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Filmkritik
Restaurantküchen, das zeigten jüngst die Serie „The Bear: King of the Kitchen“ oder das Drama „Yes, Chef!“ von Philip Barantini, sind oftmals Schlachtfelder, die Menschen in der Krise vor Augen stellen, die den kleineren oder größeren Katastrophen in Beruf und Privatleben nicht gewachsen sind. Die Küche fungiert hier als gesellschaftlicher Mikrokosmos, in der pars pro toto die unterschiedlichsten Probleme, von der Einwanderung bis zum Ehebruch, behandelt werden.
„La Cocina“ von Alonso Ruizpalacios beruht auf dem Theaterstück „The Kitchen“ (1957) und spielt fast ausschließlich in der Küche, die zu dem Restaurant „The Grill“ am Times Square in New York gehört. Touristen werden hier mit italienischer Pasta oder indischem Chicken Marsala versorgt, ehe sie dann in die Theater streben.
Ohne Papiere einen Job ergattern
In dieser Stube ist die Hölle los; ein turbulentes, lärmerfülltes Durcheinander voller Menschen, die sich anschreien oder durch die Gänge wirbeln, als ginge es um ihr Überleben. Zunächst lernt man Estela (Anna Diaz) kennen, eine junge Frau, die ohne Papiere aus Mexiko eingewandert ist und einen Job sucht. Verwandte haben sie zum „Grill“ geschickt; dort würde ein Bekannter arbeiten, der ihr helfen könne. Durch ein Missverständnis gerät Estela tatsächlich in ein Bewerbungsgespräch und wird sogleich als Aushilfe angestellt.
Doch eigentlich ist dies nicht ihre Geschichte, obwohl der Film immer wieder zu ihr zurückkehrt, ihr Staunen beschreibt und ihre Fortschritte registriert. Im Zentrum von „La Cocina“ steht vielmehr der Chefkoch Pedro (Raúl Briones). Der ist ein temperamentvoller, redegewandter Dickkopf, der in dieser Küche schon einiges erlebt hat und sich deshalb von seinem Vorgesetzten nichts mehr gefallen lässt. Doch mit seinem fiesen Humor und blöden Bemerkungen zieht er Ärger geradezu magisch an, und ausgerechnet jetzt scheint alles über ihm zusammenzubrechen. In der Nacht war er in eine Schlägerei geraten; zudem fehlen in der Kasse 800 Dollar, die ihm angelastet werden. Dann ist da noch seine schwangere Freundin Julia (Rooney Mara), die als Kellnerin arbeitet und über eine Abtreibung nachdenkt.
Ständig unter Strom
Die Kamera zieht einem mit ihren kontrastreichen Schwarz-weiß-Bildern förmlich ins hektische Geschehen hinein. Ständig ist sie in Bewegung und zeigt in der geschäftigen Mittagszeit in minutenlangen Plansequenzen ein kontrolliertes, sorgfältig choreografiertes und zugleich hochspannendes Chaos: Serviererinnen, die von Gästen beschimpft werden oder zu spät kommen, unerfahrene Lehrlinge, geniale Köche und Pedro, dem in einer denkwürdigen Szene der Kragen platzt.
Raúl Briones gibt als Pedro eine bewundernswert energiegeladene Darstellung. Er ist ein guter Koch, der auch unter Stress den Überblick behält. Trotzdem steht er unter Strom und weiß sein Temperament nicht zu zügeln. Vielleicht gibt es auch eine Ahnung, dass er sich in diesem Schnellrestaurant an einem touristischen Hotspot unter Wert verkauft.
Die Kamera von Juan Pablo Ramirez rückt Briones’ ausdrucksstarkes Gesicht immer wieder in den Mittelpunkt. Mit den Themen um illegale Einwanderung, Rassismus und prekäre Arbeitsbedingungen schleicht sich so etwas Realismus in den Film. Doch wenn dann eine kaputte Coca-Cola-Zapfanlage die Küche zentimetertief überschwemmt und der Trubel trotzdem weitergeht, wird die metaphorische Überhöhung des Ganzen deutlich. Dies ist kein Tag wie jeder andere. Trotzdem kommen einem die Figuren mit ihren Sorgen und der Mühsal nahe. Der amerikanische Traum aber bleibt eine Illusion.