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- RegieKatarina Schröter
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2015
- Dauer74 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
In London tauchen an mehreren Orten identische Koffer auf, aus denen derselbe nackte schwarze Mann (Bishop Black) steigt und sich wenig später unters Volk mischt. Im Voice-Over warnt dazu ein polemisch überzeichneter Politiker davor, dass Flüchtlinge die englische Gesellschaft zersetzen. Ganz unrecht hat er damit nicht, denn einer der namenlosen Fremden mit athletischer Statur und blauem Lidschatten wird bald eine prototypisch bürgerliche Familie in die Krise stürzen.
Der kanadische Regisseur Bruce LaBruce hat sich mit seinem neuesten Low-Budget-Film ganz unbescheiden der Aufgabe verschrieben, ein Remake von Pier Paolo Pasolinis „Teorema“ zu drehen. Pasolinis Film aus dem Jahr 1968 erzählt, wie ein geheimnisvoller attraktiver junger Mann nacheinander die Mitglieder einer Mailänder Industriellen-Familie verführt. Die Haushälterin, die Mutter, der Vater, die Tochter und auch der Sohn verfallen ihm zunächst hoffnungslos, und als der Gast eines Tages wieder verschwindet, zerbrechen sie an den Lügen ihres bourgeoisen Lebens.
Eine Abfolge einzelner Nummern
Die Handlung übernimmt „The Visitor“ zwar fast identisch, folgt dabei aber keiner herkömmlichen Erzählweise, sondern reiht vielmehr einzelne Nummern aneinander. Die Ankunft beginnt etwa mit einem Ritual, in dem bereits Sexuelles und Religiöses miteinander verschmelzen. Das Festessen der Familie reichert der Besucher dabei mit Blut, Urin und Exkrementen an. In der Folge färbt sich die Leinwand auch immer wieder in Rot, Gelb und Braun.
Der Großteil des Films besteht aus einer Abfolge expliziter sexueller Begegnungen, die LaBruce mit allerlei Verfremdungseffekten wie ein Musikvideo inszeniert. Während auf dem Soundtrack Hannah Hollands Electro-Beats wummern und die Bilder kopulierender Darsteller mal blau, mal rot eingefärbt werden, flackern immer wieder in großen Buchstaben Wortspiele und politische Slogans wie „Open Legs, Open Borders“ oder „Anal Liberation Now“ auf; eine Methode, die LaBruce unter anderem schon bei seinem RAF-Porno „The Raspberry Reich“ eingesetzt hat.
Die verschiedenen erotischen, meist auf die eine oder andere Art queeren Spielarten, die „The Visitor“ vorführt, sollen die heteronormative Herrschaft herausfordern. Sex ist im Film eine revolutionäre Kraft oder besser gesagt ein Allheilmittel gegen alles, was an der Welt schlecht ist: Kapitalismus, Patriarchat, Kolonialismus. Das Leben des Bürgertums wird als lächerliche Travestie dargeboten und wirkt vor allem deshalb so zahnlos, weil sich kein Interesse an wirklicher Kritik an der Bourgeoisie erkennen lässt. Auch Rassismus und soziale Ungleichheit bleiben lediglich lieblos eingeworfene Schlagworte.
Heiliger Ernst im anarchisch Amateurhaften
Man könnte einwenden, dass sich der Film ja bewusst trashig gibt und lieber laut und grell als nuancenreich sein möchte. Die Idee eines Agitprop-Pornos hat in der Theorie tatsächlich ihren Reiz, kann aber zumindest in der Version von LaBruce nicht überzeugen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass sich der Film zwar absichtlich geschmacklos gibt, der Humor dabei aber auf der Strecke bleibt. Im anarchisch Amateurhaften steckt zugleich ein heiliger Ernst, mit dem versucht wird, etwas künstlerisch und politisch Bedeutungsvolles zu produzieren. Eine weise Entscheidung war es zumindest, den Dialog auf ein Minimum zu reduzieren. Die Gesprächsszenen wirken so staksig, dass man regelrecht erleichtert ist, sobald wieder die Musik einsetzt.
„The Visitor“ gibt sich sexpositiv, wirkt dabei jedoch immer ein wenig trotzig. In den erotischen Szenen geht es weniger um Genuss als darum, etwas möglichst Revolutionäres darzubieten. Statt Hingabe sieht man vor allem den Versuch, Tabubrüche zu finden, die eigentlich keine mehr sind. Ob es sich um einen Dildo mit Kruzifix handelt oder eine inzestuöse Szene, die Grenzüberschreitungen kommen fast durchweg aus der Mottenkiste. Ermüdend an „The Visitor“ ist, dass er im Grunde genommen wenig Interesse an seiner eigenen Agenda hat. Es bleibt bei kecken Kampfrufen und selbstgenügsamen Revoluzzer-Gesten.