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Filmkritik

Manchmal kann ein einziger Anruf Existenzen zerstören oder zumindest ein Ego. Vor allem, wenn letzteres so ausgeprägt ist wie das des Dirigenten François Dumar (Pierre Arditi). Doch der Reihe nach: Zunächst ärgert sich der Ü-70-Jährige, als ihm alle vor seiner Orchesterprobe der 9. Sinfonie von Beethoven überschwänglich gratulieren. Denn das Lob gilt nicht ihm, sondern seinem Sohn. Denis Amar (Yvan Attal) ist auch Dirigent, hat gerade einen prestigeträchtigen Musikpreis gewonnen; und alle nehmen an, dass sein Erzeuger mächtig stolz auf ihn ist. Doch bei François überwiegt offenbar ein Gefühl des Neids. Als er plötzlich einen Anruf erhält, bei dem er erfährt, dass er Chefdirigent der Mailänder Scala werden soll, kann er sein Glück kaum fassen. Ein Lebenstraum kommt für ihn in Erfüllung, und das auch noch an seinem Geburtstag. Prompt verkündet er seiner gesamten Familie triumphal seine Ernennung. Der einzige, der sich nicht besonders zu freuen scheint, ist Denis.

Eine folgenschwere Verwechslung

Man merkt, dass zwischen Vater und Sohn einiges im Argen liegt. Schon der Verleihung des Musikpreises an Denis war der Vater demonstrativ ferngeblieben. François und sein Sohn können offenbar nicht miteinander reden. Manchmal erfolgt die Kommunikation über Dritte.

Das erweist sich als besonders gravierend, als ein folgenschweres Missverständnis aufgeklärt wird: Nicht François soll den Posten an der Scala antreten, sondern Denis. Die Sekretärin hatte sich geirrt und den falschen Dumar angerufen. Wie soll Denis nun dem voller Vorfreude und neu gewonnenem Selbstvertrauen agierenden Senior verklickern, dass alles nur eine Verwechslung war?

„Maestro(s)“ von Regisseur Bruno Chiche ist in einem musikalischen Milieu angesiedelt, in dem nicht nur die Stücke von Beethoven, Mozart oder Rachmaninow von dem Streben nach höchster Qualität zeugen. Es geht auch um Posten, Titel und das dazugehörige Ansehen. Mit ihnen steigt man in der wahren und gefühlten Hierarchie auf – der klassische Musikbetrieb ist auch ein Business der Eitelkeiten. Im Falle der Dumars geht es zudem darum, sich abzugrenzen oder sich einen Vornamen zu verdienen. Dabei merkt man von Anfang an, dass Denis feierliche Anlässe unangenehm sind. Er will sich lieber auf seine Arbeit und seine Familie konzentrieren. Zu seiner Ex-Frau Jeanne (Pascale Arbillot), die auch seine Agentin ist, hat er nach wie vor ein gutes Verhältnis, nicht zuletzt wegen des gemeinsamen Sohnes Mathieu. François dagegen steht liebend gern im Mittelpunkt und misst Titeln und Preisen viel Bedeutung bei.

Kollision zweier sehr unterschiedlicher Männer

So zeigt der Film abwechselnd François und Denis bei der Arbeit und in ihren vier Wänden. François ist ein autoritärer und aufbrausender Dirigent der alten Schule, der bei Proben die Fehler gern bei anderen sucht. Denis dagegen sucht den Dialog mit seinen Musikern, und auch als Vater ist er sanfter und gefühlsbetonter. Seine Wohnung ist geräumig, aber nicht protzig. François wiederum wohnt mit seiner Frau Hélène (Miou-Miou), Denis’ Mutter, in einem zweistöckigen Penthouse mit allerlei Artefakten und luxuriöser, wenn auch geschmackvoller Einrichtung. Trotz aller zur Schau gestellten Unterschiede zwischen den beiden Protagonisten erfährt der Ältere jedoch eine Rehabilitierung, nachdem es bei der Offenbarung der Wahrheit zu einem unvermeidlichen Clash zwischen beiden kommt. Denis wiederum muss sich eingestehen, dass Konfliktscheu ihn nicht weiterbringt, auch nicht in seiner Beziehung zu seiner Geliebten Virginie (Caroline Anglade).

Dass das filmische Vater-Sohn-Duell nicht zu klischeehaft gerät, verdankt der Film nicht zuletzt seinem hervorragenden Darsteller-Duo. Altstar Pierre Arditi gibt den François selbstgefällig und uneinsichtig, lässt aber auch die Unsicherheit seiner Figur hervortreten. Auch die Liebe François’ zu seiner Frau transportiert Arditi neben seinen mitunter großspurigen Worten mit Blicken, Lächeln und Gesten, die eine tiefe Vertrautheit des Paars offenbaren. Und man freut sich, dass Miou-Miou als charakterlich ausgeglichenere bessere Hälfte Hélène hier wieder in einem Film zu sehen ist. Yvan Attal hingegen, der nach einigen Abstechern ins Regiefach hier wieder eine Hauptrolle spielt, stattet seinen Denis mit Sanftheit, Sensibilität, aber auch Eigensinn aus. Seine Figur wird durch zwei Frauen wieder ins Gleichgewicht gebracht: die Ex und die jetzige Geliebte. Dabei überzeugt Caroline Anglade in der Rolle einer Musikerin mit extremer Schwerhörigkeit, einer Behinderung, die man im Kino nicht oft erlebt.

Kontrolle und Erfüllung

Das Dirigentendasein steht auch für das Lenken der eigenen Existenz, für Kontrolle und Erfüllung, und die ist am Pult schneller zu erreichen als im wahren Leben. Schließlich entwickeln sich die Figuren zwischen vorhersehbaren, aber nachvollziehbaren Konflikten auf ein versöhnliches Ende zu. Das mitreißende Finale erfreut dann auf musikalischer wie auf emotionaler Ebene und entlässt das Publikum auf der Leinwand und im Kinosessel in ein wohliges Gefühl der Harmonie.

Erschienen auf filmdienst.deScalaVon: Kira Taszman (24.6.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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