert die Protagonisten letztlich zu reinen Spielfiguren und verzerrt genauere zwischenmenschliche Beobachtungen zu einer Polemik über die Ohnmacht moderner Zivilisation im Anblick der Barbarei.
Der englische Regisseur James Watkins versucht sich in seinem Remake weniger an einer Nacherzählung als an einem Einspruch. Bereits im Toskana-Urlaub lässt er sich zu einer augenzwinkernden Anspielung auf das Original hinreißen, indem er ein geschwätziges dänisches Paar auftreten lässt, das von allen gemieden wird. Abgesehen davon nimmt der neue „Speak No Evil“ zunächst nur kleine, aber maßgebliche Eingriffe wie das genreuntypisch sonnendurchflutete Setting vor.
Mehr Freiraum, spannendere Feinheiten
Besonders das Verhältnis zu den Figuren ändert sich. Watkins stattet das britische Paar vom Land mit Charme und Witz aus, wodurch es nachvollziehbarer wird, dass man auf die beiden reinfallen kann. Auch sonst ist der neue „Speak No Evil“ einfühlsamer und gesteht nicht nur seinen Figuren mehr Feinheiten zu, sondern auch den Schauspielern mehr Freiraum. Besonders zwischen James McAvoy als vermeintlich gutherzigem Macho-Riesenbaby und Mackenzie Davis als zögerlich distinguierter Großstädterin entwickelt sich eine spannende Reibung.
Dass etwas auf dem Anwesen nicht stimmt, erzählt Watkins auch über die Kinder. Immer wieder versucht der stumme Ant, Bens und Louises Tochter Agnes (Alix West Lefler) Warnhinweise zu geben, die sie nicht zu deuten versteht. Indem der Film näher an die Figuren heranführt, steigert er ihre Sympathie wie auch ihre Fallhöhe. Bald kommen Zweifel auf, ob Watkins das radikale Programm des Originals wirklich durchziehen will. Und tatsächlich wandelt sich das Remake im letzten Drittel zu einem komplett anderen Film. Teilweise mag das mit der Absicht zusammenhängen, ein größeres Publikum zu erreichen, doch im Kern wirkt es eher wie ein bewusster Widerspruch gegen Tafdrups Fatalismus. So spielt ein Stein im Finale beider Filme eine entscheidende Rolle, jedoch auf unterschiedliche Weise: einmal als Symbol für Hilflosigkeit, einmal als Ausdruck einer kämpferischen Selbstermächtigung.
Formelhaftes weibliches Empowerment
Watkins befreit den Stoff von seinem Zynismus, übersetzt die spröde Erzählweise aber auch in eine recht konventionelle Genrestruktur mit dubiosen Hinterwäldlern. Einiges davon besticht mit Spannung und schwarzem Humor, etwa als die US-Familie abreisen will und den verschlagen lächelnden Gastgebern immer neue Gründe einfallen, sie aufzuhalten. Doch auch die größten Qualitäten des Vorgängerfilms werden im Remake stark verwässert: das klaustrophobische Unwohlsein, die klassenspezifischen Unterschiede, die Dysfunktionalität der Familie, die den Gastgebern schließlich in die Hände spielt. Auch Bens männlicher Minderwertigkeitskomplex wird durch formelhaftes weibliches Empowerment abgelöst. „Speak No Evil“ funktioniert über weite Strecken zwar als solider Thriller, doch dabei bleibt ausgerechnet der interessante, um soziale Zwänge kreisende Grundgedanke des Originals auf der Strecke.