









- RegieJörg Herrmann
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2023
- Dauer99 Minuten
- GenreDokumentarfilm
Vorstellungen
Filmkritik
Bevor Helga Schubert nach fast zwanzigjähriger Publikationspause im Jahr 2020 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde, betrachtete sie ihr Leben als Schriftstellerin als längst beendet. Mit der Auszeichnung fand sie fast etwas unvorbereitet zurück ins öffentliche Leben; auch ihre früheren Texte erweckten ein neuerliches Interesse. Damit schloss sich auf wundersame Weise ein Kreis. Vierzig Jahre zuvor war Schubert schon einmal ins österreichische Klagenfurt eingeladen worden, konnte damals aber aufgrund eines Ausreiseverbots aus der DDR nicht teilnehmen.
Die inzwischen 83-jährige Autorin lebt mit ihrem Mann, dem pflegebedürftigen Psychologieprofessor und Maler Johannes Helm in Mecklenburg zwischen Schwerin und Wismar. Sie brauche das Schreiben „immer noch sehr“, sagt sie, und dass sie nun „kleine Kunstwerke“ schaffen wolle; „nichts darf zufällig sein“. Das abgelegene Haus in Neu Meteln, das vor vielen Jahren dank der Vermittlung von Christa Wolf zu ihrem festen Wohnsitz wurde, ist in dem Dokumentarfilm „Sonntagskind“ von Jörg Herrmann Schauplatz ausführlicher Gespräche. Helga Schubert erweist sich darin als ausgesprochen auskunftsfreudige und wache Erzählerin ihres eigenen Lebens.
Eine schwierige Mutter-Beziehung
So ist auch zu erfahren, dass sich hinter dem unbeschwert und geradezu luftig klingenden Titel des Films eine komplizierte Familienbeziehung verbirgt. Mit der Bezeichnung „Sonntagskind“ brachte ihre strenge Mutter weniger Optimismus als eine Geringschätzung zum Ausdruck, die das Verhältnis bis zuletzt prägte. Keine Leistung war gut genug, dafür rühmte sie sich, ihre Tochter Helga weder abgetrieben noch beim Einmarsch der Russen vergiftet oder erschossen zu haben. Die Mutter nannte es „Heldentaten“.
Helga Schubert, geboren 1940 in Berlin-Kreuzberg, aufgewachsen in Ost-Berlin, arbeitete nach dem Psychologiestudium an der Humboldt-Universität zunächst als klinische Psychologin, bevor sie 1975 mit Hilfe der Schriftstellerin Sarah Kirsch ihren ersten Erzählband „Lauter Leben“ veröffentlichte. In ihrem Schreiben beschäftigte sie sich mit Diktaturen („Judasfrauen“, 1990), mit der Zeit vor und nach der Wende („Die Andersdenkende“, 1994) und mit der nationalsozialistischen Euthanasie („Die Welt da drinnen“, 2003). Sie schrieb Kinderbücher, Drehbücher (etwa für den DEFA-Film „Die Beunruhigung“ von Lothar Warnecke) sowie autobiografische Erzählungen.
„Sonntagskind – Die Schriftstellerin Helga Schubert“ bewegt sich auf zwei parallelen Spuren. Während der Regisseur Schubert zu Lesungen, Vorträgen und Treffen mit ehemaligen Weggefährt:innen begleitet – eine Schulfreundin, der inzwischen verstorbene Kameramann Thomas Plenert – rekapituliert die Autorin wichtige biografischen Stationen. Als jemand, der sich „brennend für die Realität interessiert“, wie sie einmal sagt, tritt Schubert im Film auch als eine aufmerksame Chronistin der DDR wie der Wendezeit in Erscheinung. Durch ihre Beteiligung an einer Berlin-Anthologie stand sie unter Beobachtung der Stasi. Von Dezember 1989 bis März 1990 war sie als parteilose Pressesprecherin des Zentralen Runden Tisches in Ost-Berlin aktiv.
Ein „beiläufige Dringlichkeit“
Herrmann hat einige Mühe, die Fülle des Erzählmaterials zu bändigen und ihm gleichzeitig den nötigen Raum zu geben, sich zu entfalten. Dass sich das Porträt nur ansatzweise zum Historienbild öffnet, liegt dabei nicht an der Erzählerin Schubert; vielmehr fügt sich das Archivmaterial nie wirklich in die Gespräche ein. Was dem Film vollständig fehlt, ist das Gespür für die Materialität und Lebendigkeit von Zeugnissen. Seltsam maschinell und geradezu interesselos fährt die Kamera immer wieder über Fotos und Schriftstücke hinweg.
Zudem beißen sich die etwas kalenderblatthaften Aufnahmen der Mecklenburgischen Natur, etwa Äpfel oder Pferdekoppeln, mit Schuberts klarer, lakonischer Sprache, die ein Rezensent mit „beiläufiger Dringlichkeit“ beschrieb. Ihre jüngste Veröffentlichung „Der heutige Tag“ erzählt aus der ersten Person über das Leben mit dem an Demenz erkrankten Mann, und noch einmal formuliert Schubert darin nachdrücklich das Schreiben als existentielle Notwendigkeit. „Mein Schreiben ist eine Rettung für mich. Eine richtige Rettung. Ich muss mich ja am Tag auch mit der Verwirrung eines sehr geliebten Menschen auseinandersetzen, mit der Verwirrung, in der er ist. Nicht auseinandersetzen, sondern: das muss ich tragen. Das ist selbstgewählt, dieses Leben, von mir.“