- RegieSteffen Krones
- ProduktionsländerDeutschland
- Dauer92 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- AltersfreigabeFSK 0
- TMDb Rating6/10 (2) Stimmen
Vorstellungen
Filmkritik
Alles beginnt im Jahr 2019 mit einer Reise nach Norwegen, bei der Filmemacher Steffen Krones den Tourguide und Naturschützer Kris Jensen kennenlernt. Jensen lebt nördlich des Polarkreises auf den Lofoten, einer Inselgruppe im Nordpolarmeer. In seinem winzigen Kanu, an dem ein mit einem überdimensionalen Müllsack beladenes Lastkanu hängt, paddelt Kris zu den kleinsten und unzugänglichsten Inseln und sammelt Abfall ein – eine Sisyphos-Arbeit. Steffen Krones schließt Freundschaft mit ihm und begleitet ihn. Schon der erste Blick zeigt, wie allgegenwärtig Abfälle sogar hier oben, im hohen Norden, sind. „Catch of the day“ (Fang des Tages), nennt Kris die tägliche Ausbeute an Fischnetzen, Boots- und Schiffsteilen und allen möglichen anderen Gegenständen, die er manchmal mit erheblichem Kraftaufwand aus dem Boden zerren muss, weil sie teilweise schon seit Monaten und Jahren hier liegen.
Dabei findet sich auch die leere Bierdose einer deutschen Bierbrauerei. Die beiden spekulieren darüber, wie sie in den Nordatlantik gelangt sein könnte, und Steffen entwickelt daraus einen Plan: Er will nachweisen, dass Müll von Deutschland über die Elbe bis auf die Lofoten gespült werden kann. Dafür nutzt er seine zahlreichen Kontakte. Er findet eine Reihe von Experten und Institutionen, die ihn unterstützen und bei denen er weitere Informationen einholt. Seine Idee ist, per GPS überwachte, kleine Bojen in der Elbe auszusetzen und ihren Weg zu verfolgen.
Überall liegt Müll
Steffen Krones beginnt vielversprechend mit Bildern von den Lofoten, einer auf den ersten Blick unberührten Region – eine wunderschöne, karge Landschaft, umtost von wilden Stürmen und umgeben von einer fast immer aufgewühlten See. Doch der Schein trügt, denn schon der erste Blick zeigt: Überall liegt Müll, zu Wasser, zu Land, auf dem Meeresboden und am Strand. Die ersten Minuten bis zum Vorspann gehören allein dem Wind und den Wellen sowie dem einsamen Mann in seinem Kanu, der sich furchtlos aufs Meer wagt, um die Arktis von den Hinterlassenschaften der Menschen zu befreien. Dagegen setzt Krones unkommentierte Bilder von feiernden jungen Leuten in der Disco, von vollen Stränden und überquellenden Abfalleimern – ein gelungener Einstieg, der Appetit auf mehr macht.
Nach dem Vorspann etabliert sich der Filmemacher als Ich-Erzähler, der sich selbst und seine Liebe zum Norden vorstellt, ebenso seinen Freund und Gefährten Kris Louis Jensen. Der Fund der Bierdose führt ihn zu der Idee, den Weg des Mülls von Steffens Heimatstadt Dresden aus zu verfolgen. Wieder zurück in Deutschland packt Steffen die Realisierung an, die praktisch deckungsgleich mit der Entstehungsgeschichte des Films ist. Die ersten Versuche mit GPS-Bojen scheitern, aber (etwas sehr) zufällig findet Steffen dabei die Flaschenpost eines Fünfjährigen, den er kennenlernt und daraufhin für kurze Zeit in seinen Film einbaut. Als er die nächste Generation von GPS-Bojen, die er Drifter nennt, in der Elbe aussetzt, ist eine der Bojen nach dem Jungen benannt. Das Kind darf im Ruderboot verfolgen, wie Steffen den Drifter mehr oder weniger feierlich im Fluss platziert.
Zuerst Road Movie, dann Reportage mit Rahmenhandlung
Diese eigentlich ganz hübsche Nebengeschichte, deren einzige inhaltliche Aufgabe darin bestehen könnte, Emotionen im Publikum freizusetzen, ist vielleicht symptomatisch für den ganzen Film. Für seine erste abendfüllende Dokumentation konnte Krones zwar seine Erfahrungen mit Kurz- und Werbefilmen gut gebrauchen, was sich an den handwerklich gelungenen Bildern und einer abwechslungsreichen Gestaltung zeigt. Aber 90 Minuten mit einer schlüssigen Geschichte und einer fesselnden Handlung zu füllen, erfordert ein starkes inhaltliches und dramaturgisches Konzept, aus dem heraus sich das Interesse des Publikums entwickeln und steigern lässt. Was als Road Movie beginnt, wird zu einer Art Reportage mit Rahmenhandlung, ergänzt durch eine Vielzahl an Informationen und Statements. Krones verlässt sich dabei etwas zu sehr auf die Wirkungskraft seines Sujets und auf die Emotionen, die er durch Bilder und Musik erzeugt.
Im Zusammenhang wirkt die dramaturgisch letztlich unbedeutende Bekanntschaft mit dem kleinen Jungen allzu menschelnd und hinterlässt einen merkwürdigen Beigeschmack – den Zufall mag man gar nicht so recht glauben, und das Kind, das im Verlauf dann nicht mehr gezeigt wird, erfüllt prinzipiell keine Funktion. Es wird zu einer Art schmückendem Beiwerk, und Ähnliches gilt auch für Kris Jensen, denn im Vordergrund steht immer stärker der Filmemacher selbst, der in nahezu jeder Einstellung zu sehen ist, inklusive einer Pressekonferenz in Dresden.
Über die Flüsse in die Weltmeere
Dabei sind sein Vorhaben, das man problemlos als Forschungsexperiment bezeichnen kann, und seine Interviewpartner – Wissenschaftler und Experten aus mehreren Ländern – interessant und das, was sie zu sagen haben, ist substanziell: Über die Flüsse verbreitet sich Müll in allen Weltmeeren, es gibt regelrechte Hotspots, wo sich die Abfälle sammeln. Dazu gehören offenbar auch die Lofoten. Besonders die Vermüllung der Erde mit Kunststoff ist nicht mehr aufzuhalten, Plastikabfälle haben sich in den letzten rund 60 Jahren überall verbreitet. Es geht jetzt um Schadensbegrenzung, und zwar so schnell wie möglich, wobei die Folgen der Meeresverschmutzung durch Mikroplastik noch gar nicht ausreichend erforscht wurden.
Der Appell ist also ganz klar, das Engagement des Filmemachers ist durchgängig erkennbar, und dafür hätte es nicht eines Soundtracks bedurft, der mit der Unterstützung schluchzender Geigen wieder und wieder die Bedeutung des Films und die Absichten des Filmemachers repetiert. Ein bisschen zu viel Holzhammertaktik. Doch der Film schärft immerhin den Blick für ein Problem, das, vom Menschen geschaffen, auch vom Menschen gelöst werden müsste. Denn tatsächlich stellen Kunststoff und Müll in den Weltmeeren nur so etwas wie die Spitze des Eisbergs dar von dem, was die Menschheit der Natur antut.