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Filmkritik
Der zweite lange Spielfilm des Regisseurs, Fotografen und Autors Pawo Choyning Dorji ist im Jahr 2006 angesiedelt. Nach Jahrhunderten der absoluten Monarchie wandelt sich der kleine Himalaya-Staat Bhutan in eine parlamentarische Monarchie, nachdem König Jigme Singye Wangchuck zwei Jahre zuvor vorzeitig zugunsten seines Sohnes Jigme Khesar Namgyel Wangchuk abgedankt hat. Nun werden politische Parteien und freie Wahlen nach britischem Muster eingeführt.
Mit dem politischen Systemwechsel reagierte der Monarch auf die technologischen Fortschritte und die tiefgreifenden Veränderungen der Globalisierung, die das Risiko verstärkten, dass die Bevölkerung Bhutans von der weltweiten Entwicklung abgeschnitten wird. Zugleich stellte der gravierende soziale Wandel das bewährte Konzept des Bruttonationalglücks in Frage. Denn die 750.000 Bürgerinnen und Bürger streben weniger nach materiellem Wohlstand, sondern leben nach einer ganzheitlichen Lebensweise. Symptomatisch dafür ist, dass das Land längst den Natur- und Umweltschutz in der Verfassung verankert hat.
Zeremonie mit Gewehr
In „Was will der Lama mit dem Gewehr?“ ahnt der buddhistische Lama des Bergdorfes Ura, welche gravierenden Veränderungen die neuen demokratischen Prozesse für die traditionelle gesellschaftliche Ordnung mit sich bringen werden. Kurz vor dem Vollmond bereitet er daher eine traditionelle Zeremonie an der Dorfstupa vor. Sie zielt darauf ab, wie später zu erfahren ist, drei gesellschaftliche „Gifte“ – Hass, Konflikt und Leid – durch Mitgefühl und Frieden zu besiegen.
Doch zunächst schickt der weise Lama den jungen Mönch Tashi los, ein Gewehr zu besorgen. Das ist nicht so einfach, weil es in dem friedlichen kleinen Land kaum Waffen gibt. Als Tashi bei einem Bauern endlich ein altes Gewehr aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg auftreibt, kommt er dem US-Waffensammler Ron in die Quere, der das wertvolle Stück unbedingt erwerben will.
Tatkräftig unterstützt wird Ron von dem geschäftstüchtigen Benji, der ihn aus der Hauptstadt in das abgelegene Dorf gefahren hat und dolmetscht. Derweil trifft die Leiterin der Wahlkommission, Yangden, in Ura ein, um die Registrierung der Wahlberechtigten zu überwachen und Probewahlen abzuhalten. Mit der Hausfrau Tshomo und anderen Helfern will sie der Bevölkerung bei der Vorbereitung auf die erste echte Wahl helfen. „Irgendwie müssen wir es schaffen, mit dem Rest der Welt Schritt zu halten“, sagt Yangden zu einem Helfer.
Doch die Aufstellung der neuen Parteien beschert den Bhutanern ein Bündel neuartiger Probleme: Neid und Egoismus, Postengeschacher und Streitereien breiten sich aus, selbst innerhalb von Familien brechen tiefe Gräben auf. Auch Kinder bleiben von dem Parteiengezänk nicht verschont. Weil Tshomos Ehemann Choephel sich für eine wirtschaftsnahe Partei engagiert und sich diese Passion sofort herumspricht, wird ihre Tochter Yuphel in der Schule heftig drangsaliert.
Mit all ihren menschlichen Schwächen
Sympathisch wirkt vor allem der zärtliche und respektvolle Blick des Regisseurs auf die Figuren mit all ihren menschlichen Schwächen, die sich einfallsreich und mit gesundem Menschenverstand mit den Licht- und Schattenseiten der Modernisierung ihrer Lebenswelt arrangieren. Der Kameramann Jigme Tenzing, der schon die Bilder für den Debütfilm „Lunana - Das Glück liegt im Himalaya“ (2019) des Regisseurs in einem einsamen Hochgebirgsdorf eingefangen hat, fotografiert auch hier immer wieder in eleganten Bildkompositionen die begrünten Hügel und imposanten Berggipfel Bhutans.
Der Regisseur nutzt die Strukturbrüche für humorvoll-satirische, aber auch gesellschaftskritische Beobachtungen zur Demokratisierung und ihren Folgen. So hat der unbedarfte Mönch Tashi noch nie etwas von Wahlen gehört. Als Yangden ihn im Auto mitnimmt, fragt er sie: „Ist das so etwas wie die Schweinepest?“ Wie schwierig es sein kann, demokratische Verhaltensweisen zu vermitteln und einzuüben, zeigt sich bei der Probewahl, bei der die Bürgerinnen und Bürger für eine fiktive rote, blaue oder gelbe Partei stimmen können. Prompt gewinnt die gelbe Partei haushoch, weil Gelb die traditionelle Farbe des Monarchen ist.
Wahlspots und Cola
Auch die Auswirkungen der Globalisierung und des westlichen Kapitalismus, die sich ausbreiten, seit Bhutan als mutmaßlich letztes Land der Erde 1999 das Verbot von Fernsehen und Internet aufgehoben hat, werden zuweilen kritisch reflektiert. So trinkt Tashi in einer Gaststätte, in der viele Menschen im Fernsehen erstmals Wahlspots beäugen, statt des traditionellen Tees „schwarzes Wasser“, sprich eine Cola.
Da es in Bhutan kaum professionelle Schauspieler gibt, griff Pawo Choyning Dorji wie in seinem preisgekrönten Spielfilm-Erstling „Lunana“ weitgehend auf Laiendarsteller zurück, die dem Film ein authentisches Flair verleihen. Verstärkt wird diese Anmutung durch die folkloristischen Klänge des Komponisten Frédéric Alvarez, die immer wieder leise musikalische Farbtupfer zum burlesken Geschehen hinzufügen.