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Filmkritik
Frauen wie Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardin (1777-1866), die titelgebende „Veuve Clicquot“, waren eine Ausnahme in der napoleonischen Zeit. Die Position einer Unternehmerin musste sie hart verteidigen, denn die öffentliche Meinung war jungen Witwen, die in die Fußstapfen des Gatten traten, nicht wohl gesonnen. Dass Ponsardin (Haley Bennett) es trotzdem in den Olymp der prickelnden Luxusgetränks schaffte und ihre Verfeinerung wesentlich beeinflusste, macht die Pionierin zur idealen Heldin.
Zwei ungleiche Charaktere
Man fragt sich, warum ihr Leben erst jetzt als Stoff fürs Kino entdeckt wurde. Ihre Emanzipationsgeschichte wird vom britischen Regisseur Thomas Napper mit assoziativ getakteten Rückblenden einer turbulenten Liebe zum früh verstorbenen Ehemann François Cliquot (Tom Sturridge) verbunden. Das Drama um zwei ungleiche Charaktere spiegelt den melancholisch-romantischen Zeitgeist in Kleidern, Dekor und Landschaften mit viel Sinn für lyrische Stimmungen und düstere Momente wider. Die US-amerikanische Hauptdarstellerin Haley Bennett mit ihrem ätherischen Madonnengesicht und Tom Sturridge als unberechenbar selbstzerstörerischer Melancholiker könnten zudem nicht besser gewählt sein.
Der Großteil des Films, der gar nicht erst versucht, ein gut gelauntes französisches Historienepos zu erzählen, wurde im herbstlich verregneten Burgund im historischen Château de Beru gedreht, einem Ersatz für Verzy, wo im frühen 19. Jahrhundert der heute berühmte Champagner Veuve Clicquot zum Leben erweckt wurde. Am Anfang verbindet das Paar eine große Leidenschaft füreinander und für das Luxusgetränk. Ponsardin verbringt mehr Zeit im Labor als mit ihrer Tochter, die sie irgendwann auch in ein Internat steckt. Die Eheleute glauben als progressive Repräsentanten ihrer Zeit an die Freiheit des Denkens und den Fortschritt. Doch als Cliquot, der rebellische Erbe des Weinguts und ein Wiedergänger von Lord Byron, seine politischen Ideale verraten sieht und auch noch sein Champagnerhaus zu kriseln beginnt, fängt er an, sich mit Laudanum zu betäuben, bis er an einer Überdosis stirbt. Seine 27-jährige Gattin kann sich für übermäßige Trauer aber keine Zeit nehmen, denn ihre Konkurrenz versucht sogleich, sie mit Übernahmeangeboten aus dem Geschäft zu drängen.
Kontakte nach St. Petersburg
Auch ihr Schwiegervater ist skeptisch angesichts ihrer neuen Rolle als Verwalterin des maroden Anwesens, lässt sie aber gewähren, weil er glaubt, dass ihre neuen Produkte ohnehin keinen Absatz finden. Sie experimentiert, um den ikonischen „Comet“-Jahrgang zu perfektionieren, und bemüht sich vergeblich, die wegen der Kriege leidenden Finanzen dafür zu interessieren. Ein langjähriger Familienfreund, der Weinhändler Louis Bohne (Sam Riley), hilft dank seiner Kontakte zum Zarenhof in St. Petersburg, die napoleonischen Exportverbote zu umgehen und ein geheimes Vertriebsnetz über den ganzen Kontinent aufzubauen. Im Zuge der engen Arbeitsbeziehung wird er zu ihrem Liebhaber, was die Gegner der „Veuve Clicquot“ begierig aufgreifen, um ihren Ruf zu beflecken.
Die Marke wird trotzdem zunehmend international bekannt. Gerne hätte man die weiteren Schritte zum Imperium erzählt bekommen, doch das Drehbuch von Erin Dignam bevorzugt den anfänglichen Kampf der Witwe gegen die patriarchalen Konventionen anstatt der Jahre des Triumphs. Ponsardin wagt riskante Innovationen, steht mit den Arbeitern bei der Ernte selbst mit im Weinberg und wandelt sich durch harte Arbeit von der zarten Fee zu einer selbstbewussten Geschäftsfrau – eine nicht überschwänglich-sinnliche, aber dennoch überzeugend sprudelnde Metamorphose.