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Filmkritik
52 Dollar kostet eine Taxifahrt vom John F. Kennedy International Airport nach Manhattan. Die Strecke ist so bekannt und wird so oft befahren, dass die Yellow Cabs keinen Taxameter brauchen. Die schlicht als „Girlie“ betitelte Protagonistin (Dakota Johnson) kennt diese Routine. Sie kennt den Taxistand, den Festpreis, ihren Platz und den Platz ihres Rollkoffers.
Clark (Sean Penn) lebt diese Routine. Die Fahrt zum JFK-Flughafen ist für heute seine letzte. Die Frau auf seinem Rücksitz aber ist keiner der üblichen Upper-Class-New-York-Fahrgäste, der die Fahrzeit über am Smartphone klebt. Die junge Frau hat vielmehr das Smartphone weggesteckt und damit das Interesse des Fahrers geweckt. Clark macht sich im Rückspiegel ein Bild und hat ein paar Blicke und Smalltalk-Phrasen später eine nicht allzu verkehrte Mutmaßung, wen er da hinter sich sitzen hat.
Ein unsichtbarer Dritter
Seine Insassin ist ein City-Girl, aber im Unterschied zu ihm nicht in New York, sondern in einer Kleinstadt in Oklahoma aufgewachsen. Ein Detail, das den allzu neugierigen Taxifahrer überrascht. Richtig liegt er bei der Reise, von der sie zurückkehrt; es war weder ein Business-Trip noch ein Urlaub; dazu sieht sie zu mitgenommen aus. Der Taxifahrer fühlt ihr auf den Zahn. Seine ebenso prollige wie charmante Art kommt bei der weltgewandten Frau gut an.
Clarks Interesse für das Privatleben der Mitfahrerin ist das dramaturgische Fundament des allein im Taxi stattfindenden Films. Die nötige Filmlänge steuert ein Verkehrsunfall bei, der einen Stau verursacht und dem Duo genug Zeit gibt, ihr allzu intimes Gespräch auszuweiten.
Der unsichtbare Dritte, der dabei zunehmend zur spürbaren Präsenz im Taxi wird, ist der Liebhaber der Protagonistin. Über das Smartphone, das schließlich doch aus der Tasche hervorgekramt wird, drängt er sich in den Film. Er sehnt sich nach seiner Freundin: mit netten Worten, mit dringlichen Worten, mit dem Wunsch nach einem nächtlichen Treffen, mit von erregten Tippfehlern durchzogenen Anzüglichkeiten und schließlich, als Sahnehäubchen sozusagen: mit Dickpics. Sie rollt mit den Augen, ist dem Mann aber dennoch hoffnungslos verfallen, der, wie Clark richtig errät, verheiratet ist und Familie hat.
Für seine Menschenkenntnis gibt der Taxifahrer sich selbst den ersten Punkt des von ihm erdachten Spiels, das die Beifahrerin bereitwillig mitspielt. Dessen Ziel besteht darin, die neuralgischen Punkte des anderen zu berühren. Clark punktet, und das Drehbuch lässt ihn brav mitzählen, was seinen ausufernden Monologen eine gewisse Dringlichkeit unterschiebt.
Das Girlie dreht den Spieß um
Jeder Punkt des Spiels steht für eine der Offenbarungen, mit denen Christy Hall ihr Regiedebüt dramaturgisch über Wasser hält. Zu den zu den Offenbarungen gehörenden Weisheiten gibt es dann eloquent formulierte und zugleich ostentativ im New-York-Arbeiter-Sprech gehaltene Monologe des Taxi-Therapeuten, der genug Lebenserfahrung hat, um Mann und Frau und alles, was es zwischen den Geschlechtern geben kann, verstanden zu haben.
Tatsächlich trifft vieles davon, zumindest was die Frau und die Beziehung zu dem „Daddy“ genannten Liebhaber angeht, ins Schwarze. Den Rest testet die Protagonistin bald im Affären-Chat. Nicht nur mit Hilfe der Antworten vermag sie den Spieß umzudrehen und dem Baby-Boomer am Steuer auf den Zahn zu fühlen. Die Taxi-Therapiestunde wird auf die wunden Punkte in der Vergangenheit des proletarischen Psychiaters ausgeweitet.
Ein Ziel abseits des selbst entworfenen Ping-Pong-Spiels über intime Geheimnisse findet das Gespräch dennoch nicht. Die Kamera von Phedon Papamichael sucht im Yellow Cab gierig nach Details, spielt mit Rück- und Seitenspiegeln, muss sich aber zwangsläufig auf die Gesichter des Duos einschießen. Sean Penn spult die Proleten-Weisheit mit einer schwer erträglichen, aber passgenauen Eloquenz ab, während Dakota Johnson die nötigen Nuancen auch auf das kleine Sichtfenster des Rückspiegels zu bringen vermag. Dennoch vermag das nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Daddio“ fast zwei Stunden im Stau steht.