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Filmkritik
Es ist ein fürchterlicher Schlag, dann fliegt das Auto und mit ihm die Menschen darin durch die Luft. Zwei Züge prallen aufeinander und entgleisen; Menschen stürzen aus den Waggons; die Löwen eines Zirkus brechen aus den zerborstenen Transportkäfigen aus. Es ist ein heftiges Zugunglück, das in "The Fabelmans" vielfach wiederholt wird. Einmal auf der Kinoleinwand als Film im Film bei einer Vorführung von Cecil B. DeMilles „Die größte Schau der Welt“, und dann mehrfach immer perfekter nachgestellt mit Kinderspielzeug, schließlich auf Super-8 festgehalten und in Dauerschleife gespielt: eine der spektakulärsten, berühmtesten Szenen der Filmgeschichte und eine Urszene für ein sechsjähriges Kind, das sie im Kino sieht und nicht wieder vergessen kann, sie dann selbst realisiert, gefesselt im Wiederholungszwang.
Es gibt mindestens fünf oder sechs dieser Szenen in Film, die für sich als kleine Kurzfilme funktionieren. Sie zeigen eine ganze Welt, mal die Mutter, mal die Schwestern, dann die erste Freundin und später die High-School-Klasse; aber sie zeigen vor allem den Blick eines Heranwachsenden auf sie, eines jungen Mannes, dessen Horizont sich fortwährend erweitert und dessen Blick sich zugleich fokussiert: auf das Kino, den Ort, in dem sich für ihn die ganze Welt, ihre Entdeckung wie die Flucht aus ihr, konzentriert.
Ein autobiografischer Film
Seit 1968 hat Steven Spielberg unzählige Kinogeschichten erzählt: Über Außerirdische, Dinosaurier, Haie, Hochstapler, virtuelle Realitäten, den Krieg und die Shoa und vieles mehr, oftmals uramerikanische Geschichten, aber zugleich fast immer auch universelle: Über Ängste und Hoffnungen, Träume und Abgründe, und immer wieder über Variationen der Familie. Sie ist und bleibt, wenn auch oft dysfunktional, in Spielbergs Kino der zentrale Ort für Wunscherfüllung, Fantasie, Verdrängtes. Es sind Urgeschichten des Kinos, die Spielberg zu einem der wichtigsten Filmemacher seiner Generation machen.
Aber es gibt offensichtlich eine Reihe von unerfüllten Projekten, von Wunschträumen, für deren Realisierung Spielberg jetzt, mit 76 Jahren, die Zeit gekommen sieht. Sein letzter Film, das – vielleicht am Ende doch unnötige – Remake der „West Side Story“ war ein solches Projekt. Eine Neufassung von „Bullitt“, die Spielberg seit Jahrzehnten geplant hatte, soll als nächstes folgen.
Noch nie aber hat Spielberg einen offen autobiographischen Film gemacht. „Die Fabelmans“ ist nun genau dies: Hier erzählt Spielberg von sich, seiner Jugend, seiner Familie, ihrem Glück wie ihrem Unglück, ihren halbverdrängten, für den Betrachter offen daliegenden Traumata. Und davon, wie aus dem Sechsjährigen, der mit seinen Eltern zum ersten Mal ins Kino geht, DeMilles Film sieht und fortan von diesem Medium nicht mehr lassen kann, der Regisseur Steven Spielberg wurde.
Eine besondere Familienkonstellation
Nach kurzer Exposition nimmt der Film richtig Fahrt auf, als wir beginnen, dem nun jugendlichen Sammy Fabelman (Gabriel LaBelle) dabei zu folgen, wie er kleine Super-8-Geschichten dreht und sich selbst beibringt, ein Regisseur zu sein.
Es ist eine besondere Familienkonstellation: Einerseits leben die Fabelmans ein mehr oder weniger typisches „All-American“ Suburbia-Leben, andererseits sind sie in dieser amerikanischen Vorstadt als Juden doch Außenseiter. Sammy ist der einzige Sohn, neben ihm gibt es Reggie, Natalie und Lisa, die drei Schwestern (deren Porträt den ganzen Film über leider sehr blass bleibt). Die Eltern sind tolerant und fördern die Kinder, vor allem den Sohn, nach Kräften, auch sehr früh in seinen Ambitionen, Filme zu machen. Zugleich ist die Ehe alles andere als einfach: Vater Burt, ein Computerpionier, arbeitet viel und ist dauernd abwesend, zudem zieht die Familie wegen der Karriere des Vaters viel um. Mutter Mitzi, die eine begabte Konzertpianistin war, leidet darunter, diese Karriere zugunsten der Ehe aufgegeben zu haben. Sie ist das Zentrum der Familie und vor allem für den Sohn der wichtigste Bezugspunkt.
Vielleicht weil sie selbst künstlerische Ambitionen hatte, versteht sie schnell Sammys Liebe zum Film und sein Bedürfnis, visuelle Geschichten zu erzählen. Hier, in der Förderung von Sammys Filmleidenschaft, verbündet sie sich mit dem Sohn gegen den Vater, der darin nur ein Hobby, aber keinesfalls einen zukünftigen Beruf sehen kann.
Die Macht des Kinos
Die Macht des Kinos ist eindeutig einer der Haupt-Erzählfäden dieses Films. Spielberg behandelt ihn und damit sein filmisches Alter Ego mit großer Zuneigung, die nur selten ins Sentimental-Nostalgische abkippt. Sammy dreht bald richtige kleine Filme: Kriegsfilme, Western und Familienfilme. Er ist ehrgeizig und verbessert sich mit jedem Werk. Er lernt, die Wirkung seiner Geschichten zu verbessern.
Dieser filmische Aspekt verschmilzt organisch mit dem zentralen Familiendrama, das sich allmählich vor den Augen der Kinder entfaltet. Denn es gibt da auch noch Onkel Benny, den Freund und Assistenten des Vaters, der zunehmend fast zu einem weiteren Familienmitglied wird.
In einer außergewöhnlichen, zentralen Szene sieht man Sammy bei der Montage eines Super-8-Films über einen gemeinsamen Familienurlaub. Während er die Bilder vor- und zurückspult, enthüllt sich ihm eine niederschmetternde Wahrheit: Die Mutter hat eine heimliche Liebesbeziehung mit Benny. Selten wurde die Kraft des Kinos im Kino so offensichtlich, aber auch intensiv und schmerzhaft gezeigt, die Fähigkeit des Kinos, nicht nur als Eskapismus oder Fenster in eine magische, fantastische Gegenwelt zu wirken, sondern als ein unvergleichliches Werkzeug, um tiefere Wahrheiten und Geheimnisse in scheinbar alltäglichen Bildern zu entdecken.
Die Wirklichkeit beeinflussen
Auch später wird dem Publikum vorgeführt, wie Sammy mit Hilfe des Films die Wirklichkeit beeinflussen und verändern kann: Der Dreh einer Schüler-Strandparty wird in seinen Händen zu einer kuriosen Mischung aus Slapstick-Komödie und heroischem Beach-Movie, die es ihm ermöglicht, einen antisemitischen Schultyrannen bis ins Mark zu erschüttern.
Insofern ist Spielbergs Feier des Kinos vielschichtig und ambivalent. Voller Liebe und Loyalität für die Mutter, zugleich durchzogen von sanfter, ansteckender Ironie im Blick auf die „Spiele“ der Jugend und der Erwachsenen. Mitunter ist diese Ironie grimmig, etwa als Sammy auf die Frage eines Klassenkameraden, wie er es als Jude denn schaffen könne, ohne Jesus in seinem Herzen zu leben, antwortet: „Wir machen das schon seit über fünftausend Jahren, du siehst also, dass es geht.“
„Wo ist der Horizont?“
Auf den ersten Blick ist „Die Fabelmans“ leicht, lustig und augenzwinkernd, doch der Subtext ist oft melancholisch gefärbt und mitunter dramatisch. Das Drehbuch dieser manchmal idealistisch und märchenhaft gehaltenen Geschichte hat Spielberg gemeinsam mit Tony Kushner verfasst. Der Auftritt von Michelle Williams als Mutter ist ausgezeichnet, Gabriel LaBelle in der Rolle von Spielbergs Alter Ego ist eine Offenbarung, auch alle anderen Darsteller können sich sehen lassen.
Es gibt noch einige weitere unvergessliche Momente: In der Mitte des Films kommt der exzentrische Onkel Boris zu Besuch, ein Künstler, der sofort eine Seelenverwandtschaft zu Sammy entdeckt und dem Zwölfjährigen eine Lehre für den Rest seines Lebens mit auf den Weg gibt: Eines Tages müsse er sich zwischen seiner Kunst und seiner Familie entscheiden. „Kunst ist, als würde man seinen Kopf in die Schnauze eines Löwen stecken“, sagt er dem jungen Sammy.
Oder jene Szene mit der glühenden Evangelistin Monica, einer Klassenkameradin von Sammy, die ihre romantischen Absichten in einer flammenden Rede mit einem Plädoyer für Jesus Christus und die Bekehrung des jüdischen Jungen verbindet.
Schließlich die ersten Schritte in Hollywood und eine Begegnung zwischen Sammy und John Ford: „Wo ist der Horizont?“, fragt der alte Ford ziemlich unwirsch und ohne jedes Entgegenkommen auf Gemälde blickend den jungen Mann, der vor ihm in seinem Büro sitzt. „Wenn der Horizont unten ist, ist er interessant. Wenn er oben ist, ist er interessant. Wenn er in der Mitte ist, ist es verdammt langweilig.“
Warum Autobiografie?
Ist es nur ein Zufall, dass in den letzten Jahren viele bekannte Autorenfilmer autobiografische Werke gedreht haben, in denen sie mehr oder weniger direkt und unverschlüsselt ihre Kindheit und Jugend resümieren? Auf Alfonso Cuarón, der mit „Roma“ eine berührende Aufarbeitung seiner Kindheit in Mexiko-City inszenierte, folgten unter anderem Paolo Sorrentino („Die Hand Gottes“), Paul Thomas Anderson („Licorice Pizza“) und zuletzt Alejandro González Iñárritu mit „Bardo“. Aber auch Debüts wie „Aftersun“ von Charlotte Wells sind direkt autobiographisch gehalten und zugleich filmische Erforschungen der Erinnerungsmedien, wie man sie jetzt bei Spielberg findet.
Es scheint legitim, nach den Gründen für diese Tendenz zu fragen. Ist sie als solche überhaupt neu? Oder nur deren Akzente? Vielleicht liegen die Gründe in der (scheinbar) universalen Verfügbarkeit von Erinnerungspartikeln und biographischen Dokumenten in den fotographischen, analog filmischen und nun digitalen visuellen Speichermedien. Vielleicht liegen sie auch in einem für das Kino wie die Weltgeschichte besonders kritischen Moment und in der Unmöglichkeit, hier einen Zukunftshorizont vor sich zu sehen, aus der die Entscheidung folgt, den Blick zurückzurichten?
Zumindest in den äußeren Fakten hält sich der Film sehr genau an bekannte Tatsachen aus Spielbergs eigener Biografie – er selbst wurde in Cincinnati geboren, zog dann schnell nach Philadelphia und später nach Phoenix, Arizona. Doch zugleich bietet Spielberg in seinem Film noch eine weitere Lösung an: Der Horizont ist mehr als nur eine Kameraperspektive, er ist der Sinn eines filmischen Warums und damit eines Warums im Leben auch der Gegenwart. Das Kino ist in Sammys/Spielbergs autobiographischem Horizont weder nur ein Hobby noch reine Leidenschaft noch nur die Maschine zur Erinnerung und Errettung der Vergangenheit, sondern der einzige Filter, mit dem er die Realität betrachten und für sich ordnen kann.
Spielberg gelingt mit diesem Film eine schillernd schöne Reflexion über Träume, die Bedeutung der Traumata und Passionen der Kindheit und über die Rastlosigkeit und Obsession, die jede Leidenschaft begleiten. Im Abspann sieht man die emblematischen Widmungen „To Arnold“ und „To Leah“. Ist es überinterpretiert, zu vermuten, dass Steven Spielberg diesen Film erst machen konnte, nachdem seine beiden Eltern hochbetagt 2017 und 2020 verstorben waren?