Vorstellungen
Filmkritik
Arrangierte Ehen können glücklich sein. Mit dieser empirisch durchaus begründbaren Hoffnung spielt die deutsche Regisseurin Mareike Engelhardt in ihrem sorgfältig recherchierten, aber bis zur Unerträglichkeit düsteren Debütfilm „Rabia“. In einer Schlüsselszene treffen Mann und Frau aufeinander, als vielleicht doch noch alles gut werden könnte. Oder zumindest besser als befürchtet.
Die junge Krankenschwester Jessica (Megan Northam) aus Paris heißt jetzt Rabia, was sowohl „Zorn“ als auch „Garten“ oder „die vierte Tochter“ bedeuten kann, und sitzt 2014 im syrischen Raqqa in einer Art Sammellager für künftige IS-Bräute erstmals jenem Mann gegenüber, dem sie möglichst viele Kinder gebären soll. Der Kämpfer (Andranic Manet) sieht sie aus wasserblauen Augen an und scheint die Gebote nicht allzu streng zu nehmen, als er sie freundlich bittet, den Schleier abzulegen. Sie mag ihn auf Anhieb, das sieht man, und verlangt, mit ihm an der Front kämpfen zu dürfen. Statt einer Antwort malt er ihr ein behagliches Leben in einem Häuschen mit Gemüsegarten aus, „wenn das alles vorbei ist“. Sie sagen Ja zueinander. Gibt es doch ein richtiges Leben im falschen?
Nichts löst ein Umdenken aus
Seinen Vergewaltigungsversuch nur Sekunden später kann Rabia noch abwehren, und auch dieser Ehe wird sie entkommen. Doch ihrem eigentlichen Gefängnis kann sie nicht entfliehen: dem ideologischen Kerker, den sie sich selbst errichtet hat und dessen unerbittlichste Wächterin Rabia selbst ist. Darin gibt es keine Alternative zur absoluten Unterwerfung unter die Religion. Das erspare ihr, zu zweifeln, sagt sie einmal. Nichts von dem, was passiert, löst ein Umdenken aus. Auch dann nicht, als sie für die „Beleidigung“ des Kämpfers von der „Madame“ genannten Chefin des Hauses (Lubna Azabal) zu Peitschenhieben und Kerkerhaft verurteilt wird. Rabia rebelliert nicht, sie wird nur noch radikaler. Und steigt dadurch zur rechten Hand von Madame auf. Dafür verrät sie sogar ihre Freundin Laïla (Natacha Krief).
Lubna Azabal spielt die Monstrosität der nach einem realen Vorbild gestalteten Madame zwischen vergifteter Güte, berechnender Kälte und glühendem Wahn. Die knappen, harten Dialoge stechen wie jene Spritzen, die Rabia ihrer zunehmend kranken Chefin verabreicht, so wie sie es schon in Paris bei den müden Alten tat, die ebenfalls nur noch in ihrer inneren, abgeschotteten Welt existierten.
Es geht um Respekt und Anerkennung
Was „Rabia“ so herausfordernd macht, ist sein aus Gesprächen mit realen IS-Heimkehrerinnen gewonnener Tunnelblick, mit dem auch die Herkunft als Gefängnis nachvollziehbar wird. Anfangs zeigt der Film Jessica und ihre Freundin Laïla bei der Arbeit in einem Krankenhaus. Es ist ein schlecht bezahlter Job ohne Anerkennung und voller Übergriffe. Einmal umklammert eine pflegebedürftige Greisin Jessica, die sich ihr nur mühsam entwindet kann; zuhause wartet ihr offensichtlich beschäftigungsloser Vater. Sie lehne die Arbeit ja nicht ab, sagt sie später in Raqqa in einer Art Vorstellungsgespräch zur Madame, „aber ich will Respekt. Ich will keine Sklavin sein“. Sie wolle „gesehen werden“.
Das scheint angesichts der von ihr bedingungslos akzeptierten Totalverschleierung ebenso grotesk wie die kollektive Versorgung der jungen Frauen mit Reizwäsche, in der sie ihre künftigen Gatten zu empfangen haben. Es wirkt wie die Backstage-Szene einer Casting-Show. Auch dort darf man sich ja fragen, was Frauen bewegt, sich selbst und andere einem solchen Diktat zu unterwerfen. So richtet „Rabia“, ohne zu relativieren, seinen Scheinwerfer immer wieder auch auf die westliche Ökonomie des Sehens und Verschleierns.
Immer tiefer ins Verderben
Die Richtung, die der Film nimmt, ist deshalb konsequent die nach unten, hinab ins Dunkel: von Jessicas Blick gen Himmel im Gebet im Pariser Dachzimmer, später kichernd im Flugzeug, wo die Freundinnen feststellen, der Sonne noch nie näher gewesen zu sein, bis hinunter ins Schwarz der Folterkammern. Manchmal führt der einzige Ausweg von der grellen, ummauerten Dachterrasse direkt in die Tiefe.
Engelhardt und ihr Co-Autor Samuel Doux lassen in diesem Kammerspiel des Grauens jede Wendung zu nur noch Schlimmerem führen, ohne sich in Vorhersehbarkeiten zu suhlen. Im spärlichen Licht der Räume erforscht die Kamera von Agnès Godard Umrisse und Gesichter mit Licht- und Schattenseiten. Am hellsten ist es noch in jenen Zimmern, in denen die vielen Kinder im Widerschein übergroßer Fernsehschirme islamistische Propagandavideos in Dauerschleife sehen und mit Pistolen spielen.
Megan Northam vermag mit ihrem ausdrucksstarken Gesicht eine Ambivalenz herzustellen, die Kraft und Mut verspricht und zugleich androht, dass von ihr sowohl Rettung wie auch Verderben kommen könne. Die ärgsten Brutalitäten werden nicht gezeigt; sie entfalten ihren Schrecken durch die Spuren, die sie auf den Körpern der Opfer hinterlassen, und im Ausdruck des Erstaunens über die eigene, strafende Macht. Der noch bis in die Nebenrollen prägnant besetzte Film verwandelt sich darüber in eine totalitäre Maschinerie.
Es gäbe kein Bildmaterial, wie es in einem solchen, „Madafa“ genannten Haus ausgesehen habe, sagt die Regisseurin. Manches von dem, was ihr die IS-Rückkehrerinnen später darüber berichteten, sei zu brutal, um glaubwürdig dargestellt werden zu können. Deshalb habe sie vieles abgeschwächt. Laut UN hätten sich seit 2013 mehr als 42.000 Personen aus 110 Ländern dem Islamischen Staat in der irakisch-syrischen Zone angeschlossen. Fast 25.000 Kinder sollen dort geboren worden sein. Rückholversuche, informiert ein Insert, scheiterten nicht nur an den Herkunftsländern, sondern auch an der Weigerung der Mütter, Syrien zu verlassen. So bleibt am Ende vorerst nur ein verdüstertes Quasi-Marienbildnis, mit dem „Rabia“ offenlässt, ob vielleicht nicht doch noch eine letzte Hoffnung besteht.