- RegieDorit Jessner, Steffi Rostoski
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2023
- Dauer86 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 0
Vorstellungen
Filmkritik
Was bringt einen Menschen dazu, seinen Körper so zu fordern, ja, zu schinden, dass er zweieinhalb Monate lang Tag für Tag jeweils einen Ultramarathon laufen kann? Dabei handelt es sich um eine Strecke, die länger ist als der klassische Marathon mit 42 Kilometer. Außerdem begnügt sich der Extremsportler Savas Coban aus Bremen nicht mit leichten, ebenen Strecken. Coban hat sich für seinen Weltrekordversuch, der in „Trail der Träume“ von Dorit Jessner und Steffi Rostoski bebildert wird, ausgerechnet Peru ausgesucht. Dort ist er am Strand entlang, durch Städte und die Wüste gelaufen, hat den Dschungel durchquert sowie Berge in den Anden von bis zu 4800 Metern Höhe und eine Strecke von über 5000 Kilometern absolviert.
Immer noch ein Stück weiter
Wenn man Coban fragt, warum er sich dieses in vielerlei Hinsicht gefährliche Vorhaben antue, antwortet er, dass er sich damit einen Traum erfüllt habe. Das Ausreizen der physischen und mentalen Grenzen ist für ihn die Herausforderung schlechthin, ja seine Erfüllung. Dem in bescheidenen Verhältnissen bei einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsenen Mann wurde schon als Kind ein überdurchschnittliches Talent attestiert. Ausflüge in den Fußball oder den Kampfsport reichten ihm aber nicht. Dass er es auf außerordentliche Abenteuer abgesehen hat, merkte er, als er sich vor drei Jahren von Hamburg aus mit dem Rad nach Sevilla aufmachte und dabei 3247 Kilometer weit fuhr. Ein Jahr später begann er mit den Ultramarathons. Im Jahr 2021 lief er über 2248 Kilometer von München nach Istanbul.
Mit seiner Strecke durch Peru hat sich Coban nochmals gesteigert. Bei seiner Tour de Force begleitete ihn ein Kamerateam über weite Strecken und rettete ihn mindestens einmal aus einer brenzligen Situation. Als der Läufer mitten im Schneesturm bei Minustemperaturen in bergiger Landschaft im Freien übernachten wollte, packten ihn die Filmleute kurzerhand ins Auto und fuhren ihn zur nächsten Unterkunft. Sein Pensum von durchschnittlich 59 Kilometern pro Tag schaffte Coban trotzdem.
Auf der Plaza Mayor in Lima
In der peruanischen Hauptstadt Lima beginnt Cobans sportliche Extremreise. Auf der dortigen Plaza Mayor spricht der gläubige Muslim ein Gebet und saugt die Eindrücke der Architektur in sich auf. Hier soll sein Lauf in einigen Monaten wieder enden; die Erinnerung an den Platz motiviert ihn. Zunächst läuft Coban durch das Stadtzentrum, dann durch ärmliche Barrios, wo ihn die zahlreichen Straßenköter fast aus dem Konzept bringen. Doch bald gelangt er in die Natur. Zunächst joggt er am Pazifik entlang, dann folgt er Fernstraßen, kämpft mit Hitze und einem hartnäckigen Sonnenbrand.
Bevor die Reise losging, konnten man ihn beim Packen seines Lauf-Rucksacks beobachten, der so leicht wie möglich sein und trotzdem die notwendige Ausrüstung beinhalten muss. Schon am zweiten Tag verhärten die Muskeln; überdies handelt er sich Blasen an den Zehen ein. Doch Coban ist hart im Nehmen und erläutert, was sich physisch während seines Rundlaufs noch alles verändern wird – im Guten wie im Schlechten.
Ein Koffer mit neuen Laufschuhen
Er träumt davon, den Extremsport zum Beruf zu machen. Mit welchen Sponsoren oder anderen Geldgebern ihm das gelingen soll, verrät der Film jedoch nicht. Irgendwer muss Coban seine Ausrüstung ja beschafft haben sowie das Geld für die eine oder andere Übernachtung und die Verpflegung. Einmal, als er die Hälfte der Wegstrecke schon hinter sich gebracht hat, darf er einen Koffer auspacken, in dem sich neue Laufschuhe und die Ausrüstung für die kalten Wegabschnitte befinden. Zuweilen bricht die Verbindung zum Kamerateam ab. Denn neben extremen Wetterbedingungen erschwert die politische Lage in Peru Cobans Unternehmung. Die Menschen protestieren gegen Missstände und verlangen die Auflösung des Parlaments. Dann sind die Straßen blockiert, und das Auto der Filmcrew muss Zwangspausen einlegen.
Coban durchschaut die politischen Zustände in Peru nicht und empfindet sie für sein Vorhaben als störend. Dennoch kommt er mit den Menschen vor Ort gut zurecht und verständigt sich auf Spanisch. Das braucht er vor allem dann, wenn er einheimischen Köchen erklärt, dass er kein Fleisch esse, was auf wenig Verständnis stößt. Es gibt auch Tage, an denen er mangels Alternativen nur Kekse zu sich nimmt, obwohl er einen täglichen Bedarf von 6000 Kalorien hat. An anderen Tagen freut er sich wie ein Kind über eine fettige Junkfood-Pizza.
Aufgeben kommt nicht in Frage
Coban verfügt über ein großes Maß an Pragmatismus. Er nimmt, was er bekommen kann. Auch eine warme Dusche erweist sich nach langen Stunden im Regen als wahrer Segen, sofern die Unterkunft das zu bieten hat. Er setzt sich den Elementen aus, läuft durch Regen, Schnee und Sonnenschein, hört im Amazonas Tiergeräusche, die Autohupen ähneln, und kämpft mit Übelkeit und dünner Luft in extremer Höhe. Als Zuschauer bekommt man durchaus eine Ahnung von der faszinierenden klimatischen und geografischen Vielfalt Perus, während eingeblendete Karten über die einzelnen Etappen des Läufers informieren.
Regelmäßig filmt sich der Extremsportler mit dem Handy. Oft motiviert er sich dann mit lautem Schreien, denn Aufgeben kommt für ihn nicht in Frage. Coban erweist sich als wahres Wunder an Kondition, eisernem Willen und Selbstdisziplin. Seinen sportlichen Ehrgeiz kann seine in Deutschland zurückgebliebene Familie kaum nachvollziehen. Dennoch ist ihm ihre Liebe und Unterstützung gewiss, wenn er sie aus Südamerika anruft.
„Trail der Träume“ lässt die Mentalität und die Strapazen eines Extremsportlers hautnah miterleben. Mitunter kämpft Coban auch gegen Momente der Verzweiflung an, die er vornehmlich am Kamerateam auslässt. Dann schreit er die Filmemacher an, dass er sich etwas mehr Empathie für seine physischen Extremleistungen wünsche.
Ein sympathischer Protagonist
Der Dokumentarfilm ist einigermaßen linear erzählt, was die Spannung steigert, weil so die Frage im Raum steht, ob er es schafft oder nicht. Austauschbar ist Cobans Geschichte dennoch nicht. Denn jeder Superathlet ist anders und außerdem steigt die emotionale Bindung an den sympathischen Protagonisten, wenn er seinen persönlichen Hintergrund und seine eigenen Erklärungen vor der Kamera ausbreitet.