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Filmkritik
Wer wahrhaft zum erlesenen Kreis der Ritter der Tafelrunde gehören möchte, der muss sich erst einmal beweisen. Dies ist die Prämisse in David Lowerys Verfilmung der Rittermär „Sir Gawain and the Green Knight“, einem Teil der berühmten Artus-Sage, die sich ganz den Abenteuern des ritterlichen Novizen Sir Gawain widmet. Der Platz an der Seite seines Herrscher-Onkels (Sean Harris) ist dem Edlen (Dev Patel) zwar schon einmal gewiss, seine herausgehobene Position ist jedoch ein Grund mehr, seine chevaleresken Fähigkeiten, insbesondere seine Schwertkunst, hervorzuheben.
Dazu hat Gawain in einer anfänglichen Szene des Films Gelegenheit. In weihnachtlich-neujährlicher Runde sitzen die Ehrenmänner auf Schloss Camelot an der legendären Tafel beieinander, als sie unerwartet Besuch erhalten – vom titelgebenden Grünen Ritter (Ralph Ineson), einer Sagenfigur halb Mensch, halb pflanzliches Gewächs. Der Mystische schlägt im Anschluss eines so bedeutungsschwangeren wie theatralischen Erstauftritts im Thronsaal folgenden Deal vor: Welcher Ritter auch immer den Mut aufbringe, das Schwert gegen ihn zu führen, habe einen Schlag frei. Jedoch unter der Bedingung, dass sich der Grüne Ritter ein Jahr später für den Schlag revanchieren dürfe – mit dem exakt selben Schlag seiner Waffe. Selbstgewiss meldet sich Sir Gawain, um gegen den Grünen Ritter in den Schlagaustausch zu treten. Mittels eines gezielten Schwerthiebs trennt er dem baumlangen Grünen dessen Haupt ab, nur um seinen restlichen Körper im nächsten Moment wiederaufstehen zu sehen. Seinen abgeschlagenen Schädel unterm Arm ermahnt der Grüne Ritter im Fortgehen Gawain: „Ein Jahr.“
Ritterodyssee der besonderen Art
Dies ist der Auftakt zu einer Ritterodyssee der besonderen Art. Ihre erzählerische, vor allem aber visuelle Sogwirkung, die sich bald schon entfaltet, verdankt sich der geschickten Regiehand von David Lowery. Nach den filmischen Arbeiten „Elliot, der Drache“, „A Ghost Story“ und zuletzt „Ein Gauner und ein Gentleman“ lässt sich ihm durchaus ein glücklicher Lauf in Hollywood nachsagen. Und das häufig mit ausgesprochen widerspenstigen und ungewöhnlichen Stoffen, abseits des Mainstream-Allerleis.
In „The Green Knight“ stellt Lowery abermals seine eigenwilligen künstlerischen Fähigkeiten unter Beweis. Er inszeniert ein fieberhaftes Bilderpoem, seine erzählerischen Vignetten, die den Film strukturieren, gestaltet er halluzinatorisch gesteigert in nachgerade traumartiger Darstellungsform. Tatsächlich überlagern sich Traum und Wirklichkeit im Film beinahe nahtlos. Was genau in diesen Sequenzen passiert, lässt sich oft gar nicht so einfach sagen, vielmehr steht es der Interpretation offen. Nicht einer inszenatorischen oder erzählerischen Nachlässigkeit wegen, im Gegenteil: Lowerys Methode der Doppeldeutigkeit, Desorientierung und Bedeutungsverschiebung hat System.
Ein gebrochener Held auf klassischer Heldenreise
Im Grunde ist es die klassische Heldenreise, welche den Plot von „The Green Knight“ vorantreibt. Eine Reise, die für gewöhnlich vorsieht, dass der Held die sich ihm stellenden Herausforderungen einsam meistert, innerlich heranreift und sich somit schließlich – gestählt an Leib und Seele – seiner Männlichkeit versichert. Dev Patel unterläuft jedoch in seiner Darstellung des Sir Gawain diesen betont autonomen Typus. Sein Ritter ist in vielen Situationen ein gebrochener, bisweilen auch schwankender Held, dessen Schicksal weniger durch Selbstbestimmung und -erschaffung geprägt ist, sondern von den Wünschen und Interessen der weiblichen Charaktere der Ritterromanze abhängt. Angefangen bei seiner Mutter (Sarita Choudhury) über die Dienstmagd und Geliebte Essel sowie eine adelige Lady, die ihn in Versuchung führen wird (Alicia Vikander verkörpert beide Figuren in einer Doppelrolle), bis zur mysteriösen Winifred (Erin Kellyman), deren geisterhafter Erscheinung Gawain zu ihrer verdienten Seelenruhe verhelfen soll – sie alle zeigen unserem „Helden“ mitunter seine Grenzen auf.
David Lowery erlaubt sich dabei naturgemäß einige Freiheiten bei der Adaption der jahrhundertealten Erzählung, wobei er die narrative Grundstatik der Mittelalterlegende intakt lässt. Sämtliche erzählerische Etappen laufen auf die schicksalhafte Wiederbegegnung Gawains mit dem Grünen Ritter hinaus. Die Konfliktachse ist dabei weniger ein klassisches Gut-gegen-Böse-Schema als die grundsätzliche Konstellation Zivilisation und Natur.
„The Green Knight“ zeigt sich als eine Coming-of-Age-Geschichte, unter verkehrten Vorzeichen. Anstatt der großen freiheitlichen Verheißung am Ende ins filmisch so häufig bemühte Licht der offenstehenden Möglichkeiten zu folgen, erwartet den Helden hier eine rätselhafte, dunkle Vorherbestimmung – in einem gewissen Sinne ein grausamer Witz, doch auch für ein solches Ende muss Gawain sich erstmal als würdig erweisen.
Überbordende Lust am visuellen Erzählen
Bei allem Interpretationsspielraum, den „The Green Knight“ gewährt, handelt es sich bei David Lowerys neuer filmischer Arbeit keineswegs nur um eine intellektuelle Fingerübung. Mit überbordender Lust am visuellen Erzählen macht Lowery seinen Grünen Ritter zu einer wahrhaft sinnlichen Kinoerfahrung, bei der besonders die Kameraarbeit von Andrew Droz Palermo sowie das präzise Produktionsdesign von Jade Healy hervorzuheben sind.
Statt großer Gesten zeigt sich Regisseur Lowery in „The Green Knight“ als Souverän des cleveren Winks. An die Stelle überladener Metaphern und klischeehafter Symbole tritt bei ihm ein durchdachtes Signalsystem, das beim Zuschauer die Erwartungshaltung einer Auflösung aller offener Fragen geschickt unterläuft. Lowerys Filmmärchen ist zugleich Affektkino in Reinform, eine surreale Pracht, an deren Ende einem der Auftritt eines sprechenden Fuchses beileibe nicht als die größte Seltsamkeit erscheint.