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Filmkritik
Die Welt der gehobenen Küche funktioniert nach ihren eigenen Regeln. Es geht in den teuren Restaurants der Welt – vornehmlich dürfte die Kopenhagener Szene um das berühmte Noma von Koch René Redzepi das Vorbild für die kulinarische Welt von „The Menu“ gewesen sein – nicht einfach ums Essen, wenn man darunter die schlichte Nahrungsaufnahme versteht. Auch der Genuss ist nur ein Teil dieser Philosophie. Essen bedeutet, die Welt und ihre Zusammenhänge bewusst wahr- und aufzunehmen. Kochen rückt dabei an die bildende Kunst heran.
Die soziale Funktion eines Abendessens, bei dem man an einem Tisch zusammenkommt und Zeit miteinander teilt, erstarrt auf den virtuos angerichteten Tellern in „The Menu“ bisweilen zu struktureller Skulptur. Es geht nicht mehr um die Menschen, sondern um Ökosysteme, um Zusammenhänge und wie in der modernen Kunst um Konzepte und Ideen: „Haute Cuisine“ ist Bildung in intellektueller (Un-)Sinnlichkeit.
Der Preis der Distinktion
All diese vielfältigen Aspekte nimmt Regisseur Mark Mylod in seiner beeindruckend konsequenten Satire „The Menu“ genussvoll auseinander und lässt sie in einen beunruhigenden, mitunter auch schwarzhumorigen Horrorthriller stürzen. Dabei bleibt es nicht einfach bei Spott oder der naheliegenden Kritik an der sogenannten besseren Gesellschaft, die sich vom Pöbel am Imbissstand mit allen Mitteln des Kapitals abzugrenzen versucht. Der Film legt Schicht für Schicht die verflochtenen Machtverhältnisse zwischen Gast und Küche, Koch und Personal offen. Wer nutzt hier eigentlich wen aus? Wer ist Parasit, wer der Wirt?
Die Frage, die wie ein Monolith alles überragt, lautet: Wann beginnt der Konsum sich selbst zu konsumieren, weil er mit seiner exzessiven Logik der Steigerung zwangsläufig in die eigene Auslöschung driftet?
Zu Beginn von „The Menu“ setzt das junge Paar Margot (Anya Taylor-Joy) und Tyler (Nicholas Hoult) zur Überfahrt auf eine abgelegene Insel an. Dort befindet sich das hochdekorierte Restaurant „Hawthorn“, das der Starkoch Slowik (Ralph Fiennes) mit militärischer, beinahe schon sektenähnlicher Strenge führt. Slowik ist ein lebender Mythos, eine Art Heiliger der Szene. Um von ihm bekocht werden zu dürfen, müssen pro Person 1250 Dollar hingelegt werden. Ein Preis, dem kein realer Gegenwert mehr entspricht. Man bezahlt vielmehr das Eintrittsticket, um Teil eines exquisit-elitären Zirkels, eines Happenings zu werden. Distinktion hat eben ihren Preis.
Eine Peinlichkeit als Trumpf
Tyler ist in jeder Hinsicht ein solcher Gläubiger. Margot hingegen wirkt von Anfang an wie ein Fremdkörper. Als sich bei der Überprüfung der Reservierung herausstellt, dass eigentlich eine andere Frau an ihrer Stelle hätte sitzen sollen, beginnen sich im schönen Schein des Films erste Risse abzuzeichnen. Doch ausgerechnet diese Peinlichkeit wird der große Trumpf im Kampf ums Überleben. Margot ist für den Abend nicht vorgesehen. Sie ist die Außenseiterin, der nicht verrechenbare Überschuss in einem sorgfältig ausgeklügelten Menü der besonderen Art.
Slowik ist, wie für seine Profession auf diesem Level üblich, über alle Maße vorbereitet. Er weiß über die sozialen Zutaten des Abends bestens Bescheid, kennt alle schmutzigen Geheimnisse, moralischen Verfehlungen und zweifelhaften Absichten seiner Gäste. Er ist gewillt, den Schein nicht länger zu wahren und seinen Kunden ihre bigotte Oberflächlichkeit auf durchaus blutige Weise zu servieren.
Kannibalismus spielt keine Rolle
Da die ausgeklügelten Gerichte ohnehin nur noch ein Teil einer Inszenierung sind, muss die Inszenierung in sich selbst aufgehen. Wenn es nur noch darum geht, das Essen als Währung auszuspielen oder im Event der Haute Cuisine aufzugehen, dann kann man eben auch alles ganz und gar sein lassen. Nur so viel sei verraten: Kannibalismus spielt keine Rolle. Das wäre auch zu einfach.
Nur die Rolle von Margot steht nicht fest. Sie ist die Unbekannte, wie eine Zutat, deren Bestimmung noch nicht gefunden ist. Wer ist diese Frau? Auf welcher Seite hat sie zu stehen? Aus diesem Geheimnis entwickelt sich ein packendes Psychoduell zwischen ihr und dem desillusionierten Koch. So wahnsinnig Slowik bisweilen auch erscheinen mag, lässt ihn die Inszenierung dennoch nicht zu einer Karikatur des Bösen verkommen. All seine Grausamkeit ist stets von einer tiefen Traurigkeit und funktionalen Erstarrung unterfüttert, die aus eben jenem parasitären Verhältnis entspringt, zu dem die gehobene Küche zwangsläufig tendiert.
Als es Margot gelingt, in das Wohnhaus des exzentrischen Kochkünstlers einzudringen, entdeckt sie mit Entsetzen, dass die Privaträume dem Restaurant wie ein Spiegelbild gleichen. Die Aufteilung der Räume, Gastraum und offene Küche – alles identisch. Lediglich ein einsames Bett steht in der Ecke. Das Set-Design, die räumliche Form des Films, entspricht damit exakt der strengen Anordnung der Menüs: Hier ist jemand ganz in seiner Berufung aufgegangen, hat sich darin quasi aufgelöst. Slowik ist zu einer Funktion seiner eigenen Passion geworden.
Das macht den Schrecken von „The Menu“ so nachhaltig, weil der Film auf der Suche nach Menschlichkeit fast ausschließlich auf konzeptuelle Monstren stößt. Die Schlusspointe ist dann so einfach wie brillant und denkt gar nicht daran, das abwechslungsreiche Menü dieses Films mit Gefälligkeit abzurunden.