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Filmkritik
Der junge Chan Lok-kwan (Raymond Lam) muss bei einem Schaukampf in Hongkong alles geben. Als illegaler Flüchtling braucht er das Preisgeld für einen gefälschten Ausweis. Seine Verzweiflung schlägt sich in der Entschiedenheit nieder, mit der er sich ins Gefecht stürzt. Taumelnd fällt er zu Boden, doch drückt er im letzten Augenblick seine Faust in einen Scherbenhaufen und schlägt sie seinem Gegner ins Gesicht. Er gewinnt den Kampf, doch als ihm die Triaden seinen Ausweis verweigern, schnappt er sich einen Sack voller Drogen und sucht das Weite.
Bis dahin läuft der in den 1980er-Jahren spielende Film schon zehn Minuten, und Regisseur Soi Cheang spielt immer noch sein Talent für virtuose Actionszenen aus. Denn kaum hat sich Chan Lok-kwan vor seinen Verfolgern in einen Bus gerettet, setzt sich die Keilerei als atemloses Martial-Arts-Ballett auf vier Rädern fort. Zuflucht findet der mittlerweile schon gezeichnete Protagonist wenig später in der Walled City auf der Halbinsel Kowloon: einem Sperrgebiet für die Triaden.
Gegenwelt auf engstem Raum
Diese auf einem ehemaligen Fort gebaute Hochhaussiedlung, die auch als Stadt der Finsternis bekannt war, hat es bis in die 1990er-Jahre tatsächlich gegeben. Arme, Außenseiter und Kriminelle lebten hier unter prekären Bedingungen auf engstem Raum. Es war eine Gegenwelt, die ihren eigenen Regeln folgte. Die Polizei hielt konsequent Abstand, wodurch die meisten der hier begangenen Verbrechen ungesühnt blieben.
Für „City of Darkness“ dient der verwinkelte Mikrokosmos von Kowloon vor allem als Abenteuerspielplatz für Kampfakrobaten. Von Wasserrohren, Wäscheleinen und schief hängenden Neonröhren gesäumte Gassen formen mit nahtlos ineinander übergehenden Wohnungen, Läden und Lokalen ein organisches Ganzes. Die Filmbilder wirken selbst in ruhigen Momenten lebendig, weil sie extrem detailverliebt sind. Oft liegen alte Fotos und Magazine herum, im Hintergrund flackert irgendwo ein Fernseher oder es dampft ein Kochtopf. Bei spektakulären Verfolgungsjagden trotzt die Inszenierung gerne der Vernunft. Mal hält man sich in schwindelerregender Höhe lediglich mit der Kraft der Füße zwischen zwei Mauern fest, mal rast man mit einem Motorrad die schmalen Treppenhäuser hoch. Die entfesselten Kampfszenen erstrecken sich nicht selten gleich über mehrere Stockwerke.
Der einstige Schandfleck von Hongkong ist für Soi Cheang aber auch eine gesellschaftliche Utopie, in der Abgehängte und Chancenlose ein halbwegs würdiges Leben führen können. Unter der Führung des kämpferisch agilen, aber auch gutmütigen Friseurs Cyclone (Louis Koo) ist die Walled City ein heimeliger Ort, an dem man ein offenes Ohr für die Sorgen der anderen hat und stets aufeinander Acht gibt. Als Chan Lok-kwan bei seiner Ankunft in die Schranken gewiesen wird und lädiert durch die Gassen stolpert, reichen ihm helfende Hände etwas zu essen und zu trinken. Regeln gibt es in dieser Enklave, in der Prostitution, Glücksspiel und Drogenhandel blühen, eigentlich nur eine: „Mach keinen Ärger.“
Chan Lok-kwan arbeitet sich hier langsam hoch, achtet auf andere, findet Freunde und schließlich auch eine neue Heimat. Die Guten zeichnen sich in dieser Welt dadurch aus, dass sie zwar körperlich widerstandsfähig sind, emotional aber umso verwundbarer. Und so schleicht sich in die nostalgischen Bilder romantisch aufgeladener Männerfreundschaften auch zunehmend ein Melodram, das um Schuld und Loyalität kreist.
Eine Insel der Menschlichkeit
An der chinesischen Co-Produktion überrascht, dass sie mit ihrem Hohelied auf regionalen Eigensinn und nachbarschaftliche Solidarität eine unverblümte Ode an die ehemalige britische Kronkolonie formuliert. Auch dass Walled City eine Insel der Menschlichkeit ist, die sich gegen eine ihr feindlich gesinnte Umgebung behauptet, ist angesichts der politisch fragilen Lage Hongkongs nicht ohne Symbolkraft.
Während die historischen Konflikte aus dem Prolog wieder hochkochen und sich „City of Darkness“ zur Gangster-Saga verdichtet, bricht zunehmend auch der Ärger von draußen herein. Die lauernde Gefahr geht dabei nicht nur von der langjährigen Feindschaft mit dem Triaden-Boss Mr. Big aus, sondern auch von der Partnerschaft mit einem von Rachsucht zerfressenen Gangster sowie von der jüngeren Generation, hinter deren vermeintlicher Ergebenheit sich mitunter auch Machtgier verbirgt.
Am bemerkenswertesten an „City of Darkness“ ist, wie eng die kämpferischen Fähigkeiten mit der Erzählung um Hierarchien und Intrigen verknüpft sind. Der Film lässt jeglichen Naturalismus hinter sich, wenn sich altersbedingte Weisheit und Besonnenheit mit der Schlagkraft verbinden. Die älteren Darsteller, allen voran die 72-jährige Martial-Arts-Legende Sammo Hung, wirbeln die jungen Hitzköpfe mit eleganter Leichtigkeit quer durch den Raum. Das verleiht nicht nur dem Gangster-Sujet einen eigenen Dreh, sondern führt auch zu hochkinetischen Kampfszenen, von denen weite Teile des westlichen Actionkinos nur träumen können.