- RegieRand Beiruty
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2024
- Dauer92 Minuten
- GenreDokumentation
- AltersfreigabeFSK 6
- IMDb Rating7.6/10 (15) Stimmen
Vorstellungen
Filmkritik
Der Titel legt bereits nahe, dass „Über uns von uns“ einerseits ein Film über Zaharaa, Mirna, Mariana, Wessam, Semav, Andrea und Reem ist, sieben Mädchen, die in verschiedenen Ländern des arabischen Raums geboren wurden, inzwischen aber alle in Eberswalde in Brandenburg wohnen; andererseits wird „Über uns von uns“ manchmal auch zu einem Film von Zaharaa, Mirna, Mariana, Wessam, Semav, Andrea und Reem. Der Wechsel des Bildformats zeigt den Unterschied an: Wo die „normalen“ dokumentarischen Passagen im geläufigen Fernsehformat 16:9 fotografiert sind, dringen gelegentlich inszenierte Szenen im breiteren Cinemascope-Format ein, das sofort an großes Kino denken lässt.
Der Unterschied ist aber kein absoluter. Tatsächlich wird er in beide Richtungen eingeebnet. Die kurzen Breitbild-Szenen mögen zwar fiktional sein, aber sie basieren entweder auf dem Alltag der sieben Hauptfiguren, oder, später im Film, auf ihren Träumen. Außerdem spielen die Mädchen sich in den betreffenden Szenen mehr oder weniger selbst und können manchmal das Lachen kaum unterdrücken. Die dokumentarischen Szenen wiederum, aus denen der Film hauptsächlich besteht, handeln ebenfalls zuallererst vom reichen Innenleben der Mädchen. Beziehungsweise von Versuchen, dieses Innenleben, mal auf die eine, mal auf die andere Weise, sichtbar, mitteilbar, beziehungsweise auch: teilbar werden zu lassen.
Über sich und die Welt nachdenken
Der Film setzt 2019 ein und verfolgt Zahaara und die anderen über mehrere Jahre hinweg. Corona kommt und geht, doch abgesehen von den ebenfalls kommenden und gehenden Masken hinterlässt die Pandemie nicht allzu viele Spuren. Auch sonst bleibt die äußere Welt weitgehend abstrakt; von Eberswalde ist beispielsweise kaum mehr zu sehen als ab und an ein paar klobige Häuserblocks.
Selbst der Alltag der Mädchen in Familie und Schule ragt nur gelegentlich in den Film hinein. Ein paar Wohnzimmerszenen, fast stets mit reich gedeckten Esstischen, eine Zeugnisübergabe, in der eines der Mädchen als „gut integriert“ gelobt und ein anderes dazu aufgefordert wird, „mehr mit den Leuten zu reden“. Viel mehr an Lebenswelt ist nicht zu sehen. Jungs und Männer machen sich ebenfalls rar, sowohl im Bild als auch in den Reflexionen der Mädchen.
Es sind eben diese Reflexionen, die der Film ins Zentrum stellt. Die Regisseurin Rand Beiruty hat keinen Film über das Leben von sieben Mädchen in Eberswalde gedreht, sondern einen Film darüber, wie sieben Mädchen über sich selbst und ihr Leben in Eberswalde nachdenken. Natürlich hängt beides miteinander zusammen; im Film kommen erlebte Alltagsrassismen ebenso zur Sprache wie die als erdrückend empfundene familiäre soziale Kontrolle oder die Gängelung durch die deutsche Bürokratie. Auch Religion spielt mitunter eine Rolle – allerdings eher als ein Thema, das den Figuren von außen aufgedrängt wird, etwa, wenn eines der Mädchen in einem Park vor laufender Kamera von einem (unsichtbaren) Passanten dazu aufgefordert wird, ihr Kopftuch abzulegen.
Tränen der Rührung und der Wut
Dennoch ist der Unterschied zwischen einem rein beobachtenden Dokumentarfilm und dem Ansatz der Regisseurin fundamental. Schon dadurch, dass durch die Ebene der Selbstreflexion andere Emotionen ins Spiel kommen. Über sich selbst distanziert nachzudenken ist fast schon eine logische Unmöglichkeit. Zudem ist es in Teenagerjahren noch ein bisschen schwieriger, nüchtern aufs eigene Leben zu blicken. Tatsächlich steigen den Mädchen immer wieder Tränen in die Augen, wenn sie sich der Kamera mitteilen, und längst nicht immer ist entschieden, ob es Tränen der Rührung oder Wut, Freude oder Trauer sind.
Die Basis für diese Herangehensweise ist offensichtlich ein inniges Vertrauensverhältnis. Mehrmals sprechen die Protagonistinnen die Regisseurin direkt an, vertraulich, wie eine Freundin, gelegentlich ist Rand Beiruty auch selbst im Bild und spricht über ihre eigenen Erfahrungen in Deutschland, die sich mit denen der Porträtierten mal überschneiden, mal nicht. Beiruty ist nicht viel älter als die Mädchen, die sie filmt, und hat zeitweise ebenfalls außerhalb ihres Geburtslands gelebt. Rand Beiruty ist jordanische Filmemacherin, die an der Filmuniversität Babelsberg promoviert hat und ihre Projekte auf der ganzen Welt präsentiert. Offensichtlich aber lebt sie auf eine andere Art als arabischstämmige Mädchen in Eberswalde zwischen den Kulturen, für die bereits ein Ausflug nach Berlin ein Abenteuer ist.
Ohne den Beteiligten zu nahe zu treten, kann man annehmen, dass Beiruty andere Spielräume in ihrem Leben hat als Zaharaa, Mirna, Mariana, Wessam, Semav, Andrea und Reem. Eben darum geht es in „Über uns von uns“ möglicherweise zuallererst: diese Spielräume zu erkunden und sie zumindest spielerisch, mit den Mitteln des Kinos, zu erweitern.
Träume und die Realität
Immer wieder sprechen die Mädchen über ihre Berufswünsche: Wessam möchte Ärztin werden, Mirna ein Cafe eröffnen, eine dritte träumt von einer Zukunft als Polizistin, die vierte sieht sich als angehende Flugbegleiterin. Ihren Zielen kommen sie im Laufe des Films nicht wirklich näher. Das ist eine Erfahrung, die sie mit vielen ihrer „biodeutschen“ Altersgenossinnen teilen. Und doch ist es ernüchternd, dass gleich vier der Mädchen gegen Ende des Films eine Ausbildung zur Altenpflegerin beginnen. Nicht, weil an diesem Beruf etwas auszusetzen wäre, sondern weil es die einzige Option ist, die ihnen offenzustehen scheint. Der deutschen Gesellschaft mangelt es anscheinend an Fantasie im Umgang mit jungen Menschen aus anderen Ländern.
In Beirutys Film hingegen wird Wessam tatsächlich zur Ärztin und Mirna eröffnet ihr Cafe. Allerdings nur ein paar Minuten lang. Die beruflichen Träume der Mädchen werden als knallbunte Popfantasien und in Breitwand in Szene gesetzt. Auf dass, was jetzt schon denk- und filmbar ist, irgendwann auch lebbar sein wird.