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Filmkritik
Zwei rote Nähte zieren den kahlgeschorenen Schädel von Russell Crowe. In „Sleeping Dogs“ spielt er Roy Freeman, einen ehemaligen Polizisten, der an Alzheimer erkrankt ist. Die Nähte verweisen auf eine recht rustikale Therapie, der er sich unterzieht. Elektrostöße direkt in die Großhirnrinde sollen seine Synapsen wieder in Schwung bringen. Aber zunächst ist die Vergangenheit für ihn ein einziger blinder Fleck. Um den Alltag zu bewältigen, hat er in seiner Wohnung überall Erinnerungszettel angebracht, die es ihm ermöglichen, sich durch sein eigenes Leben zu navigieren.
Diese Zettel sind auch eine gute Übung für die Kriminalgeschichte, in die er sich hineinziehen lässt und die in gewisser Weise seine eigene ist, handelt es sich doch um einen Raubmord, den er einst zusammen mit seinem Partner Jimmy Remis (Tommy Flanagan) bearbeitet hat. Der Mann, der damals für die Tat in den Knast kam, verlangt nun Roy zu sprechen und teilt ihm mit, dass sein Geständnis nicht der Wahrheit entsprochen habe. Warum Roy dem Häftling auf Anhieb glaubt, erschließt sich aus Zuschauerperspektive nicht wirklich; zu diesem Zeitpunkt besitzt Roy schließlich keinerlei Erinnerungen an die damaligen Ermittlungen.
Auf den Spuren des Film noir
Aber sei’s drum - ein paar Logiklöcher lassen sich in den besten Krimis ausfindig machen, wenn man nach ihnen sucht. Jedenfalls stürzt sich Roy bald Hals über Kopf in die letztlich komplett selbstgestellte Aufgabe, den Fall noch einmal neu aufzurollen. Die Ausgangssituation ist durchaus reizvoll. Praktisch alle Personen, mit denen er im Laufe seiner neuerlichen Ermittlungen Kontakt aufnimmt, kennen ihn bereits; für ihn hingegen ist jede Zeugenvernehmung eine Erstbegegnung. Roy stürzt sich anscheinend gerade deshalb Hals über Kopf in die Vergangenheit, weil er keine direkte kognitive Verbindung mehr zu ihr hat. Er bewegt sich durch seine eigene Lebensgeschichte wie durch ein fremdes Land. Erlernt er dadurch möglicherweise auch einen objektiveren Blick?
Sicher nicht ganz zufällig erinnert das erzählerische Konzept an die Film-noir-Tradition. In nicht wenigen düsteren Hollywood-Thrillern der 1940er- und 1950er-Jahre hatten die Helden mit blockierten und unzuverlässigen Erinnerungen zu kämpfen. Passenderweise taucht in „Sleeping Dogs“ auch bald eine femme fatale auf. Zunächst, auch das ein Film-noir-Nachhall, in einer Rückblende. Eine hochintelligente, manipulative Psychologin namens Laura Baines (Karen Gillan) ist in den Fall verstrickt und wickelt die Männer gleich reihenweise um den Finger. Ihr Chef und vermutlicher Geliebter, der Wissenschaftler Dr. Wieder (Marton Csokas), war das Opfer jenes Mordes, in den Roy sich ein zweites Mal verbeißt.
Sündenpfuhl auf Sparflamme
Ist die Büchse der Pandora erst einmal geöffnet, gibt es kein Halten mehr. Rasch tauchen weitere mysteriöse Gestalten aus der Vergangenheit auf: ein naiver Nachwuchswissenschaftler, der sich in Laura verliebt, ein schwer beschädigter, unzurechnungsfähiger Patient von Dr. Wieder und so weiter. Wobei die Verschwörung, die dabei langsam zum Vorschein kommt, seltsam blutleer anmutet. Laura Baines dürfte eine der züchtigsten Femme fatales sein, die in den letzten Jahrzehnten die Leinwand heimgesucht haben; und als sie doch einmal in flagranti beim innerakademischen Liebesspiel erwischt wird, ist es die Filmkamera, die den Blick schamhaft abwendet. Auch die Abgründe, die sich in dem mit irritierend leiser Stimme sprechenden Dr. Wieder angeblich verbergen, bleiben weitgehend Behauptung. Er ist, heißt es, Trauma-Forscher. Nun ja, wer ist das heutzutage nicht?
Für Roy wiederum sind die Erkundungen in diesem Sündenpfuhl auf Sparflamme ohnehin vor allem ein Anlass, sein Alzheimer-bedingtes schriftliches Erinnerungssystem zu erweitern. Bald sind die Wände seiner Wohnung von oben bis unten mit Zetteln bedeckt, die ihm nicht mehr nur das Alltagsleben erleichtern sollen, sondern die immer tiefer in den mehrere Jahre zurückliegenden Mordfall eindringen.
Der offene Russell-Crowe-Schädel
So weit, so einigermaßen schlüssig. In manchen Passagen, vor allem zu Beginn, gelingt es dem Film, wohlige Erinnerungen an Zeiten zu wecken, in denen Filme wie „Sleeping Dogs“ noch regelmäßig auf der großen Leinwand zu sehen waren. Thriller der mittleren Budgetklasse, die weniger auf spektakuläre Actionszenen oder ein skandalträchtiges Thema setzten, als auf Atmosphäre und eine einigermaßen vertrackte Handlung. Sowie, nicht zu vergessen, auf den Charme eines allseits beliebten Hauptdarstellers. Heutzutage zieht aber selbst ein Russell Crowe nicht mehr allzu viele Menschen ins Kino; ein klassisches Star-Vehikel wie „Sleeping Dogs“ wirkt fast wie ein Anachronismus.
Nur: Warum zieht sich Crowe fast die ganze Zeit über eine schluffige Wollmütze über den Kopf und verbirgt die martialisch ausschauenden Nähte auf seiner Kopfhaut? Es passt zu dem auch sonst enttäuschend lauwarmen Film, dass er seine beste, weil wagemutigste Idee, die Experimente am offenen Russell-Crowe-Schädel, alsbald fallen lässt. Gute Film noirs handeln immer auch von dem Riss, der sich zwischen der Hauptfigur und der Welt auftut und für den ein Gedächtnisverlust letztlich nur ein Symptom ist. In „Sleeping Dogs“ hingegen wird Roys Alzheimererkrankung zu schlechter Letzt als rein funktionales Drehbuchmanöver demaskiert, hinter dem ein ziemlich schlicht gedachtes Trauma-Psychogramm zum Vorschein kommt. Anders ausgedrückt: Am Ende sind Hauptfigur und Welt wieder fugendicht miteinander verbunden. Zurück bleibt ein unentschlossener Film, der weder als Genrestück noch als Charakterstudie zu überzeugen vermag.