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Filmkritik
Der zehnjährige Amleth (Oscar Novak) weiß nicht, wohin ihn das stürmische Meer treiben wird. Schockiert, verzweifelt, wütend und voller Angst ist er mit dem schmalen und doch für seine zierliche Gestalt viel zu großen Ruderboot geflüchtet. Nichts hat er gerettet, außer seinem Leben und dem Wenigen, das er am Leib trägt. Das einst so stolze Reich, in das ihn seine Eltern, König Aurvandill (Ethan Hawke) und Gudrún (Nicole Kidman), geboren haben, ist nicht mehr. Königsmörder führen dort jetzt das Regiment, und Amleth steht ganz oben auf der Liste derer, deren Blut noch vergossen werden soll. Doch wie durch ein Wunder rudert er jetzt durch die aufbrausende, graue See. „Den Vater rächen! Den Onkel töten! Die Mutter befreien!“ Er muss seine Aufgabe sich und den Elementen immer und immer wieder entgegenschreien, damit er selbst weiß, dass er lebt, und die Winde verstehen, dass sie ihn leben lassen müssen, damit er seine Mission erfüllen kann.
„The Northman“ ist die Geschichte einer lebenslangen Rache. Sie wird den gestählten Berserker Amleth (Alexander Skarsgård) mit Anfang dreißig nach Island führen. Als Sklave begibt er sich unerkannt an den abgeschiedenen Hof seines schon bald nach dem Putsch geflüchteten Onkels Fjölnir (Claes Bang). Er wartet auf den Augenblick, an dem sein Gelübde eingelöst werden kann: seine Mutter, die dort als „Beute“ und Gemahlin Fjölnirs lebt, zu befreien, seinen Onkel im Zweikampf zu töten und damit seinen Vater und seine Schmach zu rächen.
Nordländer-Sagen in den Händen eines Amerikaners
Die Vita von Filmemacher Robert Eggers könnte nicht weiter entfernt sein von den alten Sagen der Nordländer des europäischen Kontinents. 1983 in Lee im US-Bundesstaat New Hampshire geboren, hat er keinerlei familiäre oder kulturelle Bezüge zu den Sagen, die dereinst William Shakespeare zu seinem „Hamlet“ inspirierten. Doch nach eigenen Angaben waren es zwei Bücher mit Holzschnitten von Albrecht Dürer und Martin Schongauer, die ihn als Zwölfjährigen weg von den US-amerikanischen Superheldencomics hin zu den Fratzen der „Alten Welt“ gelockt haben.
Eine Erklärung, die in Kombination mit der später entwickelten Liebe zum angelsächsischen Raum ein wenig verständlicher macht, wie aus dem Kopf des in New England aufgewachsenen Eggers solche Geschichten wie die zu seinen ersten beiden Filmen „The Witch“ (2015) oder „Der Leuchtturm“ (2019) heranreifen konnten. Geschichten, in denen das finstere, brutale und rostige Mittelalter ebenso Spuren hinterlässt wie die selbstverständliche Allgegenwärtigkeit von Hexenwerk und sich ins Menschenfleisch schneidende Klingen. Eggers fasziniert die Monochromatik der alten Meister, die gepaart mit der Archaik eine ganz andere Sinnlichkeit des Übernatürlichen erzeugt als Superhelden-Comics. Logisch, dass nun auch sein „Thor“ in anderen Dimensionen agiert als der von Marvel.
Die nun umgesetzte Geschichte von Amleth und seiner Rache an Fjölnir, die Saxo Grammaticus Ende des 12. Jahrhundert im 16-bändigen „Gesta Danorum“ („Die Taten der Dänen“) niedergeschrieben hat, ist nicht nur in Shakespeares „Hamlet“ unsterblich geworden. Sie ist eine Art Blaupause für alle Rachegeschichten bis hin zum Kino-Mainstream, in denen Mord aus Missgunst und Geltungssucht von denen gerächt wird, die überlebten. Es hätte also auch ein weiterer pathetischer „Braveheart“ oder „Gladiator“ entstehen können, wenn sich der Regisseur in der amerikanischen Unterhaltungskultur heimatlich fühlen würde und seinen Produzenten gefolgt wäre, die ihm für die 65 Millionen Dollar Budget (das wegen Corona noch um 25 Millionen wuchs) auf Rentabilität verpflichtet hatten.
Nicht nur ein Epos mit Muskeln
Doch nur ein Epos mit Muskeln, wie es der Trailer besagter Produktionsfirma suggeriert, ist „The Northman“ nicht geworden; was nicht zuletzt daran liegt, dass Eggers den isländischen Romancier und Lyriker Sjón, der auch das Drehbuch zum Mysterydrama „Lamb“ verfasste, für die Mitarbeit an „The Northman“ gewinnen konnte. Das Pop-Enfant-Terrible Björk hatte Eggers’ „The Witch“ geliebt und ihren Landsmann dem Regisseur vorgestellt. Sjón hat die Nordmann-Saga mit dem US-Amerikaner gemeinsam geschaffen, und Björk spielt die kleine Rolle der Seeress, einer hexenhaften Botschafterin der Götter.
Der Film spielt über weite Strecken auf Island zu Beginn des 10. Jahrhunderts, wo das Recht des Stärkeren noch mit abgerissenen Köpfen besiegelt wird. „The Northman“ ist gewalttätig, wenn sich die plündernde und mordende Truppe um den erwachsenen, aber noch richtungslosen Amleth durchs Festlandeuropa mordet. Erst als er erfährt, wo sein Onkel zusammen mit seiner „geraubten“ Mutter untergekommen ist, bekommt sein Tun wieder eine rationale Richtung. Als scheinbar wehrloser Sklave lässt er sich nach Island verschiffen, wobei er Olga (Anya Taylor-Joy) kennenlernt. Eine verschlagene, gewitzte, aber auch liebevolle Person, die nicht ganz von dieser Welt scheint. Zusammen mit ihr kommt er an den Hof Fjölnirs, der kaum eines Königstitels würdig ist. Hier leben nicht nur seine Mutter Gudrún, sondern auch sein Cousin Thorir (Gustav Lindh) und Amleths unbekannter kleiner Stiefbruder Gunnar (Elliott Rose), dessen Existenz den Schmerz über das zerstörte Familiendasein nur noch verstärkt.
Dieser Mittelteil des über zweistündigen Films ist anders als der wilde Prolog oder das bedeutungsgeladene Finale. Sjón und Eggers nehmen sich hier Zeit, um den perfiden Racheplan zu schmieden. Und hier bekommt „The Northman“ viel von dem aschgrauen Lokalkolorit, das das Leben zwischen dem Bestellen der Scholle und dem Beschwören der Hexen, Götter und Ahnen nahebringt. Das „Epos mit Muskeln“ bekommt hier sein Flachshemd verpasst.
Authentisches Wikingerleben und eine Welt des Übersinnlichen
„The Northman“ ist ein Wagnis, bei dem der Regisseur kurz vor dem Aufgeben stand, weil seine Vision so konträr zu der seiner Produzenten war, die vor allem ihre 90 Millionen Dollar in Sicherheit bringen wollten. Daher finden sich neben den fast schon authentisch anmutenden Szenen vom Wikingerleben, den drogengeschwängerten Sequenzen angefüllt mit Blut, Sex und Gewalt sowie den betörend schönen Visionen einer Welt voller Übernatürlichkeit auch pure, banale Hollywoodkonventionen. Eggers bezeichnet den finalen Schnitt (der nicht seiner ist) als „schmerzhafteste Erfahrung seines Lebens“. Immer wieder sieht und hört man im Film Szenen, bei denen eindeutig die Dramaturgie Hollywoods das Ruder übernommen hat. Dennoch ist ein gewaltiges Werk, voller Wucht, einzigartiger Bilder und eindrucksvoller Musik geblieben. Robert Eggers hat sich an einen großen Film gewagt und Großes vollbracht.
Man wird sehen, ob es nach der Kinoauswertung noch eine weitere Fassung des Filmes geben wird, die dann für die Ewigkeit gemacht ist und in einer Reihe mit Nicolas Winding Refns Elegie „Walhalla Rising“ steht. Das Potenzial dafür hat Eggers’ Film auf jeden Fall: Wenn sich Amleth und Fjölnir Mann gegen Mann gegenüberstehen und eigentlich nichts mehr da ist, wofür sich Rache lohnt, dann findet „The Northman“ auf Island ein Ende, das noch lange in den Filmgeschichtsbüchern (auch von Hollywood) bestehen wird.