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Filmplakat von WEM GEHÖRT MEIN DORF

WEM GEHÖRT MEIN DORF

100 min | Dokumentarfilm
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Der Filmemacher Christoph Gören stammt aus dem Ostseebad Göhren auf Rügen, das von einem kleinen Dorf zu einer beliebten Ferienregion heranwuchs. Seit Jahren werden dort viele Bauprojekte vom Gemeinderat durchgewinkt. Vor allem ein Multimillionär aus NRW hat dort seit der Wende ungehindert zahlreiche Hotels und Ferienhäuser bauen lassen. Nun droht ein weiterer Neubau in einem Naturschutzgebiet, doch diesmal sind die Einwohner nicht gewillt, stillschweigend zuzusehen. Bei der nächsten Kommunalwahl wollen sie mit eigenen Abgeordneten die Mehrheit im Gemeinderat erringen. (vf)
  • RegieChristoph Eder
  • Dauer100 Minuten
  • GenreDokumentarfilm
  • IMDb Rating6.3/10 (0) Stimmen

Vorstellungen

Atelier am Bollwerk
Atelier am Bollwerk
Hohe Straße 26
70176 Stuttgart

Filmkritik

Kurz nach der Wende war das Dorf Göhren am südöstlichen Zipfel der Insel Rügen ein verschlafenes Nest am Rande des malerischen Mönchsgut. Der Dokumentarfilmer Christoph Eder wuchs dort auf, recht ungezwungen, wie verwackelte Videoaufnahmen seiner Familie am FKK-Strand belegen. Später entdeckte er das Skateboarden, das an den Bordsteinen der neuen Straßen, an Betontreppen und Edelstahl-Geländern einen idealen Widerstand fürs Sliden und Grinden fand, aber auch den Zorn der frisch erblüten Bürgerlichkeit nach sich zog. Eder und seine Freunde taten sich deshalb zusammen, gründeten einen Verein und kämpfen politisch für einen eigenen Skatepark, der nach zwölf zähen Jahren tatsächlich Wirklichkeit wurde.

Das Kopfsteinpflaster wich dem Asphalt

Wenn der Filmemacher heute seiner Heimat einen Besuch abstattet, überkommt ihn allerdings ein mulmiges Gefühl, weil vom Ort seiner Kindheit nicht mehr viel übriggeblieben ist. Während sich die Einwohnerzahl innerhalb der drei Jahrzehnte fast halbiert hat, wich der graue Charme des Ostens immer schneller dem Glanz der Tourismusindustrie; das holprige Kopfsteinpflaster wich glattem Asphalt, aus baufälligen Häuschen wurden weiß leuchtende Pensionen, entlang der herausgeputzten Promenade drängelt sich ein Shop neben dem anderen.

Der Aufschwung besitzt in Göhren einen Namen: den des Investors Winfried Horst aus Nordrhein-Westfalen, der hier Millionen investiert hat. Durchaus nicht uneigennützig, wie ein globiges Parkhaus am Ortsrand bezeugt, in dem nun alle ihre Autos für teure Gebühren abstellen müssen, weil „Herr Horst“ mit der Gemeinde clever verhandelt hat. Seinem manchesterhaften Geschäftssinn widmete DIE ZEIT schon 2016 ein dreiseitiges Dossier mit dem Titel „Herr Horst kauft sich ein Dorf“; im Film lässt sich die unsichtbare Hand seiner Markwirtschaft am sogenannten Nordhang studieren, auf dem solange alte Buchen abgeholzt wurden, bis das Erdreich nachgab und der Hügel abrutschte; zuvor von den Bäumen verdeckte Hotel des Investors hat seitdem einen freien Blick auf die Ostsee. Zum ökologischen Kahlschlag gesellt sich auch noch ein ästhetischer: Ein monströser hässlicher Lift erleichtert Horsts Kurgästen jetzt den Gang zum Meer.

Die "Vier von der Stange"

Dass hier ein Kapitalist reinsten Wassers schalten und walten kann, wie es ihm gefällt, hat mit der Zusammensetzung des Gemeinderates zu tun, in dem vier beleibte Honoratioren aus Göhren, die „Vier von der Stange“, seit Ewigkeiten das Sagen haben; sie winken die Anträge des Investors meist ohne Änderungen durch, beispielsweise den Bebauungsplan 23, der ein landwirtschaftliches Gebiet für neue Wohnhäuser ausweist. Am Streit um dieses Vorhaben entzündete sich im Jahr 2014 dann aber der Funke des Widerstands, der zur Gründung der Initiative „Bürger für ein lebenswertes Göhren“ (BILG) führte; in ihr versammeln sich Menschen, in der Mehrzahl Frauen, die sich dem Diktat des „Betongoldes“ nicht länger beugen wollen.

„Wem gehört mein Dorf“ zeichnet fast exemplarisch das Erwachen dieses Bürgersinns nach, einen offenen, fragilen Prozess, bei dem nicht nur die unterschiedlichsten Anschauungen unter einen Hut gebracht werden müssen, sondern auch banale Kleinigkeiten wie ein gemeinsamer Flyer oder 2019 dann die Kandidatur bei den Gemeindewahlen inklusive eines Wahlspots organisiert werden wollen.

Die Wahl beschert dem Film im zweiten Drittel eine regelrechte Spannungsdramaturgie bis hin zur langen Nacht der Auszählung, bei der die Ergebnisse erst spät feststehen und tatsächlich eine Zäsur mit sich bringen. Dass die Kamera am Wahlabend bei den „Vier von der Stange“ verweilt, ist weniger ein kluger Schachzug als vielmehr die Konsequenz aus Eders Herangehensweise, der trotz offenkundiger Sympathien für die oppositionellen Kräfte nicht einseitig, ideologisch oder polemisch verfährt; der Sprecher der Vier, Markus Pigard, der sich 2019 sogar Hoffnungen auf den vakanten Bürgermeister-Job macht, wird mit ähnlich großer Aufmerksamkeit behandelt wie seine „Gegenspielerin“ Nadine Förster, die das Aufbegehren der Bürgerinitiative forciert.

Nähe, Vertrautheit, Distanz

Die langen, über viereinhalb Jahre sich hinziehenden Dreharbeiten und die persönliche Vertrautheit des Filmemachers mit den örtlichen Begebenheiten grundieren die gelassene Aufmerksamkeit des Films, der als stiller Beobachter die Protagonisten begleitet, aber gleichzeitig eine große Nähe und Vertrautheit zu ihnen besitzt. Die mal sympathisch unmittelbaren, mal angemessen distanzierten Aufnahmen sind in weite Panoramen eingebettet, die das Ringen um die angemessene Gestaltung der wirtschaftlichen Zukunft von Göhren in den Kontext der Landschaft stellen; die sieht zwar nicht mehr ganz so wie bei Caspar David Friedrich aus, hat aber auch nicht von Prora oder dem Ballermann an sich. Was nach dem Willen der neuen Mehrheit im Gemeinderat von Göhren auch so bleiben soll.

Erschienen auf filmdienst.deWEM GEHÖRT MEIN DORFVon: Josef Lederle (17.7.2022)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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