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Filmkritik
Besuche in griechischen Flüchtlingslagern hätten ihn zum Spielfilmprojekt „Xoftex“ bewogen, sagte der Filmemacher Noaz Deshe in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“. Insbesondere die Eindrücke in einem Lager, das in der unmittelbaren Nähe einer ausgebrannten Fabrik errichtet wurde, in der ursprünglich Toilettenpapier produziert worden war. Diese Asylunterkunft trug – es fällt schwer, nicht einen explizit zynischen Beiklang darin zu lesen – den Namen des Toilettenartikelherstellers Softex.
Etwa 12 bis 18 Monate musste man 2017 in einem Flüchtlingslager in Griechenland verbringen, bevor ein Asylbescheid ausgehändigt wurde, informiert eine Texteinblendung zu Beginn des Films. Eine schier unendlich scheinende Reihe von in gerader Linie verlaufenden Containern am Rande von stets laut vernehmbaren Bahn-Schienen bildet die Szenerie, in der „Xoftex“ gedreht wurde. Kinder bekämpfen sich unermüdlich auf den Container-Dächern mit Steinen, die Umgebung verschwindet bei Tag in einem Nebel aus Rauch und Dampf, nachts in vollkommener Dunkelheit. Ein augenscheinlich filmisch abstrahiertes Lager ist das also, das immer wieder Anklänge an eine geisterhafte, dem Horrorgenre entlehnte Stadt besitzt. Darin ist das Außen undurchdringlich und ungewiss. Bisweilen treibt es nachts Gestalten dorthin – wie einen wild um sich schlagenden Mann, der entlang der Container schleicht und drohende Menetekel schreit: „Heute ist der Todesengel hier!“
Angst dominiert
„Du gehörst nicht hierher“, wispert erschrocken der junge syrische Flüchtling Nasser (Abdulrahman Diab) zu ihm. Denn wer keinen Bearbeitungsnachweis für Asyl besitzt, darf sich im Lager nicht aufhalten, bekommt kein Essen ausgehändigt. Werden diese behördlichen Regeln missachtet, kann es zu Konsequenzen für die ganze Unterkunft kommen. Mit möglichen Repressionen wird so die Solidarität der Bewohner untereinander ausgehöhlt und verunmöglicht. Angst dominiert. Nasser gehört zu denen, die sich im Lager aufhalten dürfen: Zusammen mit seinem älteren Bruder Yassin (Osama Hafiry) lebt er in einem der behelfsmäßigen Behälter.
Zwischen Erlebnissen und Zuständen, die auf tatsächlichen Erfahrungen und Erzählungen aus Lagern basieren, und einer deutlich surrealer durchwirkten Ästhetik versucht Noaz Deshe auf diese Weise seine Geschichte zu balancieren. Mit filmischen Mitteln, die zu einem eine unmittelbare Immersion, ein direktes Miterleben forcieren wollen, andererseits aber auch, wie zum bewusst gesuchten Widerspruch, stark verfremdende Distanz halten sollen.
Bisweilen ist die Kamera mit unablässiger Insistenz nahe an den Figuren, lässt kaum ab von den Großaufnahmen ihrer Gesichter. Selbst ein Flüchtling, der Schlepper dafür bezahlt, dass er entlang der Balkanroute aus Griechenland ausreisen kann, um anderswo in Europa Zuflucht zu finden, wird auf allerengstem Raum gefilmt, wie er zwischen den Speichen eines fahrenden Güterzuges versteckt dem donnernden Schotter aus dem Gleisbett ausweichen muss. Dann wiederum versucht der Film, Bilder und Töne zu finden, die dem Lager die groteske Atmosphäre eines Pandämoniums verleihen, in dem jegliche Orientierung schwerfällt, alles die Sinne überfordert. Besonders das Sounddesign arbeitet mit geradezu aufdringlichen Dissonanzen: Von zuschnappenden Riegeln hin zu knatternden Ketten und metallisch schabenden Klingen ist alles beherrscht von einem herausfordernden Missklang.
Zombies in der Welt des Lagers
Als Bindeglied zwischen einer sich faktengrundiert verstehenden Realitätsdarstellung und einer artifiziell durchgearbeiteten Unwirklichkeitskonstruktion muss dabei die Hauptfigur Nasser herhalten: ein Teenager, der sich die Zeit vertreibt, indem er gemeinsam mit anderen Flüchtlingen Kurzfilme zu drehen beginnt. Die Welt des Lagers formt er um in ein Reich der Fiktion, das plötzlich von herumtorkelnden Zombies bevölkert wird. Das Auge der Filmkamera vermittelt dabei hin und her.
Zu einem Untoten werde man im Lager, sagt Nasser einmal, wenn man nicht mehr wisse, seit wann man dort sei. Dieser symbolschwangere Ton jedoch, mit dem letztlich stets das Irreale wieder an das allzu Wirkliche zurückgebunden wird, sorgt dafür, dass der Film als Experiment kaum gelingen mag: Zu schnell versteigt er sich in schwerfälligen Bedeutungsangeboten, die am Ende selbst vor verkitschter, kosmologischer Opulenz nicht mehr haltmachen. Indem „Xoftex“ nach einer auflösenden Ausdeutung seiner Bilderwelten sucht, hebt er so zuletzt auch seine eigene potenzielle ästhetische Reibung auf. Wo er beunruhigen und verunsichern wollte, söhnt er die eigenen Widersprüche wieder aus.