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Filmplakat von Schirkoa: In Lies We Trust

Schirkoa: In Lies We Trust

103 min | Animation, Fantasy, Science-Fiction | FSK 16
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SCHIRKOA: IN LIES WE TRUST erzählt von einer dystopischen Welt, in der die Menschen gezwungen sind, Papiertüten über dem Kopf zu tragen, und ein anonymer Bürger zufällig eine Revolution auslöst. Der Film wurde vollständig in Unreal Engine gedreht, einer Technologie, die Echtzeit-Rendering einsetzt, um bei der Produktion Zeit und Ressourcen zu sparen. Diese Technologie ermöglicht den Filmschaffenden eine große Kreativität und Flexibilität und hilft gleichzeitig, den CO2-Fußabdruck drastisch zu reduzieren.

Vorstellungen

3001 Kino
Schanzenstraße 75
20357 Hamburg

Filmkritik

Der US-Autor Thomas Pynchon tritt derart ungern in der Öffentlichkeit auf, dass er sogar sein animiertes Abbild in der Kultserie „Die Simpsons“ mit einer braunen Papiertüte über dem Kopf zeichnen ließ. Und als der Schauspieler Shia LaBeouf auf dem roten Teppich der Berlinale 2013 eine Papiertüte mit der Aufschrift „I Am Not Famous Anymore“ über seinen Kopf zog, fotografierte das Modemagazin „Harper’s Bazaar“ wenig später Branchen-Größen wie Diane von Fürstenberg mit der gleichen Kopfbedeckung. Die vermeintlich gewaltige Distanz zwischen Anonymität und Weltprominenz implodiert mit spielerischer Beiläufigkeit. Auch der Animationsfilm „Schirkoa: In Lies We Trust“ des indischen Regisseurs Ishan Shukla kleidet seine Figuren in Papiertüten. In einer dystopischen Welt werden die Menschen zur universellen Anonymität genötigt.

Dabei geht es dem Film überraschenderweise nicht darum, eine Metapher für virtuelle Räume zu entwerfen. Stattdessen zeigt er eine klassische Dystopie im Stile von George Orwells „1984“. Ein düsterer, fremdenfeindlicher Polizei- und Propaganda-Staat namens Schirkoa wird von Unruhen heimgesucht. Gerüchte über gefährliche Anomalien und ein fernes Land ohne Verhüllungszwang führen zu Protesten, die gewaltsam niedergeschlagen werden. Eine Wahl steht bevor, ausgerechnet der bislang unauffällige Büroarbeiter mit der Kennnummer 197A könnte Ratsmitglied werden. Doch er verliert bald das Vertrauen in die bestehende Ordnung, und eine mysteriöse Fremde mit befreitem Antlitz lockt ihn in den Untergrund. Auch seine Partnerin 242B träumt von einem besseren Leben jenseits der Stadtmauern.

Soziale Konformität wird forciert

Hinter den vielen Masken des Films verbirgt sich allerlei Weltkino-Prominenz. Wobei die Stimmen von etwa Gaspar Noé, Asia Argento oder Lav Diaz kaum auffallen und eher das Werbematerial als den Film bereichern. Das ist typisch für „Schirkoa“ – immerzu überragen die Ideen des Regisseurs ihre Konkretisierung. Die von Shukla entworfene Dystopie entkommt nie ganz den Konventionen und Fallstricken des Genres. Seine Konzeption einer Welt, in der soziale Konformität mit Exekutivgewalt forciert wird, hat etwas anrührend Naives. Eine Gegenwart voll von digitalen Avataren beweist, wie unmittelbar Masken und Gesichter heute schon miteinander verschmolzen sind.

Der Film präsentiert konsequenterweise zwei Gegenwelten zum finsteren Schirkoa: Einerseits die hedonistische Individualitäts-Orgie Konthaqa, in der 197A das Geschlecht wechselt und zur Erlöserfigur wird. Andererseits das spirituell-religiöse Heghov, in seiner Weisheit erstarrt wie in Bernstein. Es zählt zu den gängigen Erzählmustern der Anti-Utopie, auch politische Gegenmächte schlussendlich als totalitär zu entlarven. Wirklich greifbar wird ihr Scheitern hier allerdings nie. Auch eine permissive Gesellschaft kann Zwänge hervorbringen, auch vermeintlich Erleuchtete können unterwerfen, aber das wird eher behauptet als gezeigt. So gewinnt der Film mit ständig neuen Figuren und Schauplätzen nicht unbedingt an Komplexität, sondern verliert nur an Ausdrucksstärke.

In der Regel sind die klarsten Dystopien auch die langlebigsten, sie dienen als Schablone, die an die Gegenwart gelegt werden kann. „Schirkoa“ verliert sich stattdessen in einer konfusen und letztlich zirkulären Erzählung, die mit defätistischem Gestus jede Veränderung zurück in den Status quo überführt. Gerade das Ende wirkt so seltsam mild und genügsam, dass man sich fragt, wofür die lange Reise angetreten wurde.

Das Medium ist die Ideologie

Interessanter als die Handlung sind die Brüche in der Logik des Mediums. Nahezu jedes visuelle Element der Welt wird mit 3D-Animationen dargestellt, lediglich für Propaganda-Sendungen im Fernsehen werden klassische Zeichentrickanimationen verwendet. Zweidimensionale Berichterstattung in einer dreidimensionalen Welt. Das Medium ist nicht nur die Message, sondern gleich die Ideologie.

Ein Denkangebot des Films, das man annehmen sollte. „Schirkoa“ wurde mithilfe der Unreal-Engine animiert, der aktuell populärsten Videospiel-Engine der Welt. Was bei Erscheinen des ursprünglichen Kurzfilms im Jahr 2016 noch eine interessante technische Spielerei gewesen sein mag, ist heute längst Industrie-Standard. Selbst teure Produktionen wie die „Star Wars“-Serie „The Mandalorian“ entstehen zum Teil mit der gleichen Software. Die Videospielkritik hat in den letzten Jahren immer wieder eine visuelle Gleichförmigkeit der so entworfenen Spiele beklagt. Eine Ähnlichkeit zwischen dem dystopischen Erfolgs-Game „Stray“ aus dem Jahr 2022 und „Schirkoa: In Lies We Trust“ etwa lässt sich schwer von der Hand weisen. So ist der Film sicher auch ein Ausdruck einer potenziellen Anonymisierung audiovisueller Medien. Wer weiß, ob nicht bald allerorts die Unreal-Engine-Tüte über alle möglichen Story-Gesichter gezogen wird. Erzählt hier nicht eine konformistische Ästhetik von der Selbstentfaltung?

Auch die angewandte Kombination von 2D- und 3D-Elementen scheint sich gerade als neuer Standard durchzusetzen. Filme wie „Spider-Man: Across the Spider-Verse“, „Der gestiefelte Kater: Der letzte Wunsch“ oder „Die Mitchells gegen die Maschinen“ waren mit der hybriden Form überaus erfolgreich. Pierre Perifel, der Regisseur von „Die Gangster Gang“ argumentierte in einem Gespräch mit der Entertainment-Website „Polygon“: „Wenn du etwas Stilisiertes schaffen willst, kämpfst du im Grunde gegen den Computer. Weil der Computer dir etwas Perfektes geben will.“

Ausbruchsbewegungen verlaufen sich

„Schirkoa: In Lies We Trust“ zeigt, wie schnell dieser Kampf scheitert. Dramaturgische und ästhetische Ausbruchsbewegungen verlaufen sich, weil ihre Mittel ohne Ziel eingesetzt werden. Was ist anzufangen mit einer Metapher, die keine Entsprechung in der Welt findet? Selbstentfaltung wird heutzutage schließlich eher eingefordert als bekämpft, Individualität ist nicht inhärent widerständig, sondern eine wertvolle Ware. Identität ist ein „Unique Selling Point“. Angesichts einer komplexen Gegenwart könnte die Klarheit von Dystopien fast utopisch wirken.

Erschienen auf filmdienst.deSchirkoa: In Lies We TrustVon: Lucas Barwenczik (17.10.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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