- RegieTorsten Striegnitz, Simone Dobmeier
- ProduktionsländerDeutschland
- Dauer113 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- AltersfreigabeFSK 0
Vorstellungen
Filmkritik
Der Dokumentarfilm beginnt voller Emphase. Das riesige Foyer eines Konzertsaales ist mit einer bunten Menschenschar gefüllt. So, als ob sie sich auf ein großes Event einstimmen wollten, intonieren hunderte Menschen: „Our… Passion…, Our… Skin…, Our… Love of Music!“ Mitten in der euphorisierten Menge steht ein unscheinbarer Mann mittleren Alters auf einem Podium: Simon Halsey.
Für einen Augenblick könnte man ihn für eine Art Gotthilf Fischer halten, der ab den 1970er-Jahren mit seinen gigantomanischen Fischer-Chören das gemeinsame Musizieren zu einer Art multimedialer Volksbewegung geformt hat. Doch das suggestiv-virtuose Singen in der diffusen Masse ist nur für den Vorspann gedacht. „Unser Herzen, ein Klang“, so der etwas zu poetische Titel der Langzeitdokumentation von Torsten Striegnitz und Simone Dobmeier, ist intimer, aber auch didaktischer.
Eine angehende Dirigentin und ihre Helfer
Simon Halsey ist einer der führenden Chordirigenten und wurde in Deutschland bekannt, als er zwischen 2001 und 2015 die Leitung des Rundfunkchors Berlin innehatte. Inzwischen organisiert der in Berlin lebende Brite unter anderem Meisterklassen für angehende Chordirigenten. Mit einer solchen Klasse beginnt der wirkliche Film und sein dramaturgischer Bogen. Man lernt die angehende Dirigentin Hyunju Kwon kennen und begleitet sie über mehrere Jahre hinweg bei ihrer Ausbildung an der Hochschule für Musik in Saarbrücken. Ziel ist der internationale Dirigentenwettbewerb „Fosco Corti – International Competition for Choral Conductors“ in Turin im Jahr 2021.
Anhand von Hyunju Kwon führt der Film in die Kunst des professionellen Chorsingens ein. „Ja, wir sind Profis“, merkt Simon Halsey einmal an, als er sich in einem Probenraum darüber aufregt, dass hier nur ein ordinäres Piano und kein Steinway-Flügel steht. Das trifft auch den Ton des Films. Singen im Chor ist zwar Leidenschaft und Freude, doch auch harte, analytische Arbeit an Körper und Geist.
Das spürt auch Hyunju Kwon, wenn im Studium oder in der Praxis nicht immer alles so klappt, wie sie sich das vorgenommen hat. Man leidet ein wenig mit der jungen Dirigentin, die manchmal keine Musik mehr hören kann und sich nur noch dem Familienleben widmen möchte. Aber man ahnt auch ihr überragendes Talent, wenn sie über der Partitur brütet oder ihre Vorstellung des Wohlklangs dem Chor übers Dirigieren nahebringt.
Mit einem Lächeln im Gesicht
„Unsere Herzen, ein Klang“ ist allerdings kein rein didaktischer Film. Das Herz des Films ist zweifelsohne Simon Halsey, der nicht nur Mastermind hinter allem zu sein scheint, sondern auch ein bisschen Zampano. Bei seinem halb deutschen, halb englischen, mal gesungenen, mal bruchstückhaften Palavern lugt dem distinguierten Engländer stets ein Schalk über die Schulter. Die Seele von „Unsere Herzen, ein Klang“ aber ist Judith Kamphues, die „Queen of Warm-ups“, wie Halsey sie einmal treffend, aber auch unterqualifizierend beschreibt. Kamphues ist Sopranistin und Gesangspädagogin, vor allem aber eine begnadete und mitreißende Persönlichkeit, die noch den größten Stoffel zum Singen mit einem Lächeln im Gesicht bewegen könnte.
Mit diesen drei Protagonisten wagen sich die Regisseure an das schwierige Unterfangen, in das Geheimnis des Chorgesangs einzuführen. Das kann eigentlich nicht gelingen, denn die Art des choralen Miteinanders ist enorm vielfältig. Dient man als Sänger wie in der Oper einem großen Ganzen? Oder ist man Teil der Hauptrolle wie im Chorkonzert? Muss man sich als Leiter in einem „Trio Infernale“ mit Dirigent und Regisseur verbünden? Oder ist man als Chorleiter unumwundener Herr über die Interpretation?
Wenn der Chor „zu Wort“ kommt
„Machen wir einen Menschen-Film? Oder machen wir einen Musik-Film?“, lautete für die Regisseure die grundlegende Frage, wobei ihre Antwort eher Richtung „Menschen-Film“ geht. Zwar kommt der Chor in manchen Szenen gebührend und ungeschnitten „zu Wort“, doch das reicht nicht aus, um die Aura des gemeinsamen Gesangs sichtbar zu machen. Man bekommt als Zuschauer allenfalls eine Vorstellung davon, was gemeint sein könnte, wenn die Protagonisten darüber reden, was das Magische am Singen ist.
So poetisch der Filmtitel auch klingen mag, löst die Langzeitbeobachtung dies eben nicht so magisch ein wie etwa das (fiktionale) Chormusik-Drama „Wie im Himmel“ von Kay Pollak, auch wenn der Vorspann ein wenig in die Richtung weist. Dennoch ist der Erkenntnis- und Unterhaltungsgewinn von „Unsere Herzen, ein Klang“ nicht unerheblich. Man gewinnt viele Eindrücke und wünschte sich insgeheim, dass die Proben und Mühen am Ende zu einem wunderbaren Konzert führen würden. Doch das enthält der Film vor. Zu sehr ist er eben ein „Menschen-Film“. Aber vielleicht motiviert er ja zum Konzertbesuch, der neben dem musikalischen Genuss auch den Blick auf den Menschen am Dirigierpult beinhaltet!