Vorstellungen
Filmkritik
Ein Gefängnis in Sansibar. Dicht gedrängt sitzen die hungernden Insassen und träumen von den Speisen ihrer Heimat. Es sind bescheidene Träume. Nicht Festmähler, sondern einfaches Brot nimmt die Fantasie der Häftlinge ein. Jeder von ihnen denkt an ein anderes Brot. Persisches Brot, komorisches Brot, Pfannenbrot, Sesambrot, Biskuitbrot – die Aufzählung wandert durch die Zelle. Bevor sie die zehn Sorten erreicht, die in Sansibar gebacken und gegessen werden, platzt eine Wache des britischen Protektorats herein und führt einen der Insassen weg. Die Vielfalt des paradiesischen Teilstaats von Tansania ist sichtbar, auch wenn sie unter der britischen Kolonialherrschaft nicht zugelassen wird.
Denge (Gudrun Mwanyika) ist der Gefangene, den die Wachen abführen. Er organisiert den kommunistischen Widerstand, schmuggelt Güter und Mitstreiter an den Checkpoints der britischen Mandatsregierung vorbei, kämpft für die Freiheit, die Sansibar erst Jahre später und mit viel Blutzoll erlangt.
Die Geschichte des Sansibar-Archipels ist eine Geschichte von Sklaverei und Ausbeutung. Im Jahr 1500 nahmen die Portugiesen den Archipel in Besitz, im 17. Jahrhundert wurde er zum Sultanat der Herrscher des Oman. Zwölf Sultane beherrschten die Inselgruppe, die zum Zentrum des ostafrikanischen Sklavenhandels wurde, bis sie 1890 britisches Protektorat wurde.
Ein Refugium für eine verbotene Liebe
„Die Liebe in ungleichen Zeiten“ von Amil Shivji greift die Geschichte des Landes im Jahr 1954 auf, als die britische Kolonialherrschaft endete. Es ist ein kompliziertes Geflecht politischer Interessen, das der Film in einem ethnisch nicht minder komplexen Staatsgebilde umkreist. Im Zentrum steht aber nicht allein der Widerstandskämpfer Denge, sondern auch die junge Yasmin (Ikhlas Gafur Vora), die, gefangen in einer Zwangsehe, eine gänzlich andere Form des Freiheitskampfes verfolgt. Beide gehören unterschiedlichen Ethnien und Gesellschaftsschichten an und finden doch, als Denge untertauchen und Yasmin vor ihrem Ehemann fliehen muss, dasselbe Refugium im Suaheli-Viertel der Stadt.
Es braucht wenig mehr als einen Blick, um die verbotene Liebe zu etablieren, der Ankerpunkt eines Films, der auf mitunter wackligen Beinen die schwer zu fassenden Komplexitäten des Landes während der 1950er-Jahre umkreist. Denge hat nicht nur Schwierigkeiten, den britischen Autoritäten zu entfliehen, er steht zugleich zwischen den Fronten der LIPUA, der von außen unterstützten kommunistischen Partei, und anderen nationalen Befreiungsbewegungen.
Die Adaption des Romans „Vuta n’kuvute“ von Adam Shafi Adam kommt in den vielen Andeutungen und Verweisen auf kommunistischen und nationalen Widerstand, Klassenunterschiede, multiethnische Interessen, zwischen Ausgangssperren und Tanzabenden immer wieder aus dem Tritt, findet aber mit den Liebenden doch auch zur eigentlichen ästhetischen Vision zurück.
Leidenschaft und Widerstand
Als Liebesgeschichte in Zeiten politischer Umwälzung orientiert sich der Film überdeutlich an den Filmen von Wong Kar-wai. In den als Bewegtgemälden inszenierten Liebesszenen zwischen Denge und Yasmin regnen rote Pamphlete vom Himmel, während die Kamera in Zeitlupe beobachtet, wie die Flugblätter zum Konfetti der Leidenschaft werden. Momente weigern sich, zu vergehen, Farbe, Perspektive und Zeitlupe stellen sich in den Dienst der Liebe, Yasmins roter Schal wird zum Leuchtfeuer der Widerstandsbewegung. Einzig der Regen, der in Hongkong ein ständiger Begleiter ist, bleibt in Sansibar aus. Wo Wong Kar-wai die Leidenschaft in Verlusterfahrung und Vereinsamung zur tiefen Melancholie verwandelt, hängt Shivji einem träumerischen Optimismus an. Ästhetisch misslingt die Vermählung von Leidenschaft und Widerstand in „Die Liebe in ungleichen Zeiten“, doch gleichzeitig vollzieht sie sich, mit all der Naivität, die es braucht, um an die Liebe und die Unabhängigkeit glauben zu können.