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Filmkritik
Was das Verliebtsein mit einem alles macht, kennt der 14-jährige Elias (Lou Goossens) bislang nur aus der Welt des Schlagers. „Erste Liebe“, der neue Hit seines Vaters, ist eine Lehrstunde der Gefühle. Die erste Liebe sei rein und süß, sie mache frei, glücklich und verrückt, heißt es darin im Schunkelrhythmus. Belohnt wird der Song mit einer Goldenen Schallplatte. Auch im Schulunterricht geht es um Liebe, allerdings um die „höfische Liebe“, die man in modernen Zeiten etwa zu einer Person wie Harry Styles hegen kann.
Für Elias scheint das alles ein wenig abstrakt zu klingen, auch wenn er schon mit einem Mädchen geht. Bis er sich in Alexander (Marius De Saeger) verliebt, den Jungen, der im Haus gegenüber einzieht. So einfach wie in den Liedzeilen ist es dann allerdings nicht. Die Gefühle verwirren und überwältigen ihn, auch weil es in dem belgischen Provinzort keine Vorbilder für seine Liebe zu Alexander gibt: „Ich kenne keine Jungs, die auf Jungs stehen.“
Wie aus vordigitalen Zeiten
In seinem ersten Langfilm erzählt Anthony Schatteman von einer Liebe zwischen zwei Jungs, in der das sexuelle Erwachen noch vor sich hinschlummert. Der belgische Regisseur will es seinen heranwachsenden Protagonisten nicht unnötig schwer machen. Die ländliche Welt, die der Film entwirft, ist von der Unschuld und Aufgeräumtheit eines Kinderbuchs aus vordigitalen Zeiten. Der Vater, in seiner Fixierung auf seine Schlagerlaufbahn ein wenig blind für das aufgewühlte Herz seines Sohnes, aber ansonsten gütig, die Mutter einfühlsam, der einen Bauernhof führende Opa verständnisvoll und weise. Fahrradfahren, Schwimmen im See, in der Wiese sitzen und Kirschen essen, Zeichnen und Klavier spielen, Flaschendrehen, bei der Kostümparty als Ritter gehen. Alles ist verlässlich an seinem Platz, Schulstress, Teenager-Nöte und Sozialer-Medien-Wahnsinn sind anderswo oder wurden noch gar nicht erfunden.
Dass diese süße Geschichte über ein Coming-out bei aller Realitätsglättung gegenwärtig wirkt, verdankt sich vor allem den beiden Nachwuchsdarstellern Lou Goossens und Marius De Saeger, die das junge Liebespaar einfühlsam verkörpern.
Alexander ist mutiger als der vorsichtige Elias, der ein wenig wie eine etwas unsicherere Version des damaligen Kinderstars Leonardo DiCaprio aussieht. Er springt, ohne zu zögern, ins kalte Wasser und traut sich, den älteren Mobbern, die ihnen „Schwulis“ hinterherrufen, die Fahrräder umzuschmeißen. Einmal steigen sie gemeinsam in ein leerstehendes Haus ein und entkommen ihren Verfolgern auf heldenhafte Weise. Zur echten Gefahr entwickelt sich dieser Mikrostrang jedoch nie; auch dieses Ereignis wird zum Abenteuer umgemünzt.
Eine Umarmung des Optimismus
Elias verliert mehr und mehr seine Ängste. Doch sich vor den Freunden und der Familie zu seiner Liebe bekennen, scheint ihm zunächst unmöglich. Zurückweisungen, Wiederannäherungsversuche und andere kleine Dramen folgen. Erst nach einem Wochenende mit seinem Großvater, der Elias’ Gefühle so ernst nimmt wie die tiefe und langlebige Liebe zu seiner verstorbenen Frau, kann er sich den nötigen Ruck geben.
„Young Hearts“ ist eine herzliche Umarmung des Optimismus. Anthony Schatteman, ein bekennender Fan von „Titanic“, zeichnet ein romantisches, gewollt geschöntes Bild einer Kindheit und Jugend. Ein Bild, das ihm selbst gefehlt hat, als er jung war und seine Gefühle für Jungs entdeckte. Elias wird von allen Seiten mit Verständnis, Fürsorge und Liebe nur so überschüttet. Und wie beim Schlager, wo das Leben sich einzig zwischen Herzflattern und Herzschmerz abspielt, steckt darin auch etwas Wahres.