Vorstellungen
Filmkritik
Ein in die Jahre gekommene Gangster (Louis-Do de Lencquesaing), ein legendärer Mann, von dem es einmal heißt, er habe immer noch „etwas Biss“, hört auf den weichen, geschmeidigen Namen „Mahr“. In „La mort viendra“ wird dieser Name, der auch ein bekanntes mythisches Fabelwesen bezeichnet, immer wieder ausgesprochen, manchmal auch in den Raum hineingesprochen, und jedes Mal umgibt ihn ein leises Schillern. Ein Mahr oder Nachtalb ist untrennbar mit der Dunkelheit verbunden, auch mit dem Einzelgängertum. Beide zählen zu den grundlegenden Tropen des Film noir.
Sich selbst fremdwerden
Mahr, Tez, de Boer, Mela: Der verführerische Klang von Namen und die Aura, die sie umgeben, spielen in dem Film von Christoph Hochhäusler eine wichtige Rolle. Der Plot um den Auftrag eines dem Tode geweihten Gangsters und eine Killerin, die für ihn arbeitet, ist zwar nicht bedeutungslos. Doch „La mort viendra“ lebt weit mehr von all den scheinbar kleinen Details, die sich zu einer Atmosphäre und einer bestimmten Temperatur verdichten: Schauplätze, Lichtstimmungen, Oberflächen, Blicke und Bewegungen und eben Namen, die unabhängig von den dazugehörigen Figuren einen bestimmten Raum öffnen. Die fremde Sprache und Stadt eröffnen Hochhäusler, der erstmals auf Französisch und in Brüssel drehte, ganz neue Möglichkeiten der Anverwandlung oder vielleicht auch des Sich-Selbst-Fremdwerdens.
Hochhäuslers melodramatischer Thriller „Bis ans Ende der Nacht“ (2023) wurde in englischsprachigen Kritiken gelegentlich als „noirish“ beschrieben. Dem aktuellen Film hingegen lassen sich kaum mehr ein Suffix oder irgendwelche Anführungszeichen zuschreiben. „La mort viendra“ ist ein Film noir durch und durch, auch wenn bestimmte Genre-Zitate, etwa der Zuhälter im Pelzmantel, die Grenze zum Schrillen berühren oder wenn das Metatextuelle früherer Arbeiten durchscheint. Doch grundsätzlich nimmt Hochhäusler das Genre beim Wort, entledigt sich jeglichen Überbaus und sucht auch nicht im engeren Sinn den Anschluss ans Gesellschaftsdiagnostische, etwa der Finanzwelt, der Mediengesellschaft oder irgendwelcher Identitätspolitiken.
Ein fatalistischer Gangsterfilm
„La mort viendra“ ist ein fatalistischer Gangsterfilm nach dem Vorbild von Jean-Pierre Melville, finster, kalt und auf das Notwendigste reduziert. Alles basiert auf Knappheit, Enge und Begrenzung: Plot, Räume, Bildausschnitte. Während in Hochhäuslers vorherigen Filmen die Kamera von Reinhold Vorschneider noch viel damit zu tun hatte, Distanzen zwischen den Figuren zu überwinden, wirken diese jetzt im Schuss-Gegenschuss regelrecht aneinandergedrängt. „Warum sitzt du nicht neben mir?“, fragt Mahr einmal seinen engsten Mitarbeiter, der sich mit nicht allzu viel Abstand auf der Sofalehne niedergelassen hat. Engmaschig geknüpft sind auch die Erzählfäden; fast stehen sich die Figuren gegenseitig auf den Füßen herum. Es gibt „wir“ und „sie“. Und dann gibt es auch noch die – nicht in Erscheinung tretenden – „Italiener“.
Die Geschichte, zu der Hochhäusler gemeinsam mit Ulrich Peltzer das Drehbuch geschrieben hat, ist so vertrackt wie einfach. Ein Kurier, der im Auftrag des todkranken Mahr eine Geldlieferung befördert, wird erschossen. Mahr heuert daraufhin die Auftragskillerin Tez (Sophie Verbeeck) an, um den Mord zu rächen. Ins Visier gerät dabei sein Rivale, der von seiner Anwältin und Geliebten Julie gepushte Patric de Boer (Marc Limpach), ein affektgeleiteter Sexindustrie-Unternehmer mit großen Visionen. Mitakteur:innen sind außerdem diverse rechte Hände, die um ihre berufliche Zukunft besorgt sind, sowie die blinde Bordellbesitzerin Mela (Delphine Bibet). Die Figuren beschatten sich gegenseitig; nie ist klar, wer die Fäden zieht oder sich selbst darin verfangen hat. Für Tez sind Auftrag, Intrige und Thronfolgeregelung bald nicht mehr zu unterscheiden.
Frauen haken sich unter
Hochhäusler erzählt zügig und handlungsorientiert, mit eng getakteten Szenenwechseln und harten Actionszenen. Zum Einsatz kommt alles, was griffbereit ist: Messer, Feuerzeuge, Pistolen, Eisenstangen. Die Schauplätze liegen mehrheitlich etwas außerhalb, im Off der touristischen Orte: enge Flure, Treppenhäuser und Hinterzimmer, leerstehende Büroetagen, Baustellenareale und Industriehöfe. Überall ist es wenig beleuchtet, verschattet und muffig. Alte Heizkörper, gekachelte Wände, schmierige oder fast erblindete Fensterscheiben, Hotelzimmer mit alten Teppichböden, auf denen man lieber nicht barfuß herumlaufen möchte. Selbst in Mahrs am Meer gelegenem Haus mit dem erlesenen modernistischen Mobiliar ist es trotz einer großen Fensterfront so dunkel und diesig, dass man nicht einmal die Kunst an den Wänden richtig erkennen kann.
Die Figuren sind mehr Archetypen als differenziert ausgestaltete Charaktere und doch von geradezu dramatischer Dimension. Der etwas echsenhafte Charles Mahr scheint einer anderen Zeitrechnung und Ordnung anzugehören, Tez, die zunächst vor allem als Ermittlerin in Erscheinung tritt, aber mitunter auch für eine Polizistin oder Beauftragte des Arbeitsamts gehalten wird, verkörpert dagegen eine moderne Killerin. Sie muss sich nicht abtöten, um ihren Job gut zu machen. Ohnehin existieren zwischen den Frauen andere Formen der Verständigung, Kooperation und Anpassungsfähigkeit. Sie sind im Fluss und haken sich unter, um ein Stück ihres Weges miteinander zu teilen.