- RegieLena Leonhardt
- ProduktionsländerDeutschland
- Dauer101 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- AltersfreigabeFSK 16
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Delfine schwimmen neben dem Boot her, springen zum fröhlichen Gruß aus dem Wasser und begleiten die Kapitänin für einige Minuten auf ihrem Weg nach Panama. Doch Jonna kann sich nur bedingt über diesen Augenblick freuen, denn sie hat ihr Handy unter Deck liegen lassen. Darf sie Momente wie diesen einfach genießen, oder muss sie Content erzeugen? Diese Frage kommt immer wieder auf im Dokumentarfilm der deutschen Filmemacherin Lena Leonhardt. In „Roamers – Follow Your Likes“ porträtiert sie vier Reise-Influencer, um hinter die auf Hochglanz polierten Social-Media-Kanäle zu schauen und zu verstehen, wo die Person aufhört und die Inszenierung anfängt.
Die Deutsche Jonna verabschiedete sich bewusst aus ihrem Märchenbuchleben – große Liebe, guter Job, sicheres Auskommen – und hält sogar daran fest, als ihr Ehemann den Schritt wider Erwarten nicht mitgehen will. Der Immobilienmakler Matt will nie wieder angestellt arbeiten, tingelt nur mit Handgepäck durch die Welt und führt von überall aus seine eigene Firma. Der Palästinenser Nuseir kündigte seinen Tech-Job und stellte sich selbst vor die Herausforderung, ein Jahr lang jeden Tag ein Video von sich zu veröffentlichen. Das argentinische Paar Kim und Paolo lernte sich bei einem Softwareunternehmen kennen, kündigte gemeinsam und dreht seither überall auf der Welt Amateur-Pornos und vermarktet diese online.
Auch das Influencer-Dasein ist ein Job
Digitale Nomaden nennen sie sich selbst, das klingt nach spiritueller Selbstfindung, uneingeschränkter Freiheit, dem gelebten Traum jenseits des traditionellen Nine-to-Five-Jobs – und impliziert natürlich auch immer, dass alle, die vom heimischen Sofa mitfiebern, ein ähnlich aufregendes Leben haben könnten, wenn sie sich nur trauten. Dass auch diese Dauer-Selbstinszenierung ziemlich stressig sein kann, wird schnell deutlich, das Influencer-Dasein ist eben auch nur ein Job, wenn auch kein geregelter. Zum Glück setzt Leonhardt bei dieser Feststellung nicht ab, um eine pauschale Kritik an den Sozialen Medien zu üben. Vielmehr nimmt sie diesen Geschäftszweig als Ausgangspunkt ihrer Beobachtungen und diese gehen beinahe unbemerkt tiefer und tiefer. Die Stärke des Films ist Leonhardts konsequent zurückhaltende Perspektive, die vor allem im Kontrast zu den hyperaktiven Protagonisten auch von einer gewissen Beharrlichkeit und Geduld zeugt.
Sie scheint durch ihre konstante Präsenz unbemerkt deren Vertrauen zu gewinnen und fängt auch Momente ein, die nicht recht zu den regenbogenfarbenen Social-Media-Welten passen wollen. Allen vieren kommt ab einem gewissen Punkt immer wieder das Sendungsbewusstsein abhanden, weil sie vergessen, dass eine Kamera auf sie gerichtet ist, die nicht ihre eigene ist. Etwa wenn Matt in einem anonymen Hotelzimmer sitzt, mit einer Kollegin via Telefon einen Podcast aufnimmt und übertrieben fröhlich behauptet, er säße wie sie am Strand.
Nuseirs Frau Alyne, selbst auch Social-Media-Star, sinniert darüber, was die beiden verbindet: ihre Effizienz. Kaffeetrinken oder Freunde treffen, sei für beide die Hölle, denn damit vertrödle man einen Großteil der eigenen Zeit. Dass sie sich ihre eigene Arbeitsmühle geschaffen haben, in der die Selbstinszenierung zum Selbstzweck geworden ist, scheint sie nicht zu sehen oder sehen zu wollen. Wenn dann jedoch dem Kamera-Assistenten kurz nach der Veröffentlichung eines Videos ein viel besserer Titel einfällt, fällt die Fassade kurz. Nuseirs Gesicht durchläuft innerhalb von Sekunden die erschrockene Enttäuschung darüber, dass er nicht selbst darauf gekommen ist und sich möglicherweise Konkurrenz im eigenen Team herangezogen hat.
Vom Traum der Freiheit zurück auf den Boden der Tatsachen
Leonhardt lässt solche Momente gnadenlos für sich stehen, greift nie kommentierend ein. Damit fangen die vorgeschobene Souveränität und Überheblichkeit der Protagonisten schnell an zu wackeln, werden zum Filter einer viel tiefer liegenden Tragik. In gewisser Weise werden sie letztendlich alle vom Traum der Freiheit und der Selbstbestimmung auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und der heißt ganz profan: Geld – der Unterhalt für das Boot erweist sich als kostspieliger als gedacht, die Gunst der Follower ist auch bei täglichen Videos nicht dauerhaft gegeben und wenn ein Fan Kim und Paolo mitten im Porno-Live-Stream ein Trinkgeld zuweist, stöhnen die beiden auch gerne ein „Danke“ in die Kamera. Die beiden müssen bei einem Heimaturlaub feststellen, dass sich die Welt ihrer Familien auch ohne sie weitergedreht hat.
Auch Jonna hat offensichtlich doch mehr daran zu knabbern, dass sie ihr altes Leben zurückgelassen hat. Was, wenn ein großer Traum unerfüllt bleiben müsse, um nicht zu verschwinden und Leere zu hinterlassen, fragt ihre Mutter mal per SMS. Jonna ist verletzt, hat aber auch keine Antwort auf diese Provokation.