- RegieAnton Corbijn
- ProduktionsländerVereinigtes Königreich
- Produktionsjahr2022
- Dauer100 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- AltersfreigabeFSK 12
- IMDb Rating7.7/10 (1308) Stimmen
Cast
Vorstellungen
Filmkritik
Wer Unterhaltung sucht, stößt heute zunehmend auf spezifische Angebote. Die digitale Schwarmproduktion hat die Logik von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz schon jahrzehntelang vorweggenommen. Erst durch entsprechende Angebote haben Menschen festgestellt, dass sie etwa schon immer ASMR- oder Unboxing-Videos sehen wollten. Diese unaufhörliche Marktdiversifikation im Unterhaltungsbereich macht auch vor Dokumentarfilmen nicht halt. Tausende von Fan-Dokus zu jedem erdenklichen Thema werden über Crowdfunding-Plattformen wie Kickstarter finanziert. Videoproduzenten widmen auch abseitigen Themen auf YouTube mehrstündige Abhandlungen. Der große Vor- und Nachteil ist in den meisten Fällen, dass man mit seinem Thema nicht mehr eine potenziell desinteressierte Öffentlichkeit erreichen muss. Vermittelnde und einordnende Passagen können reduziert oder ganz gespart werden. Und die Relevanz muss nicht mehr argumentativ begründet werden, weil ja die Entstehung des Films bereits Evidenz genug ist.
Das gilt auch für „Squaring the Circle: The Story of Hipgnosis“ von Anton Corbijn, der oft wie eine Predigt zu Bekehrten wirkt. Der Dokumentarfilm erzählt die Geschichte der britischen Design-Agentur Hipgnosis, die mit Plattencovern für Bands wie Pink Floyd, Led Zeppelin, Genesis und Black Sabbath berühmt wurde. Das ikonische Prisma auf „The Dark Side of the Moon“, der brennende Mann auf „Wish You Were Here“ oder auch das fliegende Schwein auf „Animals“ stammen von ihnen.
Aufstieg und Fall einer Agentur
Im Mittelpunkt der Doku stehen die Gründer Aubrey „Po“ Powell und Storm Thorgerson, die in launigen Anekdoten vom eigenen Aufstieg und Fall erzählen. Als Interviewpartner treten außerdem Wegbegleiter, Kollegen und vor allem Musiker wie Paul McCartney, Jimmy Page, Roger Waters, Robert Plant, David Gilmour oder Noel Gallagher auf.
Anton Corbijn ist zweifelsohne ein naheliegender Regisseur für dieses Thema. Bevor er Filme wie „Control“ oder „Life“ drehte, entwarf der Fotograf und Filmemacher Plattencover für Bands wie U2, Depeche Mode oder Metallica. Seine aufrichtige Liebe zu den LP-Hüllen erkennt man schon an einer zentralen Gestaltungsidee des Films. Der ist überwiegend in Schwarz-weiß gehalten; lediglich die Cover sind in Farbe. Kontrastkleckse im grauen Großbritannien, Rock-Musik als Gegenwelt zum spießigen Alltag. Corbijns Beziehung zum photochemischen Prozess der Fotografie gibt dem Film eine taktile Qualität; der Arbeitsprozess und das Material werden oftmals ins Bild gerückt. Einzelbilder werden zu rauen Animationen zusammengesetzt, zwischen Stills und Film entsteht eine Kontinuität.
Doch gerade im Musikbereich sehen sich Dokumentarfilme oftmals davon bedroht, wenig mehr als ein Merchandise-Produkt zu sein, erstellt für eine spezifische Nische, die nicht unbedingt eine kritische oder auch nur analytische Auseinandersetzung mit dem Gegenstand wünscht. Auch Corbijn scheint davon auszugehen, dass das Publikum mit der Kunst von Hipgnosis aufgewachsen ist und mindestens ein Led-Zeppelin-Tattoo auf dem Unterarm hat.
Kuriose Begegnungen, gemeinsame Gelage
Natürlich ist es nett und auch amüsant, von verschiedenen Begegnungen zwischen Rockstars und Designern zu hören. Von Syd Barrett, der irgendwann „Hipgnosis“ an eine weiße Tür schmiert, und damit zufällig den Namen der Agentur findet. Kuriose Begegnung, gemeinsame Gelage, spontane Einfälle: davon gab es viele. Doch was genau macht diese Cover so besonders? Woher kommen sie, wie schrieben sie sich in die Leben der Menschen ein? Über den Einfluss von Hipgnosis, etwa auf die Titelseiten von Science-Fiction-Büchern, erfährt man wenig. Was die Plattenhüllen für die Hörer bedeuten, wird eher angedeutet als erklärt; meist herrscht ahistorische Nostalgie vor.
Bezeichnend ist eine kurze Anmerkung. Über eine berühmte Ikarus-Figur, auf die Led Zeppelin mehrfach zurückgegriffen haben, wird beiläufig erwähnt, dass sie von einem präraffaelitischen Gemälde inspiriert sei. Auch wenn man von einem Dokumentarfilm über Plattencover keine kunsthistorische Abhandlung erwarten wird, ist es ziemlich unbefriedigend, wenn derartige Verweise und Spuren ohne weitere Verknüpfung in der Luft hängen bleiben. Zumal der Engel, so offenbart es eine simple Recherche, aus einem erst 1870 entstandenen Gemälde von William Rimmers namens „Evening (The Fall of Day)“ stammt.
Was ist das für eine Ästhetik, die bei Hipgnosis entsteht? Was bedeutet sie heute, was erzählt sie über den damaligen Zeitgeist? Zu solchen Dingen hört man hier zu wenig. Man muss die Assoziationen wohl selbst schaffen. Das fliegende Schwein von Pink Floyds „Animals“-Cover findet sich beispielsweise Jahrzehnte später in „Children of Men“ von Alfonso Cuarón wieder. Dort ist es in der „Arche der Künste“ neben Michelangelos „David“ oder Picassos „Guernica“ zu sehen. Für den Theoretiker Mark Fisher ist es ein Symbol für eine kraftlose Gegenwart, die nichts Neues mehr hervorbringt, sondern nur noch eklektisch Bestehendes zu arrangieren vermag: „Die Tradition ist bedeutungslos, wenn sie nicht länger herausgefordert und modifiziert wird. Eine Kultur, die nur erhalten wird, ist keine Kultur.“ In „Squaring the Circle“ erzählt Oasis-Frontman Noel Gallagher wehmütig von einer Zeit, in der Musik noch als echte Kunst wahrgenommen wurde. Seine Wehmut ist die des Films, der einleuchtend erklärt: „Vinyl is like the poor man’s art collection.“
Wenn die Erde eine Scheibe ist
Doch ist das nicht eine Kunst, die gescheitert ist, die sich widerstandslos verwerten und zu Logos platttreten ließ? Die in diesem Film eher verehrt und musealisiert als modifiziert und revitalisiert wird? Die Kuh auf dem Cover zu Pink Floyds „Atom Heart Mother“ sollte nichts bedeuten. Eine hilflose subversive Dada-Geste, wie es im Film heißt, und dann eben trotzdem zur Ikone wurde. „Squaring the Circle: The Story of Hipgnosis“ hat interessante Momente, doch Corbijn fehlt der Wille, den insularen Kern seiner Betrachtung zu verlassen. Der Film verzwergt sich selbst. Manche Plattenfans haben immer noch nicht verstanden, dass die Erde keine Scheibe ist.