Kekse und Popcorn für ein großartiges Kinoerlebnis

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Filmplakat von Queer

Queer

Drama, Kurzfilm
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Vorstellungen

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Filmkritik

Am 6. September 1951 erschoss der Schriftsteller William S. Burroughs in Mexiko-Stadt seine Ehefrau. Der spätere Autor des Romans „Naked Lunch“ wollte im schwer angetrunkenen Zustand den Apfelschuss aus Schillers „Wilhelm Tell“ nachstellen. Eine ähnliche Szene findet sich in dem ungewöhnlichen Filmdrama „Queer“, nur dass die Kugel hier einen jungen Mann niederstreckt und der Schütze William Lee heißt.

Der Italiener Luca Guadagnino hat sich in etwas mehr als einem Jahrzehnt den Ruf erworben, ein erstaunlich versatiler Regisseur zu sein. Legendäre Filmstoffe entwickelt er zu intelligenteren Versionen weiter („A Bigger Splash“), er kann sich mit Altmeistern seiner Zunft wie Dario Argento messen, indem er ein Remake frei von plagiatorischen Zügen schafft („Suspiria“). Guadagnino hat zudem mit „Call Me by Your Name“ (2017) und „Bones and All“ (2022) die alte Hitchcock-Regel gekippt, nur mittelmäßige Romanvorlagen würden gute Filme ergeben.

„Queer“ basiert auf der gleichnamigen Novelle, die William S. Burroughs direkt nach dem erwähnten Vorfall in Mexiko schrieb und die autobiografische Züge trägt. Wer die Erzählung gelesen hat, hätte sich kaum vorstellen können, dass diese halluzinierende Story als Filmstoff taugt. Und doch hat Guadagnino es mit filmischen Mitteln geschafft, diese Welt zwischen Rausch und Wirklichkeit auf die große Leinwand zu transportieren. Das zwischen Künstlichkeit und Realismus pendelnde Set-Design, die luzide Fotografie von Sayombhu Mukdeeprom, die von Elektronik über Rock bis hin zu Pop und Indie reichende Musik von Trent Reznor und Atticus Ross und die darstellerischen Leistungen – allen voran der James-Bond-Emeritus Daniel Craig als sehnsüchtiger und dem Alkohol und Heroin verfallener William Lee – schicken das Publikum auf einen Kino-Trip erster Güte.

Als „the ultimative Trip“ wurde einst „2001 - Odyssee im Weltraum“ beworben. Im letzten Filmdrittel lässt Guadagnino seine Geschichte auf ähnlich experimentelle Weise abdriften, wie Kubrick das tat, nur dass der Italiener über ganz andere (digitale) Mittel verfügt, um seine Vision ins Bild zu setzen.

Detailgenau und doch kulissenhaft

„Queer“ beginnt in verhaltenem Rhythmus und einem visuellen Stil, der an Edward Hopper erinnert. Die Straßen, Bars und Hotelzimmer in Mexiko-Stadt werden von der Ausstattung her detailgenau in den 1950er-Jahren verortet und wirken doch kulissenhaft, vergleichbar mit den Sets in Rainer Werner Fassbinders letztem Film „Querelle“ (1982). Wie bei Fassbinder geht es bei Guadagnino vordergründig um schwules Begehren. Der Amerikaner William Lee säuft sich von Club zu Club und durchkämmt die Stadt nach Liebhabern. Der schnelle Sex ist kein Problem, Libido und Geldstrom sind bei Lee in Ordnung, aber der reife Mann in hellen Leinenanzügen, der nicht ohne Fedora-Hut ausgeht, sucht eine tiefere Verbindung – die er bei dem 25 Jahre jüngeren Studenten Eugene Allerton (großartig und bezaubernd: Drew Starkey) unverhofft zu finden glaubt. Der schöne Eugene ist intelligent, unkompliziert und unnahbar zugleich. Mit diesem Zauberwesen kann man sich erstmal nur anfreunden, herumhängen, Tequila trinken; vorsichtig tastet sich Lee an die Frage nach Eugenes sexueller Orientierung heran. Irgendwann schlafen sie miteinander.

Ist Lee jetzt am Ziel seiner Träume? „Alle Lust will Ewigkeit“, schrieb Friedrich Nietzsche. Also: Nein, es gibt nur einen illusionären Fluchtpunkt, kein erreichbares Ziel. Im Hyperraum des Kinos aber vielleicht doch? Im Dschungel von Ecuador wächst eine Pflanze namens Yagé, deren Konsum telepathische Fähigkeiten verleihen soll. Lee träumt davon, sich (in einer geliebten Person) aufzulösen. „I’m not queer, I am disembodied“ – er sei nicht schwul, sondern entkörperlicht. Dieser Satz des Schriftstellers wirkt zunächst kryptisch, am Filmende ist man seiner Bedeutung wesentlich nähergekommen.

Mit dem Südamerika-Trip, zu dem William Eugene überreden kann, weitet sich der Handlungsraum. Irgendwann landet das Paar tatsächlich im ecuadorianischen Regenwald und in der Hütte der rauen Botanikerin Dr. Cotter, sehr lustig gespielt von der göttlichen Lesley Manville. Dann wird der Yagé-Sud getrunken. Der Rest ist Delirium – komisch, wild und trotzdem kühl temperiert. Auch dieser Drogentrip basiert auf den Erinnerungen des Mannes, der neben Jack Kerouac und Allen Ginsberg Mitbegründer der „Beat Generation“ war. Burroughs hatte sich im Südamerika der 1950er-Jahre tatsächlich auf die Suche nach dem halluzinogenen Trank begeben, der später als Ayahuasca identifiziert wurde, ein Sud aus einer Lianenart und dem Kaffeestrauch Psychotria viridis. Neben „Queer“ sind auch der Roman „Junkie“ und Burroughs’ in „The Yage Letters“ zusammengefasste Korrespondenz mit Allen Ginsberg in die Filmhandlung eingeflossen.

Ein Trip zum Du

Eine Reise ins Ich – ein Trip zum Du. „Ein man ein wîp, ein wîp ein man /Tristan Isolt, Isolt Tristan“: Gottfried von Straßburgs berühmter Chiasmus, der bereits in die Titelzeile von „Call Me by Your Name“ einfloss und von der totalen wie illusionären Identifikation mit dem Liebesobjekt kündet, wird in „Queer“ auf geradezu verstörende Weise in einer Einstellung visualisiert, in der ein Körper unter die Haut eines anderen Körpers dringt. Ist das noch erotische Wunscherfüllung oder schon Body-Horror? Inwieweit ist „Queer“ mit Guadagninos vorletztem Film, der Menschenfresser-Lovestory „Bones and All“ verwandt? Der italienische Regisseur scheint an einem Hypertext zu arbeiten, an einem Film aus Filmen.

Das Schöne ist in der gewagten Coda von „Queer“ nicht nur des „Schrecklichen Anfang“ (wie es in Rilkes „Duineser Elegien“ heißt); was Guadagnino zeigt, ist vielmehr schon nicht mehr schön, und es markiert den Anfang vom Ende einer Liebesgeschichte: Eugene verschwindet aus Lees Leben.

Luca Guadagnino und sein fantastisches Ensemble, aus dem auch noch Jason Schwartzman als Lees schwuler Kumpel Joe hervorzuheben ist, nähren mit „Queer“ die Vermutung, dass es bei „Queerness“ um viel mehr geht als sexuelle Präferenzen, nämlich wahrscheinlich ums Ganze.

Eine offizielle Untersuchung des Todes von Mrs. Burroughs kam übrigens zu der Beurteilung, es habe sich um einen Unfall gehandelt. Der morphinsüchtige Schriftsteller musste nur 14 Tage ins Gefängnis und Mexiko im Jahr 1952 verlassen.

Erschienen auf filmdienst.deQueerVon: Jens Hinrichsen (24.10.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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