- RegieAndreas Dresen
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2017
- Dauer102 Minuten
- GenreDramaAbenteuerKinderfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 0
- IMDb Rating5/10 (237) Stimmen
Vorstellungen
Filmkritik
„Kennt ihr eigentlich Seebühl? Nein? Nicht? Merkwürdig – keiner, den man fragt, kennt Seebühl!“ So begann Erich Kästner seinen Kinderroman „Das doppelte Lottchen“, und mit ähnlich hintergründigem Charme trat er höchstpersönlich als Erzähler 1950 in der Verfilmung auf. Auch „Timm Thaler“ greift auf einen Erzähler zurück, auf Joachim Król, und nicht nur durch ihn und seinen Sprechduktus glaubt man sich in Andreas Dresens Film häufiger in einer Kästner-Verfilmung als in der Adaption des Kinderromans von James Krüss. Der erschien 1962 und wurde 17 Jahre später als 13-teilige Fernsehserie zum „Straßenfeger“, wobei sie sich manche erzählerische Freiheit gegenüber der Vorlage erlaubte. Beibehalten hatte sie die Frachtschiffsreise, die es in Dresens aufwändiger Neuverfilmung nun nicht mehr gibt, während ein Handlungsort bedeutsamer wird, der auch bei Kästner stets auftaucht: das Nobelhotel. Da glänzt und leuchtet der Prunk, begegnen sich soziale Schichten der 1920er-Jahre vom Gast bis zum Angestellten, und doch lässt alles seltsam kühl, fast schon distanziert. Weniger mit dem Herzen als mit dem Kopf schaut man zu, assoziiert thematisch verwandte Märchen um verkaufte Schatten (in Chamissos „Peter Schlemihl“) und verkaufte Herzen (im Hauffs „Das kalte Herz“) – und kommt dem neuen „Timm Thaler“ doch nicht richtig nah. Dabei hat Andreas Dresen im Prinzip ja alles richtig gemacht, um einen „großen Unterhaltungsfamilienfilm“ herzustellen. „Timm Thaler“ erzählt von einem Pakt mit dem Teufel, dem mythischen Handelsbündnis, bei dem ein Mensch ahnungslos-naiv seine Seele für Reichtum, Macht oder magische Fähigkeiten verschachert. Timm, 13-jähriger Arbeitersohn aus sehr bescheidenen Lebensverhältnissen, muss den Tod seines Vaters verkraften, die Kaltherzigkeit seiner Stiefmutter erdulden, die Häme seiner Mitschüler und den herzlosen Egoismus seines Stiefbruders. Einzig die gleichaltrige Ida, die durch ihren „Klumpfuß“ wie er zum Außenseiter abgestempelt ist, erkennt sein offenherziges, lebensfrohes Wesen und genießt dessen schönsten Ausdruck: Timms ansteckendes Lachen. Doch das begehrt auch der mysteriöse Baron Lefuet (der Name ein Ananym, das es rückwärts zu lesen gilt), der Timm auf der Pferderennbahn, wohin ihn die Erinnerung an den Lebenstraum seines Vaters treibt, auflauert und ihn zu einer Unterschrift auf einem Vertrag verführt: Der dämonische Adelige bekommt Timms Lachen, der dafür ab sofort jede Wette gewinnt. Bald schon erkennt der Junge die Macht seiner neuen Fähigkeit, viel zu spät aber deren Kehrseite, sodass er mit jeder Wette seine Lebensfreude und seine Fähigkeit des Mitgefühls einbüßt. Derweil errichtet Lefuet auf Timms Lachen sein Imperium: einen riesigen Konzern mit devoten Angestellten, aufgebaut auf technokratischen Strukturen und der Überwältigung der Massen mit visionären Methoden eines noch bevorstehenden Zeitalters. Und so entwickelt sich aus der melancholischen Fabel ein sehr professionelles, mitunter entfesseltes Katastrophenszenario, bei dem es um nichts weniger geht als um das Ringen um Menschlichkeit, wobei unter dem finalen Gewitter eher Harry Potter grüßt als das Märchenhafte der Geschichte – oder gar der (Un-)Geist der 1920er-Jahre an der Schwelle zu einer düsteren Epoche. Die Inszenierung kostet den ihr ermöglichten Aufwand an Kulissen und Ausstattung weidlich aus, den Einsatz von Tricks und Effekten um tosende Unwetter und magische Gestaltenwandel, wenn das „komische“ Sidekick-Duo Axel Prahl und Andreas Schmidt von Teufelsadlaten zu spionierenden Ratten mutiert. Stets spürt man dabei den Kraftakt, die Anstrengung, alles in einen „großen“ Familienfilm zu pressen. Gewiss: Die Fabel um die Faszination der Wettlust, die (falsche) Hoffnung auf ein Wunder und die Erkenntnis wahrer Werte und Tugenden ist durchaus widerstandsfähig und trägt den Film, gleichwohl will sie nie so recht einen eigenen Charme „atmen“ – es ist, als hätte der Film selbst einen Pakt geschlossen und seine „Seele“ gegen den Preis des hohen Budgets getauscht. Auch in Krüss’ Roman schwebt ja stets ein Hauch Kästner mit, was ihm gut tut; bei Dresen ist dieser Hauch nur ein weiteres Element aus dem Satzbaukasten des „Family Entertainment“. Dazu, dass man einmal wie bei Kästner im „Doppelten Lottchen“ die anbrennenden Schweinsripperl vergisst, weil man plötzlich „nicht von dieser Welt“ ist, dazu kommt es nicht.