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Filmplakat von Azor

Azor

100 min | Drama
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Filmkritik

Buenos Aires im Jahr 1980; seit vier Jahren herrschen die Militärs in Argentinien. Auf der Straße halten bewaffnete Soldaten zwei junge Männer in Schach. Yvan de Wiel (Fabrizio Rongione), Teilhaber einer privaten Bank in Genf, beobachtet die Szene aus der Limousine der Schweizer Botschaft heraus. Er ist gemeinsam mit seiner Frau Inés (Stéphanie Cléau) an den Rio de la Plata geflogen, um seinen Partner René Keys zu ersetzen, der über Nacht verschwunden ist. Das hat die Kunden der Bank verwirrt, die in der gegenwärtigen politischen Situation das Schlimmste befürchten. Für den jungen Bankier ist es seine erste Geschäftsreise, seine Initiation als erfolgreicher Geschäftsmann.

Angst vor Enteignung oder Entführung

De Wiel, der im Genfer Großbürgertum aufgewachsen ist, kommt in eine Welt, die ihm zwar in vielem vertraut, aber auch sehr fremd ist. Denn die Salons der Reichen und Mächtigen, die teuer ausgestatteten und mit edlen Hölzern getäfelten Innenräume sind nur scheinbar weit von der politischen Unterdrückung entfernt und den politischen Umbrüchen, die das Land aufwühlen. Viele aus der Oberschicht, die den Staatsstreich zunächst begrüßt hat, fühlen sich durch die maßlose Gier der Militärjunta bedroht. So fürchtet sich Madame Lacrosteguy (Carmen Iriondo), eine langjährige Freundin des Bankhauses, vor Enteignung und Entführung. Der Unternehmer Augusto Padel-Camon (Juan Trench) hat seine Tochter schon verloren. Sie wurde wegen ihres politischen Engagements von den Militärs entführt und vermutlich ermordet. Andere versuchen über die Geschäfte mit der Armee selbst Teil der neuen Eliten des Landes zu werden. Auch René Keys war in dunkle Geschäfte verwickelt, über die niemand sprechen will.

Yvan de Wiel dringt immer tiefer in die Zirkel der Macht vor: Wer gehört noch dazu? Wer ist wichtig? Wer ist nicht mehr wichtig? Der Priester Monsignore Tatoski (Pablo Torre) tätigt in dem luxuriösen Club „El circulo de armas“ nicht nur die Finanzspekulationen für die Junta; er erklärt dem scheinbar naiven Schweizer auch die Philosophie des Systems: „Wir erleben eine Phase der Reinigung. Jetzt muss die Jugend wieder umerzogen werden. Aber es gibt gewisse Elemente, die man nicht mehr umerziehen kann. Diese Parasiten muss man ausrotten. Selbst innerhalb der besten Familien.“ Vorbild dieser zwielichtigen Figur war der Erzbischof Adolfo Servando Tortolo (1911-1986) der, wie zahlreiche andere Vertreter des Episkopats, die Diktatur unterstützte; Tortolo war zeitweilig Präsident der argentinischen Bischofskonferenz und bis 1982 Militärbischof von Argentinien.

Harte Zeiten, raue Manieren

De Wiel spürt, dass seine höfliche und verbindliche Art im Umgang mit den Kunden nicht mehr der Zeit entspricht; er ahnt, dass sich viele Geschäftspartner den direkteren und aggressiveren René Keys zurückwünschen. Als es mit dem hemdsärmeligen Geschäftsmann Aníbal Farrell, einem Emporkömmling, der lange Jahre in der Autobranche in den USA gearbeitet hat, zu keinem Geschäftsabschluss kommt, fordert ihn selbst seine Frau auf, aggressiver zu verhandeln. Doch einer solchen Aufforderung bedarf es gar nicht mehr, denn de Wiel hat sich für ein ungewöhnlich riskantes Geschäft entschieden. Als er in einem kleinen Boot aus dem militärischen Sperrgebiet zurückkehrt, lächelt er. Am Ende seiner Reise ist er der durchsetzungsfähige und skrupellose Banker geworden, der er gerne werden wollte.

„Azor“ ist ein Politthriller der besonderen Art. Zwar setzt Regisseur Andreas Fontana geschickt Spannungselemente ein, doch sein Spielfilmdebüt ist in erster Linie das Psychogramm einer herrschenden Kaste. Der Film greift nicht auf die üblichen Bilder politischer Repression zurück; nur zweimal sind schwer bewaffnete Soldaten zu sehen. Die politische Repression und der staatliche Terror spiegeln sich vielmehr im Gesichtsausdruck der Protagonisten, im Schweigen und weniger in den Worten.

Von Salon zu Salon

Das Paar aus Genf besucht Villen, Gärten und Swimmingpools, ohne wirklich in dieser Welt anzukommen. Doch de Wiel will sich beweisen und gewinnen. Wie in einem Schauermärchen dringt er von Salon zu Salon, von einer dunklen Tür zur nächsten immer tiefer in die Innenbereiche des Systems vor. Er will in dieser Welt der Männerbünde akzeptiert werden, sucht den Teufelspakt mit den schmutzigen Geschäften des Regimes. „Azor“ handelt allerdings auch von der Schweiz und ihrem Bankgeheimnis, einer Hochfinanz, die der Diktatur den Zugang zu den internationalen Finanzmärkten öffnen will. Von Kreditgebern, die auch dann noch verdienen, wenn der Kapitalismus seine eigenen Kinder frisst und die Militärs millionenschweres Raubgut außer Landes schaffen.

„Azor“ ist ein komplexer, vielschichtiger Film, weil er so vieles offen lässt und dennoch alles verständlich wird. Im ausgezeichneten Schauspielerensemble beeindruckt insbesondere der Hauptdarsteller Fabrizio Rongione, der sich fast unschuldig und doch zielstrebig ins Labyrinth trüber Eliten vorkämpft, deren Dekadenz die Bildgestaltung von Gabriel Sandru in gedämpften dunklen Farbtönen hervorragend eingefangen hat.

Erschienen auf filmdienst.deAzorVon: Wolfgang Hamdorf (24.11.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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