Vorstellungen
Filmkritik
Ein dunkler Geist lauert in unserem Blut. Das glaubt jedenfalls die heranwachsende Emerson (Summer H. Howell), die mit ihren Eltern tief in die Wälder Kanadas gezogen ist, um sich einer sektenhaften Gemeinde anzuschließen. Im Dickicht der neuen Umgebung erhascht die Teenagerin einen Blick auf eine Kreatur, die scheinbar halb Baum und halb Mensch ist. Schnell kommt der Verdacht auf, dass das Wesen hinter dem Verschwinden der jungen Rebecca aus Emersons neuer Schulklasse steckt. Erst erzählt Emerson ihrer Klassenkameradin und Nachbarin Delilah (Sarah-Maxine Racicot) von der Entdeckung und von einer Legende der Skythen, der zufolge dem Blut der Menschen ein mächtiger Geist innewohnt. Mit einem selbst ersonnenen Ritual wollen die Mädchen die mythische Kraft aktivieren, um das Monster zu bekämpfen. Bald schließen sich ihnen weitere Blutsschwestern an.
Man kommt schwer rein in „Spirit in the Blood“ und kann sich auch im weiteren Verlauf nie behaglich einrichten, weil die Handlung viele Haken schlägt und den Fokus der Aufmerksamkeit immer wieder verschiebt. Das klingt erstmal anstrengend und ist es auch. Zugleich steckt in dieser Unbequemlichkeit aber die Stärke des Erstlingswerks der Kanadierin Carly May Borgstrom. Wo sich debütierende Filmschaffende für gewöhnlich auf das Erprobte zurückziehen, setzt Borgstrom auf Eigensinn. Die Autorin und Regisseurin bedient sich an Themen und Motiven einschlägiger Coming-of-Age-Filme wie „Sieben Minuten nach Mitternacht“, die Konflikte am Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenalter mit Fantasy-Elementen nach außen kehren, vermengt das Konzept aber mit der Beimischung vieler weiterer Genre-Zutaten zum unberechenbaren Independent-Film voller Ecken und Kanten.
Vom Neo-Western zum Sektenhorror
Mal wähnt man sich in einem Neo-Western, wenn die in Blockhütten lebenden Gemeindemitglieder dem lokalen Prediger, der die höchste moralische Instanz ist, an den Lippen hängen, dann kippt die Stimmung in Richtung Sektenhorrorfilm, der mit Gruselmomenten im hellen Sonnenschein eine Prise „Midsommar“ verströmt. Zwischendurch liegt das Augenmerk auf ganz gewöhnlichen jugendlichen Bedürfnissen, bevor eine plötzliche Gewalteskalation die zuvor etablierten Verästelungen auf den Boden der Tatsachen schleudert. Spätestens die verschnörkelte gelbe Abspannschrift erinnert an die postmoderne Technik eines Quentin Tarantino, dessen Werk sich aus ähnlichen Quellen speist wie Borgstroms Debüt. Durchzogen ist das alles von einem 1980er-Retrochic zwischen Jeans-Latzhose und Walkie-Talkies, der am Ende ein Jahrzehnt zurück ins US-Horrorkino der 1970er-Jahre springt.
Eine Konstante der Genremixtur ist die Freundschaft zwischen Emerson und Delilah. Zwei Außenseiterinnen, die schnell zueinander finden und in ihrer individuellen Mythologie aufgehen. Emerson wirkt in den ersten Szenen entrückt und in sich gekehrt, Delilah etwas älter, offener und reifer. Was die beiden abseits ihrer Fantasie verbindet, sind ihre jeweils dysfunktionalen Familienverhältnisse. Emersons Vater, ein Jäger, verurteilt die Tagträume seiner Tochter, lässt sie mitten im Wald allein zurück und hat Wutausbrüche, denen seine schwangere Frau nichts entgegensetzt. Während die Konflikte in Emersons Familie latent schwelen, lebt Delilah mit ihrer alkoholkranken Mutter in ganz offensichtlich verwahrlosten Verhältnissen. Umso wertvoller erscheinen die geteilten Momente jugendlicher Unbeschwertheit, wenn das Sonnenlicht bei einer Fahrradfahrt die Kameralinse streichelt oder die Freundinnen frisch geschminkt zu befreiter Musik tanzen.
Eine präsente Atmosphäre des Unheils
Schlussendlich prägen aber nicht die inneren Problemlagen der Protagonistinnen Borgstroms Werk, sondern sein äußerer Rahmen, der die Adoleszenz mit Sujets des fantastischen Films gestaltet. In erster Linie ist „Spirit in the Blood“ ein psychologischer Horrorfilm. Mit teilnehmenden Handkamerabildern und vagen Andeutungen inszeniert Carly May Borgstrom eine von Anfang an präsente Atmosphäre des Unheils, die allzu menschliches und diffus übersinnliches Grauen miteinander vermählt. Hin und wieder bleibt für das Publikum offen, was tatsächlich passiert und was eingebildet ist, ob die Mädchen nur „so tun, als ob“, wie es ein Mitglied der Gemeinde sagt, oder ob im Wald wirklich etwas lauert. Es ist die letzte handfeste Überraschung des Films, dass die Frage nach dem Monster eine eindeutige Klärung erfährt. Ein zufriedenstellender Abschluss für einen recht speziellen, teils störrischen Debütfilm, den man ein bisschen mögen wollen muss, um ihn zu mögen.