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Filmkritik
Ein Pferd stirbt. Tief schneidet der Stacheldraht in den Leib des Tieres, das in dem Drahtverhau seine letzten Atemzüge macht. Eric (Bill Skarsgård) träumt vom Tod seines Pferdes. Er durchlebt wieder und wieder, wie seine Rettungsversuche scheitern und wie er es trotz aller Anstrengung nicht schafft, den Draht vom Körper des Schimmels zu lösen. Der Film „The Crow“ präsentiert keinen Kontext für diese Kindheitserinnerung des Protagonisten. Sie ist kein psychologischer Schlüssel, kein biografisches Fundament, sie ist allein Inbegriff des Schmerzes und damit der Inbegriff dessen, was „The Crow“ seine Form gibt.
Die zweite Kinoadaption folgt damit dem Kern der Comic-Vorlagen von John O’Barr, deren erste Ausgaben den Geisteszustand des Protagonisten als Namen tragen. Anders als die Comic-Books, die unter Titeln wie „Schmerz“, „Verzweiflung“ etc. eine fragmentierte Geschichte von Verlust und Schuld erzählen, in der die Rache eher ein Nebenschauplatz ist, ordnet das Drehbuch von Zach Baylin und William Josef Schneider die Geschichte linear.
Keine Form der Katharsis
Eric erwacht in der Entzugsklinik aus den albtraumhaften Kindheitserinnerungen von Tod, Qual und Stacheldraht. Heute trägt er sie als Tattoos auf dem langen, athletischen Körper. In seiner Zelle gibt er ihnen in unzähligen Zeichnungen eine Form. Er hält sie in Poesie und Prosa fest. Doch weder in Kunst noch Therapie findet er irgendeine Form der Katharsis. Eric kann nicht vergessen und nicht vergeben.
Seine Rettung heißt Shelly (FKA Twigs). Sie weist sich selbst ein. Nicht weil sie ein Drogenproblem hat, sondern weil sie auf der Flucht ist. Die ehemalige Musikerin hat sich mit Vincent Roeg (Danny Huston) eingelassen, einem superreichen Musikliebhaber, der seit Jahrhunderten auf der Erde wandelt und Körper und Seele am Leben hält, indem er die Seelen anderer an die Hölle verfüttert. Shelly besitzt davon einen Videobeweis. Ihre Freunde haben das bereits mit dem Leben bezahlt; doch Shelly landet in der Anstalt. Und findet Eric.
Das Paar flieht zusammen, erklärt sich qua Kraft der Liebe für rehabilitiert, verbringt die Tage mit Drogen im Liebesnest, komponiert zusammen Musik und träumt von Teenagern, die um ihre Gräber ein Meer aus weißen Lilien pflanzen. Shelly und Eric sind „brilliantly broken“, zwei aus der Zeit gefallene Emo-Poeten, die zu einem Soundtrack tanzen, den Joy Division und Gary Numan schreiben, und die sich zur Poesie von Rimbaud lieben.
„The Crow“ holt nicht nur die in Popmusik und Gothic-Kultur getauchte Ästhetik von O’Barrs Comics aus den späten 1980er-Jahren zurück, sondern auch die Dark-Millennium-Ästhetik des Kinos der späten 1990er-Jahre. Ein Jenseits, das nach den dunklen Räumen der urbanen Gegenwart greift, Himmel und Hölle, die um die fragilen und dem Untergang geweihten Seelen ringen.
Nicht vergessen, nicht vergeben
Die Seelen von Eric und Shelly gehören bald dem teuflischen Mogul. Seine Schergen hüllen das Liebespaar in Plastiktüten. Shelly stirbt. Eric stirbt, während er Shelly sterben sieht. Die Seele der Geliebten fährt zur Hölle, Erics Seele findet keine Ruhe. Er geht einen Pakt mit dem Jenseits ein, wandert aus der Zwischenwelt, in der nicht weiße Lilien, sondern Neophyten die Reste menschlicher Architektur überwuchern, zurück auf die Erde. Solange seine Liebe zu Shelly besteht, bleibt sein Körper unsterblich. Nicht vergessen und nicht vergeben heißt damit zunächst einmal: nicht sterben.
Es folgt die Vergeltung. Als Actionfilm, der die Rache als Motiv nimmt, stimmt sich „The Crow“ gänzlich auf seinen Protagonisten ein. Der hat als Rächer aber einige Schwierigkeit, die Gewalt nach außen zu richten. Wenn sich Bill Skarsgård langsam zum unsterblichen, aber nicht unverwundbaren Todesbringer wandelt, ist es primär sein Körper, der den Schmerz zu ertragen hat.
Wieder und wieder wird er erstochen, erschossen, vom LKW überrollt. Er erduldet all das, schiebt sich die Eingeweide in den Leib zurück, drückt die gebrochenen Knochen in Position und lernt, während er sich sukzessive in die todbringende Krähe verwandelt, den eigenen Schmerz zur Waffe zu machen.
Eric hat wenig Erfahrung mit dem Töten, aber umso mehr mit dem Schmerz. In einer zentralen Szene, in der Erics Kampf mit einer Armee von Schergen gegen eine Inszenierung der großen Oper „Robert le diable“ montiert ist, triumphiert Erics Fähigkeit, allen Schmerz zu ertragen, gegen die feindliche Übermacht. Er zerrt die Bodyguards, die ihn mit Messern durchbohren, auf die Klingen, die noch in seinem Körper stecken, und nutzt ihre Schusswaffen, um Angreifer hinter sich durch den eigenen Körper hindurch zu erschießen.
Im Zentrum steht der Schmerz
„The Crow“ ist Emo-Action-Kino-Kitsch mit Leib und Seele. Der Film weiß die Gewaltexzesse aber immer so zu konzentrieren, wie Skarsgård sie tänzelnd und doch nie zu elegant mit seinem Körper auf die Leinwand zu bringen versteht. Alle Brutalität, alle Bewegung kehrt immer zu Erics Schmerz zurück, richtet sich nach innen, verletzt mit Selbstverletzung.