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Filmplakat von All Unsere Dämonen

All Unsere Dämonen

85 min | Drama, Animation | FSK 12
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Die erfolgreiche, doch vom hektischen Geschäftsalltag frustrierte Rosa, wird mit der plötzlichen Nachricht vom Tod ihres Großvaters konfrontiert. Von Schuldgefühlen geplagt und von ihrem momentanen Leben überfordert, beschließt Rosa, in das Landhaus zurückzukehren, in welchem sie unter der Obhut ihres Großvaters aufwuchs. Doch dort angekommen, holt sie die Vergangenheit ihres Großvaters ein, der durch sein eigentümliches Verhalten die ganze Dorfgemeinschaft gegen sich aufgebracht hat. Die von ihm gefertigten unheimlichen Tonfiguren erwachen in Rosas Träumen zum Leben und verfolgen sie mit Visionen und Erinnerungen. Um die Fehler der Vergangenheit wieder gutzumachen, muss sich Rosa den Dämonen ihres Großvaters stellen – die auch ihre eigenen geworden sind.

Vorstellungen

Cinema Quadrat Mannheim
Cinema Quadrat Mannheim
K1, 2
68159 Mannheim

Filmkritik

Immer erst nach Hause zu kommen, wenn andere schon längst zu Abend gegessen haben. Morgens um sechs Uhr den Tag verfluchen, aber dennoch hoch motiviert in der Firma erscheinen, um wieder die Beste zu sein. Über der Karriere den Tag vergessen, die Katze immer zu spät füttern und die Zimmerpflanze verdursten lassen: Rosa ist eine Getriebene, doch sie selbst würde es nie zugeben.

Als sie noch klein war und auf dem Dorf bei ihrem Großvater aufwuchs, hat sie früh und viel davon mitbekommen, wie man auf eigenen, eigensinnigen Füßen steht. Ihr Umfeld war so liebevoll, wie es ohne Vater und Mutter nur geht. Der zähe Marcelino hat das Beste aus der Situation gemacht und seiner kleinen Rosa ein Leben im Einklang mit sich und der Natur beibringen wollen. Aber mit dem Älterwerden haben auch bei der jungen Frau die Dickköpfigkeit und die Jähzornigkeit gesiegt, die in der ganzen Familie schon immer dominierende Charaktereigenschaften waren. Nun arbeitet sie längst in der großen Stadt und hat zu ihrem Großvater kaum noch Kontakt.

Der Tod kommt zumeist lapidar. Im Falle von Marcelino erreicht er Rosa in Form eines Anrufs im Fahrstuhl und eines Packens mit seinen Briefen, welche die Post zu lange nicht in ihre neue Wohnung nachgesendet hat. Von jetzt auf gleich ist Rosa gänzlich allein, und ihr wird bewusst, dass da noch mehr ist als das allmorgendliche Wachwerden durch den 6-Uhr-Wecker. Doch als Meisterin des Verdrängens mag sie es sich (noch) nicht eingestehen und fährt ins Dorf ihrer Kindheit, um lediglich den Hof samt der weiten Ländereien drumherum als Alleinerbin abzuwickeln.

Die Enkelin des „Fluchs“ der ganzen Gegend

Jahre war sie nicht mehr dort, doch man erkennt sie sogleich. Die Anfeindungen der Dorfbewohner treffen sie unerwartet und hart: Ihr Großvater wird als „Griesgram“ oder gar als „Fluch“ der ganzen Gegend bezeichnet. Denn in den Jahren ihrer Abwesenheit hat er sich zu einem Widerling gewandelt, der der Gemeinschaft das Wasser nahm und sie zwang, Kornfelder stillzulegen und für jedes Trinkwasser einen langen Umweg in Kauf zu nehmen. Zunächst scheint auch Rosa mit ihrer forschen, aufbrausenden Art ganz dem Klischee ihrer Familie zu entsprechen, doch mit dem Einzug ins Haus der Kindheit kommen andere, längst verdrängte Dämonen wieder zum Vorschein. Und die sind nicht alle böse.

Eigentlich ist der Animationsfilm von Nuno Beato eine grimmige Familientragödie über einen Großvater, der für eine (unglücklich endende) Liebe die Feindschaft seines besten Freundes riskiert, um über seine Tochter die Saat des Egozentrismus schließlich sogar an seine Enkelin weiterzugeben. Harter Tobak, der sicherlich nicht die unbeschwerteste Unterhaltung für die landläufige Zielgruppe eines Animationsfilms verspricht. „All unsere Dämonen“ ist vermeintlich Stoff für Erwachsene, die er dazu anregen will, innezuhalten und den eigenen Lebensstil zu überdenken, der zwar immer ein Stück weit in die Wiege gelegt ist, aber nie apodiktisch sein muss.

Dennoch gelingt dem in Lissabon aufgewachsenen Regisseur mit „All unsere Dämonen“ ein höchst bewegender Film für die ganze Familie, was weniger an der Geschichte als an deren dramaturgischer und audiovisueller Umsetzung liegt. Zunächst wählt der 47-jährige Portugiese für sein Werk eine eigentümliche Form: Nicht die inzwischen landläufig vorherrschende (3D-)Computeranimation ist das Mittel der Wahl, sondern ein Mix aus klassischer 2D-Animation und Stop-Motion-Techniken. Die Zeit, bevor Rosa zurück in die Vergangenheit reist, wird visualisiert durch die Grobschlächtigkeit in der Art animierten Linoleumdrucks; sehr flächig, fast abstrakt, glatt und temporeich, ganz wie die Welt der Großstadt auch emotional charakterisiert ist.

Herbstfarben statt Neon

Mit der Reise aufs Land ändert sich schlagartig auch die Textur des Films. Plötzlich befindet man sich in der Welt der Stop-Motion-Animation, wo die Knetfiguren Ecken und Kanten haben, expressionistischer und wild-natürlicher sind und die gütigen Farben des Herbstes die des Neons ablösen. Heimlich, aber auch ein wenig unheimlich – und faszinierend, weil die Figuren plötzlich (selbst in all ihrer Grantigkeit) mit Wärme beseelt sind, die auch jüngere Zuschauer in den Bann schlägt.

Spätestens hier kippt auch auf der dramaturgischen Ebene die Stimmung ins Märchenhafte. Die Albträume, die die Rastlosigkeit Rosas begleiten, werden förmlich physisch greifbar. Wenn die Konflikte im Dorf offenbar werden, beginnen auch die Artefakte im Haus des Großvaters ein Eigenleben zu entwickeln. Regisseur Beato und sein Drehbuchautor Possidónio Cachapa bedienen sich hierbei der Volkskunst Nord-Portugals, wo auch die Handlung angesiedelt ist. „Caretos“ sind traditionelle geisterhafte Masken und Figuren keltischen Ursprungs, die Marcelino in langen Winterabenden aus Holz und Ton gebastelt hat. In unbeobachteten Augenblicken (und in den Träumen Rosas) werden sie lebendig und fungieren quasi als Avatare für die Ängste und Hoffnungen, aber auch ganz dezidiert für den toten Großvater (der als auf zwei Beinen aufrecht gehender Stier mit vier Armen erscheint).

Doch Rosa ist beileibe nicht nur mit diesen Albtraumwelten konfrontiert. Als kathartisches, geradezu befreiendes Element fungiert der kleine Nachbarsjunge Chico, der mit seiner Unbeschwertheit und Neugier hilft, Rosa im Speziellen, aber auch die ganze Geschichte zu erden. Zusammen mit Rosa bekämpft er die Dämonen und hilft ihr, das Geheimnis um das verschwundene Wasser in der Region zu lösen.

Auch ein wunderbarer Kinderfilm

Die Figuren des kleinen Chico und seiner altruistischen Mutter Laura sind es vor allem, die „All unsere Dämonen“ auch zu einem wunderbaren Kinderfilm machen. Mit ihnen kann man auch die unheimlichen und konfliktreichen Sequenzen, die der Film durchaus hat, heldenhaft überstehen. Zumal die Dämonen hier einmal nicht die Bösen sind. Denn sie helfen zu erkennen, auf welchen Abwegen sich die Menschen mitunter verirren, und sie zeigen den Weg zurück ans Licht.

Erschienen auf filmdienst.deAll Unsere DämonenVon: Jörg Gerle (16.10.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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