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Filmkritik
„Das sind nur Turbulenzen – die gehen wieder weg!“: Mit diesem Satz lernen Julia und Paul sich kennen, auf einem wackligen Flug über dem kolumbianischen Regenwald – sie ist Stewardess, er Krankenpfleger. Sie ist die Coole, Zuversichtliche, er der Typ mit der Flugangst. Natürlich verlieben sich die beiden ineinander. Und natürlich ist Julias Satz bezeichnend für ihre Lebenseinstellung. Während Paul sich davon zwar gerne anstecken lässt, eigentlich aber mehr auf Sicherheit und Stabilität bedacht ist.
Ihre anrührende Liebesgeschichte wird in „Wolke unterm Dach“ im Schnelldurchlauf präsentiert: Auf das Kennenlernen über den südamerikanischen Wipfeln folgt die Hochzeit auf einer süddeutschen Bergspitze, der Kauf eines verwunschenen, renovierungsbedürftigen Hauses, die Geburt ihrer Tochter Lilly, das reine Familienglück. Dass es so schön nicht bleiben kann, ist nach allen Regeln des Filmhandwerks auch klar. Julia stirbt, ganz plötzlich, und lässt Paul und Lilly allein zurück.
Die Trauer ist zu groß
Paul versucht tapfer, seiner Tochter „Mama und Papa gleichzeitig“ zu sein, Normalität herzustellen, „zu funktionieren“. Und scheitert dennoch. Zu groß die Trauer, zu unterdrückt die Emotionen, zu überfordernd die Bewältigung des Alltags, der eigenen und Lillys Gefühlswelt. Das etwa 7-jährige Mädchen ist davon überzeugt, dass seine Mutter auf dem Dachboden des Hauses anzutreffen ist und es dort mit der Toten „sprechen“ kann. Paul findet keinen Zugang mehr zu seiner Tochter, fixiert sich darauf, Lillys physischen Gesundheitszustand zu kontrollieren – und vernachlässigt darüber ihre psychische Situation. Zudem ist die finanzielle Lage desolat, das Heim der Familie von Pfändung bedroht. Mit nurmehr einem Einkommen als Pflegedienstleitung in einem Krankenhaus kommt Paul nicht über die Runden. Ohnehin ist er noch gar nicht wieder arbeitsfähig und aufgrund von Schlafproblemen fahrig und unkonzentriert.
Erst als Paul lernt, Hilfe anzunehmen, wird es besser. Trotzdem ist „Wolke unterm Dach“ nicht als linear verlaufender Prozess einer Heilung erzählt. Die Dramaturgie zeichnet mit ihrer Erzählung vom Weg zurück ins Leben eher die Linie eines Flugzeugs in Turbulenzen nach: Aufs Absacken in tiefe Löcher folgen Passagen, in denen es aufwärts geht, sich auch mal ein Lichtlein am Horizont zeigt. Dann gleiten Paul und Lilly wieder eine Zeitlang ruhig dahin – um schließlich erneut heftig durchgeschüttelt zu werden. Ob derlei Turbulenzen tatsächlich irgendwann „wieder weg“ gehen, wie es Julia einst versprochen hat? Zumindest werden hier die Ausschläge der Schwankungen schwächer.
Überraschend unvorhersehbar
Schön an dem von Dirk Ahner (nach der „wahren Geschichte“ von Drehbuchautor Chris Silber) geschriebenen und von Alain Gsponer inszenierten Melodram ist, dass es überraschend unvorhersehbar ist. Wohin der Weg dieser Erzählung führen wird, ist zwischenzeitlich völlig offen. Geht es in Richtung einer religiösen Verhandlung von Trauer und Tod? Entwickelt sich die Story in Richtung Fantasy oder magischem Realismus, wenn Lilly auf dem Dachboden ihre Mutter als sprichwörtliche, titelgebende „Wolke unterm Dach“ antrifft? Wird hier ein (Sozial-)Drama um eine zunehmend prekär lebende Familie erzählt? Oder geht es gar in Richtung Thriller, wenn der übernächtigte Paul für seine Patienten plötzlich lebensgefährliche Cocktails anrührt?
Ahner, Silber und Gsponer legen geschickt zahlreiche Fährten und Spannungsmomente an, weben ihrem Film viele interessante Aspekte und Möglichkeiten ein. Und sie bemühen sich erfolgreich darum, „Wolke unterm Dach“, der bei allen Genre-Anleihen letztlich doch klar ein Melodram ist, nicht zu rührselig anzulegen. Lilly ist, ihrem zarten Namen zum Trotz, glücklicherweise ein sehr wehrhaftes und freiheitsliebendes Mädchen und damit ganz das Kind ihrer Mutter. Die Debütantin Romy Schroeder spielt sie natürlich und überzeugend und bildet damit ein gut funktionierendes Duo mit Frederick Lau, der den Paul – gewohnt souverän – als Schmerzensmann mit Charme gibt. Hannah Herzsprung wiederum spielt eine ebenso umwerfende wie eigensinnige Julia, die eine auch für den Zuschauer schmerzlich spürbare Lücke hinterlässt.
Stille Poesie durch die Bilder
Regisseur Alain Gsponer erzählt viel über die Bilder von Daniel Gottschalk, was dem Film zugutekommt. Auch in den Passagen, in denen eine Wolke als „Protagonistin“ auftaucht, überzeugt er mit stiller Poesie. Schön zudem, dass der Film bei aller Melodramatik und Schwere auch den Humor nicht ganz vergisst. Einigermaßen überladen ist die Musikspur, hier wäre weniger mehr gewesen. Auch drückt der Film gegen Ende dann doch noch etwas auf die Tränendrüse, frönt ein wenig Pathos und Kitsch. Was angesichts einer ansonsten stimmig entwickelten und erzählten Vater-Tochter-Geschichte sowie einem sehr wahrhaftigen und dennoch „unterhaltungsfilmtauglichen“ Umgang mit Tod und Trauer jedoch wenig bis kaum ins Gewicht fällt.