Vorstellungen
Filmkritik
Fjorde, unberührte Natur, malerische Dörfer mit bunten Häusern im Norden von Norwegen. Das alles will die 18-jährige Trine (Kornelia Melsæter) unbedingt erhalten. Auf Demonstrationen für die Umwelt schreit sie ihre Liebe zu ihrem Land heraus. Als die talentierte Trompetenspielerin einen Termin für das Vorspielen an der Osloer Oper erhält, ist sie Feuer und Flamme. Zwar hat ihre Mutter das arrangiert, doch das empfindet Trine bald als zweitrangig. Viel wichtiger ist die Frage, wie sie die 1500 Kilometer von ihrem Heimatort auf den Lofoten-Inseln bis in die Hauptstadt bewältigen soll, ohne die Umwelt zu belasten.
Trine entscheidet sich für eine heute eher selten gewordene Art des Reisens, nämlich für das Trampen. Innerhalb von fünf Tagen muss sie an ihrem Zielort angelangt sein. Mit dem Instrument auf dem Rücken und einer Reisetasche in der Hand stellt sie sich mit ausgestrecktem Arm an die Fernstraße und hält den Daumen hoch.
Üben und nicht wählerisch sein
Doch wer will eine so schwer bepackte junge Frau schon mitnehmen? Das Warten bei eisigem Wind und Nieselregen wird Trine lang. Doch schließlich erbarmt sich eine Autofahrerin und nimmt sie ein Stück mit. Üben muss sie für ihr Vorspiel natürlich auch noch, und so darf sie bei den Probeorten nicht wählerisch sein. Sie übt in der freien Natur, auch wenn ihr dabei fast die Finger absterben, und absolviert ihre Haltungs- und Schulterübungen ebenfalls dort. Einmal nimmt ein Mann sie mit und lässt sie in seinem Boxstudio übernachten. In der leeren Halle mit ihren unheimlichen Geräuschen wird ihr etwas mulmig, doch immerhin hat sie ein Dach über dem Kopf.
Ein anderes Mal kann sie bei einer freundlichen Familie übernachten und in deren Werkstatt üben. Einmal spielt sie sogar in einem Kuhstall. Langsam rückt die Hauptstadt näher, doch die Reise ist beschwerlich. Nach dem Zusammentreffen mit einer Bekannten in Trondheim, die sich ebenfalls für das Vorspiel angemeldet hat, kommen Trine Zweifel, ob sie der musikalischen Prüfung überhaupt gewachsen ist.
Auf Worte müssen Taten folgen
Der Regisseur Laurens Pérol konstruiert sein Spielfilmdebüt ganz um die anrührend-idealistische Protagonistin herum. Mit einer knallgelben Daunenjacke und Wanderschuhen, später auch mit Mütze und Handschuhen geht sie ihre Odyssee an. Die Witterung mit Nieselregen, Schnee und beißendem Wind bringt Trine an den Rand ihrer Kräfte. Dennoch steigt sie einmal prompt aus einem Auto aus, als der Fahrer sich als Mitarbeiter einer Bohrinsel entpuppt, der fossile Brennstoffe befürwortet. Man hat es bei Trine mit einer so mutigen wie von ihren Gedanken überzeugten jungen Frau zu tun, die ihren Worten auch Taten folgen lässt.
Dass sie die Strapazen überhaupt auf sich nimmt, ist auch dem Road-Movie-Genre geschuldet. Denn das schickt seine Helden immer auf eine Entdeckungsreise, auf einen Trip zum eigenen Ich, der in einer Erkenntnis mündet. Dass Trine nicht fliegen will, leuchtet ein. Doch sie hätte auch den Zug nehmen können. Diese Option nicht zu wählen, weil sie teuer ist und der Zug mit Diesel betrieben wird, wie sie einmal erklärt, hält einer logischen Prüfung nicht stand. Benzin belastet die Umwelt nicht weniger, und der Zug befördert trotz seines ökologisch bedenklichen Antriebs mehr Menschen.
Es geht also um etwas anderes, darum, dass die Heldin die Natur, die sie so sehr befürwortet, am eigenen Körper erfährt, dass sie sich den Elementen aussetzt und aus erster Hand begreift, dass Umweltschutz kein Selbstläufer ist.
Meistens überwiegt Pragmatismus
Mit ihrem Engagement steht Trine aber ziemlich allein da. Bei den Menschen, denen sie auf ihrer Reise begegnet, überwiegt der Pragmatismus. Zum einen werden wirtschaftliche Argumente ins Spiel gebracht; Norwegens Wohlstand beruht schließlich auf der Gewinnung von Erdöl. Andererseits denken die meisten beim Fliegen eher an den Zeitgewinn und verdrängen die Umweltbelastung, die sie dabei verursachen. Indem der Film die Protagonistin mit anderen Meinungen konfrontiert, befördert er zugleich die Reflexion der Zuschauer.
Vor allem aber ist „Üben üben üben“ eine sinnliche Erfahrung – für die Protagonistin wie für das Publikum. Man genießt die norwegischen Landschaften in all ihrer rauen Pracht, auch wenn Trine im Laufe ihrer Reise die visuellen Reize immer weniger wahrnimmt, sondern vor der Umwelt vielmehr in Behausungen flüchten muss. Das Trompetenspiel ist jedoch eine Errungenschaft der Zivilisation und spricht vor allem Gefühle an, von denen sich Trine leiten lässt. Der Film ist somit eine Ode an die Natur und ihre Gewalten, aber auch an die Musik und an die Heldinnen, die ihren Weg konsequent bis zu Ende beschreiten.