- RegieAgnieszka Zwiefka
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2024
- Dauer74 Minuten
- GenreDokumentarfilmMusik
- Cast
- AltersfreigabeFSK 0
- IMDb Rating6.5/10 (153) Stimmen
Vorstellungen
Filmkritik
„Ich will keine Seniorin sein, die wie eine Geranie am Fensterbrett hockt“, sagt die pensionierte Gefängnispädagogin Vika über sich. Stattdessen ist die Polin mit 80 Jahren noch ständig auf Achse, legt nachts in Techno-Discos in Warschau auf oder bei einer Demo für Frauenrechte. Überall, wo sie auftaucht, wird sie schnell zum umlagerten Mittelpunkt. Mit sichtbarem Vergnügen lässt sie sich von ihren jungen Fans feiern. Vika posiert gerne für Fotos, oft in schrillen Gewändern.
Gelegentlich tritt sie auch als Referentin in Seniorenheimen auf, wo sie ihrem eher skeptischen Publikum die Botschaft vom aktiven Alter verkündet. Als D-Jane für ein eher gesetztes Publikum sorgt sie dann mit Discofox und Evergreens für Stimmung. Ihre optimistische Ausstrahlung und ihre Begeisterung übertragen sich auf jedes Publikum, nur nicht auf ihre erwachsenen Enkelkinder. „Denen ist das peinlich“, sagt Vika. Das könnte auch für ihre Söhne gelten, mit denen sie kaum Kontakt hat. Vika bedauert das ein wenig. Doch was ihr an Familienleben fehlt, insbesondere seit dem Tod ihres Mannes, holt sie sich bei ihren vielen Fans.
Eine imposante Persönlichkeit
Trotz ihrer fast zierlichen Gestalt ist Vika eine imposante Persönlichkeit. Sie achtet sehr auf ihr Äußeres, schminkt sich die Augen und die Lippen. Niemand würde vermuten, dass sie schon 80 Jahre alt ist. Eine Frau, die kaum stillsitzen kann und ständig in Bewegung ist. Das gilt auch für ihr Mundwerk. Vika redet gerne und viel; sie ist schlagfertig und wortgewandt – extrovertiert, gesellig und kontaktfreudig. Sie wolle sich nicht verstecken, sagt sie.
Die Musik kam erst nach der Rente, aber inzwischen nimmt sie viel Raum in ihrem Leben ein. Die alte Dame bildet sich ständig weiter; mit HipHop und Techno kennt sie sich inzwischen gut aus. Sie tanzt auch gerne, aber nur allein zuhause. Sie kauft selbst Schallplatten, hört viel Musik und übt mit einem Fachmann im Tonstudio Dance Scratches.
Am liebsten ist Vika mit jungen Leuten zusammen. Alte Menschen erinnern sie daran, dass sie nicht mehr viel Zeit hat. Solange es möglich ist, möchte sich Vika ihre Unabhängigkeit bewahren. Sie lebt den Moment. Das hat manchmal etwas erfreulich Spontanes, beinahe Kindliches. Aber Vika wirkt auch ein bisschen anstrengend in ihrem Anspruch, beachtet und als Original gewürdigt zu werden.
Die andere Seite der Salonlöwin
Das Filmporträt von Agnieszka Zwiefka beginnt als ziemlich vergnügliche, dank farbenfroher Musical-Einlagen auch unterhaltsame und facettenreiche Lebensbeschreibung einer etwas ungewöhnlichen alten Dame. Das wirkt zunächst wie die Protagonistin ein wenig ziellos und chaotisch und insgesamt auch etwas oberflächlich. Doch im richtigen Moment findet „Vika!“ den Absprung. Zwiefka reißt das Ruder herum und beleuchtet nach etwa der Hälfte die anderen Seiten der Salonlöwin. Die Wirkung ist bemerkenswert. Denn erst jetzt wird die alte Dame so richtig sympathisch. Vika gewinnt als Persönlichkeit an Tiefe. Immer häufiger sieht man sie allein oder mit ihrer Katze. Sie verliert dabei keineswegs ihre Spontaneität, wenn ihr der Weihnachtsbaum zu viel Arbeit macht und sie ihn einfach wegwirft oder wenn sie mit Freundinnen und Freunden an der Ostsee Feuerballons steigen lässt.
Wenn sie das Grab ihres Mannes besucht, wird sichtbar, dass Vika eine komplizierte, sehr interessante Frau mit Ecken und Kanten ist. Die öffentliche Vika unterscheidet sich dabei erheblich von der „privaten“. Die vermisst ihren Mann und die Zärtlichkeit. Manchmal schmuse sie mit ihrer Katze. Wenn sie sich mit ihren Söhnen trifft, reagiert sie beinahe trotzig. Alles ist gut so, sagt sie, und man merkt, dass sie eigentlich etwas ganz anderes sagen möchte. Um sie herum umarmen sich die Menschen an Weihnachten, aber Vika ist allein mit ihrer Katze.
Die Fahrt nach Vilnius, von wo sie als kleines Mädchen mit ihren Eltern und Geschwistern zwangsumgesiedelt wurde, wird zum prägenden Erlebnis. Vika verlor schon früh ihre gesamte Familie; es gibt keine Verbindungen in die alte Heimat. Noch stärker als der Besuch in Vilnius wirkt sich die Corona-Krise auf Vikas Leben aus. Plötzlich gibt es keine Auftritte und keine Disco mehr, keine Treffen mit Freundinnen und Freunden. So kommt es, dass Vika von sich aus Kontakt zu ihren Söhnen aufnimmt und sich der Auseinandersetzung mit ihnen stellt.
Leben im Augenblick
Am Schluss darf die inzwischen 84-jährige, noch immer als D-Jane tätige Seniorin noch mal ordentlich posen und sich mit viel eingängiger Musik und einer coolen Choreografie angemessen feiern lassen. Ein kleines, wohlverdientes Happening.