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Filmkritik
Weltuntergangsfilme haben in jüngster Zeit an Zahl zugenommen, kaum überraschend angesichts der realen Bedrohung durch Atomwaffen, Terroristen und Umweltkatastrophen. Die meisten von ihnen nehmen die Vernichtung der uns vertrauten Welt zum Anlass, nichts als eine sensationelle Story zu erzählen. Es sind die Effekte, die heutige Filmemacher am stärksten interessieren, nicht der Verlust der Humanität und die bis in religiöse Konnotationen reichenden existenziellen Fragestellungen. Der Schriftsteller Cormac McCarthy („No Country for Old Men“) hat in seinem Roman „Die Straße“ das genaue Gegenteil unternommen, nämlich eine postapokalyptische Fabel als Auslöser einer Meditation über Zivilisation und Menschsein zu verwenden. Was bleibt von uns übrig, wenn alles um uns herum zerstört ist, wenn wir zurückgeworfen sind auf die nackte Existenz? Aus dem ebenso verstörenden wie profunden Entwurf McCarthys einen Film zu machen, ist schon deshalb eine Herausforderung, weil die Essenz des Buches im Philosophischen liegt, von dem man gemeinhin annimmt, dass es sich der Übersetzung in die Filmsprache verweigert. Der australische Regisseur John Hillcoat („The Proposition – Tödliches Angebot“, fd 38310) hat sich in seinem ersten amerikanischen Film auf die Herausforderung eingelassen. Er erzählt die Story dem Buch getreu nach, ebenso unsentimental und ohne Abschweifungen: die Geschichte eines Vaters, der nach der (nicht näher definierten) Katastrophe nur einen Grund für seine Fortexistenz sieht, der darin besteht, seinen kleinen Sohn zu beschützen. Es sind weniger Naturgewalten, vor deren Folgen er ihn bewahren muss, als die wenigen anderen Menschen, die mit dem Leben davongekommen sind. Er fasst den Entschluss, aus der desolaten Welt, die ihn und sein Kind umgibt, zum Meer vorzustoßen – nur um nach endlosen, seine letzten Kräfte aufzehrenden Märschen erkennen zu müssen, dass es das Leben, von dem er wenigstens noch eine Spur zu finden hofft, auch dort nicht mehr gibt. Nur in seinen Träumen sieht er Blumen blühen, hört er Vögel singen und gewahrt er noch einmal das Gesicht seiner Frau. Überall stößt er auf Zeichen des Kannibalismus, und die Kugel, die er in seinem Revolver für sich aufgespart hat, muss er opfern, um sich und sein Kind vor dem Überfall durch eine Horde menschenfressender Banditen zu schützen. Zum Erschrecken und Unverständnis des Sohnes fällt auch von ihm Schicht um Schicht jede Empathie für andere ab, denen sie auf ihrem langen, immer mehr von der elementaren Suche nach etwas Essbarem motivierten Weg begegnen. Optisch hat Hillcoat den Leidensweg durch eine zerstörte Welt auf monochrome Landschaften reduziert, deren Ödnis hier und da durch den Kontrast scharfkonturiger, farbkräftiger Erinnerungsbilder noch verstärkt wird. Er erzeugt die albtraumhafte Sequenzen verfallender Orte, ausgelöschter Lebensräume und verlorener Hoffnungen nicht mit Hilfe hoch technisierter Effektlabors, sondern indem er reale apokalyptischer Naturereignisse – wie zum Beispiel die abgestorbene Region um den Vulkan Mount St. Helens – aufsucht. Die Authentizität der Lokalitäten bleibt dem Zuschauer nicht verborgen und fördert die für einen heutigen Katastrophenfilm ungewöhnliche Perspektive, die sich hinter den Bildern und den spärlichen Dialogen einstellt. Es geht hier nicht um die Zerstörung der Erde durch Atomwaffen oder um die Vergiftung der Atmosphäre als Folge kriegerischer Auseinandersetzungen. Es ist der Verlust der Menschlichkeit, der Hillcoat – wie schon McCarthy – interessiert, wie Menschen, die einst ein „normales“ Leben geführt haben, auf die Stufe von Tieren reduziert werden, raubt man ihnen den Lebensraum, den die Zivilisation über Jahrtausende geschaffen hat. Wohl aus Rücksicht auf die Vermarktbarkeit des Films enthält sich Hillcoat der schockierendsten Beschreibungen in McCarthys Buch. Doch er versteht es geschickt, mit Andeutungen verständlich zu machen, was sich im Kino nicht mit der gleichen Drastik aussprechen lässt wie im Roman. Auch das Ende des Films, das man in seiner optischen Unzweideutigkeit als eine Art Happy End missverstehen könnte, ist nichts anderes als eine Affirmation des Humanismus, von dem dieser vordergründig so deprimierende Film getragen wird.