- RegieJürgen Ellinghaus
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2024
- Dauer96 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- AltersfreigabeFSK 12
Vorstellungen
Filmkritik
Viele der dokumentarischen Szenen, die der Afrikaforscher und Filmemacher Hans Schomburgk im damals sogenannten Togoland, einer deutschen Kolonie in Westafrika, filmte, waren lediglich als Lokalkolorit konzipiert. Sie sollten in „exotische“ Filmdramen eingefügt werden, wie sie in den 1910er- und 1920er-Jahren beliebt waren, in Abenteuerfilme oder Melodramen zumeist. Schomburgk realisierte später tatsächlich eine Reihe solcher Produktionen. Heute zählen die Aufnahmen zu den wichtigsten audiovisuellen Quellen der Geschichte des deutschen Kolonialismus in Afrika.
In „Togoland Projektionen“ von Jürgen Ellinghaus erfahren sie nun noch einmal ein Nachleben im Kino, allerdings nicht als spekulative Kintopp-Fantasie – „Eine Weiße unter Kannibalen“ hieß einer der späteren Filme von Schomburgk –, sondern als kritisch-revisionistischer Dokumentarfilm, der die Form eines Road Movies annimmt. Denn Ellinghaus bringt die Aufnahmen aus der Kolonialzeit an ihre Entstehungsorte zurück. Dafür bereist er das heutige Togo und führt den Menschen dort die Bilder der Vergangenheit vor.
Eine deutsche „Musterkolonie“
Der Film versteht sich als erinnerungspolitische Intervention. Togo galt lange als deutsche „Musterkolonie“, insbesondere was die Investitionen der Kolonialmacht in Bildung und Infrastruktur anbelangte. Umgekehrt kursiert in Togo bis heute die Erzählung von den „guten Deutschen“, insbesondere im Vergleich zu den verhassten Franzosen, die ab 1916 in einem Teil des Territoriums die Herrschaft übernahmen.
Die Filmaufnahmen von Schomburgk lassen zwar immer wieder die Realität einer auf Ungleichheit basierenden Gewaltherrschaft erahnen, die der Kolonialismus auch im Togo bedeutete; dennoch reichen sie nicht aus, um derartig beschönigende Formulierungen zu entkräften.
Zum Bild muss also das Wort hinzutreten, das in der Stummfilmzeit, der die Bilder Schomburgks entstammen, noch keinen Eingang ins Kino gefunden hatte, es sei denn vermittels entkörperlichter, in gewisser Weise autoritär auftretender Zwischentitel. „Togoland Projektionen“ mobilisiert das Wort in mehrfacher Hinsicht. Unter anderem in Form eines Voice-Over des Regisseurs, das allerdings selten mehr leistet, als das auszubuchstabieren, was auf den Bildern ohnehin zu sehen ist.
Deutlich interessanter wird es, wenn der Film Aufnahmen von Schomburgk mit einer zweiten historischen Quelle kombiniert: den von einer weiblichen Stimme verlesenen Auszügen aus einem Reisebericht der Schauspielerin Meg Gehrts, die gemeinsam mit Schomburgk durch die deutschen Kolonialgebiete reiste. Der Reiz des Exotischen steht in Gehrts’ Sätzen zumeist im Mittelpunkt, gelegentlich scheint jedoch auch ein erwachendes Bewusstsein für Unrechtsverhältnisse durch.
Spiegelungen im Täter-Opfer-Verhältnis
Deutlich heftiger sind zwei kurze Tagebucheinträge von Valentin von Massow, dem Chef der deutschen Kolonialtruppen, die ebenfalls verlesen werden. Nachdem er nüchtern die Einäscherung mehrerer afrikanischer Städte protokolliert, fügt er an, dass er den Feldzug durchaus in wehmütiger Erinnerung behalten werde; schließlich sei sein geliebter Hund Bobby unterwegs verstorben.
In der Gegenwart finden Togolesen andere Worte, die zu weiteren Kontexten der stummen Schwarz-weiß-Bilder von Schomburgk werden. Tatsächlich ergänzen sich die beiden Perspektiven fast spiegelbildlich. Wo Gehrts und Massow Zeitzeugen der kolonialen Herrschaft waren, aber auf die Opfer des Kolonialismus blickten, als würden diese sie nichts angehen; da schauen die Menschen in „Togoland Projektionen“ in eine Zeit zurück, die sie bisher nur aus teils über mehrere Generationen hinweg tradierten Erzählungen kannten. Wobei sie eine sehr direkte, persönliche Verbindung zu den gefilmten Personen fühlen; das sind unsere Großeltern, heißt es immer wieder, jetzt sehen wir endlich, wie sehr sie gelitten haben.
Es fällt auf, dass die Menschen, die vor Ellinghaus’ Kamera sprechen, sich selten direkt zu den historischen Filmclips verhalten. Dass die schwarzen Menschen in den Filmen oft ganz oder fast ganz nackt sind, sorgt gelegentlich für Verwunderung, teilweise auch für Gelächter. In erster Linie nehmen die Interviewten die Bilder jedoch zum Anlass, um nach ihren eigenen Maßstäben über die Kolonialzeit und ihre Folgen zu sprechen. Manche erzählen Geschichten über Massaker, denen Familienmitglieder zum Opfer gefallen sind. Andere berichten vom heldenhaften Widerstand einzelner Häuptlinge. Einmal ist von einem Fluch die Rede, der seit einem Massaker der Deutschen auf einem Dorf lastet und die Einwohner nicht mehr ruhig schlafen lässt. Außerdem vergleichen die Togolesen ihr aktuelles Leben immer wieder mit dem ihrer Vorfahren. Der Wert einer selbstbestimmten Existenz ist den Aufnahmen von Schomburgk quasi ex negativo eingeschrieben.
Match-Cut-Spielereien
Eher nebenbei wird die Vielfalt der Perspektiven innerhalb Togos sichtbar. Die Dorfältesten in einer ländlichen Region reden anders über die Vergangenheit als die Mitglieder eines Filmclubs in der Großstadt oder eine Gruppe von Schulkindern, für die der Kolonialismus vor allem auswendig zu lernender Prüfungsstoff ist. Solche Gegenüberstellungen sind deutlich produktiver als das meiste, was Ellinghaus mit den Bildern aus dem historischen Togoland anstellt. Wenn er an Schomburgks Kamera vorbeigaloppierende Reiter per Match Cut mit Passanten im heutigen Togo verknüpft, verkommt das Konzept zur bloßen Spielerei. Die historischen Bilder sind, stellt sich dann schnell heraus, durchweg deutlich weniger interessant als das, was sie auslösen.