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Filmkritik
Die Sportlehrerin Jean Newman (Rosy McEwen) ist gezwungen, ein Doppelleben zu führen. Tagsüber ist sie die verschlossene Kollegin, die mit großer Leidenschaft ihrem Beruf nachgeht. Nachts taucht sie in das queere Nachtleben ein und führt eine Beziehung mit einer Frau.
Es ist das Jahr 1988. Die britische Regierung macht Stimmung gegen Homosexuelle und greift die reaktionäre Stimmung der Gesellschaft auf, in der immer noch das Bild der klassischen heterosexuellen Beziehung hochgehalten wird. Das Patriarchat schiebt das fadenscheinige Wohl der Kinder vor. Die zarten Seelen sollen gar nicht erst auf die Idee gebracht werden, dass schwule oder lesbische Beziehungen normal seien. So als wäre das Begehren, egal welcher Form, eine Idee, auf die man erst mal kommen müsste.
Wie ein scheues Reh
Mittels der konservativen Mehrheit verabschiedet die britische Regierung von Maggie Thatcher sogar die „Section 28“, eine Gesetzeserweiterung, mit der die „Förderung von homosexuellen Verhalten“ beschränkt werden sollte. Fortan war es verboten, sich in Schulen und öffentlichen Einrichtungen positiv auf andere Lebensweisen zu beziehen, ja diese Lebensrealitäten überhaupt zu thematisieren.
Sollte also jemand erfahren, dass Jean lesbisch ist, würde sie ihren Job verlieren. Dabei ist es für die engagierte Lehrerin ohnehin ein ständiger Kampf, ihre Beziehung zur rebellischen Vic (Kerrie Hayes) auszugestalten und sich von den heteronormativen Normen zu befreien. Früher war sie mal mit einem Mann verheiratet. Jetzt wirke sie mitunter wie ein scheues Reh, das im hellen Licht der Scheinwerfer vor Schreck erstarrt, lästert ihre Freundin.
Doch es kommt noch schlimmer. Eines Abends taucht Lois, eine von Jeans Schülerinnen, in der Bar für Homosexuelle auf. An der Schule im Nordosten Englands wird die Außenseiterin gemobbt, weil sie offensichtlich anders ist. Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, dem Mädchen beizustehen, und dem Willen, ihren Job zu behalten, beginnt der ohnehin instabile Boden unter Jeans Füßen zu wanken. Aber was soll das noch für ein Leben sein, wenn man seine Liebe immerzu verstecken muss?
Ein kämpferischer Film
„Blue Jean“ von Georgia Oakley mag ein Film über die Vergangenheit sein, doch aus der Zeit gefallen ist er damit noch lang nicht. Denn auch 35 Jahre nach der „Section 28“ sind sexuelle Diskriminierung, Homo- und Transphobie in Europa omnipräsent. Dabei muss man gar nicht nach Polen oder Ungarn blicken, wo es LGBTQ-Menschen zunehmend schwer haben. Auch in Deutschland macht die AfD Stimmung gegen queere Aufklärung in der Schule – erneut angeblich zum Schutze der Kinder. In dieser Hinsicht ist „Blue Jean“ ein hochaktueller, ja kämpferischer Film, der auch von der Solidarität und der lustvollen Widerständigkeit innerhalb der queeren Szene erzählt.
Der von Victor Seguin auf 16mm gedrehte Film besitzt eine große ästhetische Schönheit; dem Drama wohnt eine sinnliche Dringlichkeit inne. Gegen Ende gibt es eine beeindruckende Szene innerster Anspannung, die sich ganz durch die Bildsprache vermittelt. Jean ist kurz davor, sich aufzugeben. Sie sitzt im Kreis ihrer Kolleginnen und Kollegen in einem Pub am Kopfende des Tisches. Sie weiß, dass nicht wenige der Anwesenden die „Section 28“ unterstützen. Sie weiß auch, dass sie nicht auffallen darf. Hier nicht und anderswo ebenso wenig. Langsam fährt die Kamera zurück. Diese schleichende Bewegung verwandelt die Szene in ein angespanntes, hoch aufgeladenes Tableau. Die Tresen der Bar schieben sich als zusätzliche Begrenzung ins Bild hinein, wie eine weitere Rahmung innerhalb des Bildkaders, eine Umzäunung. Die gesellschaftliche Enge kommt drängend zum Ausdruck.
Ein Pfeil weist die Richtung
Hinter Jean leuchtet ein roter Pfeil durch die Scheibe: das Neonschild eines Ladens von gegenüber. Dieser zeigt nach rechts und schreibt eine andere Bewegung in das beinahe stille Bild hinein. Hier, sagt der Pfeil, dort geht es hinaus. Eine grelle Sehnsucht nach Flucht, in eine Form gebannt. Virtuos vereint diese Szene die Enge und das Bedürfnis nach Ausbruch in einer feinen, unaufdringlichen Bildsprache. Darin wird das Widerstreitende, die orientierungslose Verwirrung, in eine Bewegung übersetzt, die das Bild förmlich auseinanderreißt und gleichzeitig verdichtet. Es ist das Innenleben, der angespannte Zweifel in Jeans Seele, der hier im Bild zu greifen ist.
Trotz solcher ästhetischer Überformungen neigt „Blue Jean“ durchaus zum Sozialrealismus eines Mike Leigh. Insbesondere in der Zeichnung bürgerlicher Figuren. Es gibt keine Bewertungen, nur Beobachtungen, die ganz nahe bei den Bedürfnissen der verletzlichen Hauptfigur bleiben. Fernab jeglicher Nostalgie entsteht so eine Flaschenpost für die Zukunft, die zu denken und zu fühlen gibt.