- RegieKlaus Sparwasser
- Produktionsjahr2024
- Dauer90 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- AltersfreigabeFSK 6
Vorstellungen
Filmkritik
Was Bäume alles so können. Im Sommer spenden sie Schatten, der eine andere Kühle spendet als eine Aneinanderreihung von Sonnenschirmen. Das hat man in den letzten Monaten deutlich gespürt. Wenn es regnet, bleibt man unter Bäumen trocken, sogar erstaunlich lange. Jede Straße steht längst knöcheltief im Wasser, da sitzt man unter Baumkronen nahezu unbenetzt. Bäume sind eine vertraute Konstante im Leben. Wahrscheinlich kennen die meisten Menschen mindestens einen Baum, der schon dastand, als sie noch Kinder waren.
Oder eben nicht. Da, wo früher Bäume in den Himmel wuchsen, befinden sich mittlerweile Autobahnen und Flughäfen, Industrieanlagen oder Mülldeponien. Das führt bei einem Teil der Bevölkerung zu Irritationen. Zum einen wegen der ästhetischen Verarmung, denn das Leben unter Bäumen ist den Menschen näher als das Leben auf der Autobahn.
Klug, analytisch und gut aufbereitet
So empfindet das jedenfalls eine Generation von Nachwachsenden, die dem Autofahren generell keine große Zukunft mehr einräumen. Ihnen geht es um den Schutz der Umwelt und des Klimas, um das also, was Bäume dafür tun und Autobahnen dagegen. In „System Change“ werden bekannte Statements zu diesem Thema wiederholt, klug, analytisch und einfach aufbereitet. Gesprochen werden sie von Wissenschaftlern oder Widerständigen oder prominenten Klimaschützern, die den Protest in die Medien und in die Politik tragen, was sicher nicht einfacher ist, als sich an Bäume zu ketten. An Bäume, die stabilisierende Faktoren im Klimawandel sind – nicht nur wegen des Trostes, den sie spenden, oder wegen des Mikroklimas, das Wälder herstellen, sondern weil sie das Kohlendioxid neutralisieren, das Autos emittieren.
„System Change“ zeigt den Kampf gegen die Abholzung eines Waldes ganz konkret. Es handelt sich um den Dannenröder Forst, durch den eine Schneise geschlagen werden soll, um zwei Autobahnen miteinander zu verbinden. Junge Menschen haben sich dort zur Wache niedergelassen; sie leben in den Bäumen, man lernt ihre Baumhäuser kennen. Allein dafür lohnt sich der Film, denn diese sind zum Teil in schwindelerregender Höhe gebaut. Es gibt darin Küchen, Schlafzimmer, Verbindungswege zwischen den Bäumen, hergestellt durch Seile, an denen die Bewohner sich entlangbewegen, ohne den Boden zu berühren. So wie die Eichhörnchen es machen.
Schneeballschlacht mit Wasserwerfern
Dort hat der Filmemacher Klaus Sparwasser über Monate hinweg gedreht. Er zeigt den Alltag im Widerstand. Solchen Protest hat man schon seit den 1980er-Jahren gesehen, doch für so lange Zeit so nah dran zu sein, wie Sparwasser das schafft, ist ungewöhnlich. Lustig ist es aber auch, denn man erlebt mit, wie die Rodungsmaschinen mit Hölzern blockiert werden, wie Polizisten auf das Angebot einer Schneeballschlacht mit Wasserwerfern reagieren, wie sie, ausgerüstet als Gipfelstürmer, in die luftigen Wipfel der Bäume klettern müssen, um die Waldrebellen in deren eigenem Habitat zu fangen.
Traurig ist es, wenn die Baumhäuser zu Boden fallen und wenn Bäume abgesägt werden oder Baumschützer über so viel Unverstand weinen. Viel Zeit wird es nicht mehr geben, um eine Katastrophe zu verhindern, sagen sie, zu groß ist die ökologische Verwüstung, zu wenig gibt der Kapitalismus anderen Interessen nach. Man fragt sich, was die Polizisten denken, die gewaltsam gegen Menschen vorgehen, die ein Stück Natur erhalten wollen. In Übereinstimmung mit dem Pariser Klimaabkommen, das vorsieht, den Klimaanstieg auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen, nicht zuletzt durch den Erhalt von Wäldern.
Bis weit vor die Motorisierung
Weil Sparwasser einen persönlichen Film dreht, zeigt er nicht die Erklärung der Behörden über solche Verträge oder ihre Umsetzung, sondern er fragt genau das auch, was die Demonstranten der Polizei entgegenrufen: „Wir tun das für die Zukunft eurer Kinder.“ Sparwasser dehnt den Film auf weitere Projekte des Kampfes um Klimaschutz aus, etwa auf den Tagebau Garzweiler, den Ort Lützerath, der erst jüngst den Baggern zum Opfer fiel, weil der Braukohleabbau von RWE nicht Halt macht. Man kann schöne Totalen der Verwüstung sehen, die Schmerzen der verdorrten Erde in Braun und Grau. Das ist es, was „System Change“ tut: Bilder zeigen, die schon bekannt sind, Fragen stellen, die schon gestellt wurden, Antworten wiederholen, die auch andere schon gegeben haben. Der verweist auf Konsequenzen, die keiner wissen will.
Gerade deshalb ist der Film sehenswert. Darin ist nichts von der Müdigkeit zu spüren, die das Thema Klimaschutz inzwischen hervorruft. Man spürt helle Wut, man sieht helle Verzweiflung, wird mit echten Gefühlen konfrontiert, als sei der Krieg um Boden und Wälder nicht schon im vierzigsten Jahr und längst dem Zynismus anheimgefallen. Das führt dazu, dass man die Augen aufmacht und sich die Natur anschaut, zumindest auf der Leinwand. Bäume sieht man da, zunächst in ihrer vollen Größe und Schönheit, dann nur noch als abgesägte Stämme, mit Jahresringen, die ein Alter zeigen, das weit vor die Erfindung der motorisierten Fortbewegung zurückreicht.