Cast
Vorstellungen
Filmkritik
Laura (Mary Elizabeth Winstead) kann’s nicht lassen. Sie hat es nach ganz oben geschafft, übernachtet an Bord eines Privatjets, der sie zu einem der exklusivsten Treffen der weltweiten Geschäftselite führt. Und doch muss sie, als sie sich für die Ankunft frisch macht, die im Flieger ausgelegte Gesichtslotion einstecken. Dass die oberen ein Prozent den Hals nicht vollkriegen, ist wenig überraschend. Aber der Film von Galder Gaztelu-Urrutia kann nicht umhin, es hier noch einmal in Großbuchstaben festzuhalten: Die Reichen kriegen den Hals nicht voll.
Damit spinnt der Regisseur das weiter, was sich bereits sein erster Spielfilm, die Netflix-Produktion „Der Schacht“ (2019), als garstiges Sozialexperiment erdachte: Die Oberen fressen so viel, dass schon ein bisschen weiter unten rein gar nichts mehr übrig bleibt.
„Rich Flu“ beschränkt sich aber eben nicht auf ein metaphorisch-dystopisches Minimal-Setting, sondern wagt sich hinaus in eine nicht minder dystopische Kollaps-Vision der „echten“ Welt. Die erste Version dieser Welt ist ironischerweise ein Film-Pitch. Streamingdienst-Chefin Laura reagiert wie bei allen anderen Pitches, die auf ihrer Agenda stehen: mit gespielter Begeisterung. Wirkliches Interesse hat sie an den vorgestellten Ideen aber ebenso wenig wie am Geburtstag der eigenen Tochter, an den sie ihr Mann Tony (Rafe Spall) erinnert, indem er sich selbst in das Meeting einschleicht. Laura macht Karriere. Dass die Welt, die sie dafür umjettet, allmählich unter ihren High-Heels wegbröckelt, bekommt sie erst einmal gar nicht mit.
Über Nacht die Philanthropie für sich entdeckt
Die ersten Anzeichen sind vergleichsweise subtil: die Zähne der reichen Männer, für die Laura Filmproduktionen in Auftrag gibt, strahlen ein bisschen zu weiß, der Papst verstirbt so plötzlich wie unerwartet, und Lauras neuer Arbeitgeber, Sebastian Snail (Timothy Spall), der wohlhabendste Mensch der Welt, entdeckt über Nacht die Philanthropie für sich. Noch ist die Flüchtlingsinsel Lampedusa, in die Snail plötzlich Millionen investieren möchte, ein zynischer Talking Point im Gespräch mit dem superreichen chinesischen Kollegen, den der Milliardär ebenso wie Laura angeheuert hat, um sein Vermögen für diverse wohltätige Zwecke zu spenden. Doch schon der nächste Flug, den Laura unternimmt, findet nicht mehr im Privatjet, sondern in einem von diversen Milliardären gecharterten Militärhubschrauber statt. Schampus gibt es auch nicht mehr, stattdessen zerfleischen die panischen Superreichen einander buchstäblich die Gesichter. Eine Epidemie geht um, sie tötet die Reichen und die Weltordnung mit ihnen.
Die in Hysterie kollabierende Welt macht dabei nur den ersten Teil des Films aus. Während alle versuchen, ihren Reichtum abzustoßen (auch Laura versucht ihr Vermögen dem persönlichen Assistenten unterzujubeln), und diejenigen, die es nicht schaffen, mit weiß strahlenden Zähnen den Tod finden, findet Laura zurück zu ihrer Familie. Die Tochter, für die sie nie da war, und Tony, der Mann, dem sie wenige Stunden zuvor noch ihre Scheidungsanwälte auf den Hals hetzen wollte, sind nun die letzte Rettung, die Familie ist, wie im Katastrophenfilm üblich, das letzte Bollwerk der Menschlichkeit. Besonders, weil Lauras Mutter (Lorraine Bracco) längst als antikapitalistische Aussteigerin in Katalonien lebt. Aber auch das Refugium der Kommune bleibt der Familie nur so lange, bis die ersten im Dorf mitbekommen, dass Laura wohlhabend und damit potenziell „ansteckend“ ist.
Mit den Yachten über Lampedusa nach Afrika
„Rich Flu“ will das Spektakel des Katastrophenfilms aber ebenso wenig wie die Komplexität. Das Weltbild soll auf dem Kopf stehen, die Rechnung denen gestellt werden, die bisher alles bezahlen konnten. Der beste Ort für die bitter-sarkastische Harke ist wieder einmal Lampedusa. Dorthin treibt es die reichen Flüchtlinge, die in Europa verfolgt werden und nun mit ihren Yachten das Mittelmeer in Richtung Afrika durchqueren. Es ist das zentrale Bild in „Rich Flu“. So clever wie Gaztelu-Urrutia sich das vorstellt, ist die Mittelmeerreise unter „verkehrten“ Vorzeichen jedoch nicht.
Dennoch reizt der Film den farbverkehrten Leidensweg der einst reichen Flüchtlinge bis zum bitteren Ende aus. Die obszöne Opulenz des Reichtums wird eingetauscht gegen die Flüchtlingscamp-Erfahrung: Zelte, Flutlichter, Drahtzäune, und auch Menschenmengen, Gewaltverbrechen, Vergewaltigungen. Die Welt ist, auch farbverkehrt und vertikal gespiegelt, der gleiche von Gier und Hass zerfressene Ort, den bereits die allegorische Vertikale in „Der Schacht“ beschrieb. Viel weiter kommt Gaztelu-Urrutia weder intellektuell noch ästhetisch. „Rich Flu“ reitet auf dem gekippten Weltbild herum, bis es genug Komplexität für das Fazit verloren hat: Die Reichen konnten’s einfach nicht lassen.