- RegieAlina Gorlova
- Dauer102 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- AltersfreigabeFSK 12
- IMDb Rating7.3/10 (0) Stimmen
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Filmkritik
Aus dem Dunkel der Leinwand erwachen die Bilder. Ein gewelltes, verkarstetes Universum, schwarz-weiß, menschenleer. Die Ödnis, aus der alles erwuchs – und in die alles wieder führen kann. Ein fremder Planet, oder doch die Erde?
„This Rain Will Never Stop“ mit seinen monochromen Motiven, der düsteren Endzeitlyrik, die immer wieder von leiser Zuversicht durchwebt ist, ist ein besonderer Film. Gemeinsam mit dem Kameramann Wjatscheslaw Tswetkow gelingt Regisseurin Alina Gorlowa ein philosophisches Essay, das sich tradierten narrativen Mustern verweigert, keine fertigen Denkergebnisse liefert, sondern zu einem Wechselspiel der Emotionen einlädt. Ein Film der Irritationen und schroffen Gegensätze: Verzweiflung und Hoffnung, eine nicht enden wollende Trauer und die Schimmer von Glück, dauernder Krieg und fragiler Frieden.
Der Krieg holt die Familie bald wieder ein
Zentrale Figur ist der 20-jährige Andriy Suleyman, Sohn eines kurdisch-syrischen Vaters und einer ukrainischen Mutter. Als Andriy in der 9. Klasse war, floh seine Familie 2012 vor dem Bürgerkrieg in Syrien nach Lyssytschansk, die Heimat der Mutter in der Ostukraine. Doch der Krieg holte die Suleymans bald wieder ein. Trotz der Gewalt, die sie umgab, blieb die Familie in der Ukraine. Andriy entschloss sich, als Freiwilliger beim Roten Kreuz mitzuarbeiten. Die Eltern hätten es zwar gern gesehen, wenn er nach Westeuropa gegangen wäre, um dort seine Ausbildung fortzusetzen. Das scheint für ihn aber keine Option zu sein, im Gegenteil: Er kehrt in den Nahen Osten zurück, begegnet der Familie des Onkels im Irak und kümmert sich um die Überführung des Leichnams seines verstorbenen Vaters in die syrisch-kurdische Heimat.
Alina Gorlowa nutzt für Andriys Geschichte nicht die Form einer chronologischen Reportage, sondern setzt die Geschehnisse wie ein Puzzle zu elf fragmentarischen Kapiteln zusammen. Die Kapitel sind nummeriert, von Null bis Neun, am Ende steht wieder eine Null. Nach jeder Zahl blitzt für den Bruchteil einer Sekunde ein nervöses, für das Auge kaum fassbares Bildmotiv auf, das vermutlich aus den verkarsteten Landschaften des Filmbeginns destilliert wurde. Wie hier sind viele Bilder digital verfremdet; auch die Toncollagen tragen zum experimentellen Gestus von „This Rain Will Never Stop“ bei.
Der zerklüftete Fluss der Erzählung
Im zerklüfteten Fluss der Erzählung ist Andriy keineswegs die treibende Figur; er wirkt sogar eher passiv, wie in einen Strudel der Ereignisse hineingezogen, in dem er sich zu verhalten hat. Nicht seine Gespräche bestimmen den Film, sondern sein Schweigen, seine Blicke, sein Lächeln. Es gibt weder Interviews noch Autorenkommentare, nur Vorgänge, die Andriy bisweilen ebenso orientierungslos zurücklassen wie das Publikum. Erst in der Montage des Films, innerhalb der einzelnen Kapitel, entstehen erzählerische Inseln.
„This Rain Will Never Stop“ ist das Mosaik einer in vielfacher Hinsicht gespaltenen Welt. Die Genügsamkeit eines ukrainischen Kleinbauern, der seine frisch geborenen Zicklein mit Milch füttert. Die ausufernden Volkstänze bei einer Gala des Roten Kreuzes. Eine alte Frau, deren Flucht durch starke Rückenschmerzen gebremst wird, oder die Nahaufnahmen von Händen einer Therapeutin, die einen verstümmelten Soldaten massiert. Sie stehen gegen das Aufsetzen eines Geschützrohrs auf den Körper eines Panzers. Die opulente Hochzeit von Andriys Bruder in Deutschland kontrastiert mit der Kargheit einer Unterkunft für Geflüchtete im Irak. Die bildfüllende Formation paradierender Soldaten, einer aus Menschen gebildeten Kampfmaschine, wirken wie der Gegenpol zu den fröhlich-tänzerischen Bewegungen während eines Christopher-Street-Day-Umzugs in Deutschland. Hedonistischer Westen, irakisches Flüchtlingscamp. Fragmente eines Weltzustands, ganz ohne pädagogischen Zeigefinger. Jede und jeder kann sich seinen eigenen Reim auf diese Komposition der Gegensätze machen.
Ein Simplicissimus des 21. Jahrhunderts
Was bleibt, sind widerstreitende Gefühle. Einerseits dominiert der Eindruck, als Einzelner nichts an diesem Weltzustand ändern zu können. Anderseits wird durch die Figur des scheinbar nur von den Ereignissen getriebenen Andriy doch auch deutlich, dass kleine Handlungen der Solidarität zumindest eine Linderung der Verhältnisse bewirken. Auch wenn Andriy ein vollkommen unheldischer Held ist, eine Art Simplicissimus des 21. Jahrhunderts. Ein Ende seiner Odyssee ist in keiner seiner beiden Heimaten absehbar, weder in der Ukraine noch in Syrien. Und doch steht Andriys Humanität gegen die Schrecklichkeiten von Krieg und Vertreibung, wann und wo auch immer.