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Filmplakat von Patagonia

Patagonia

110 min | Drama | FSK 16
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Yuri, ein 20-jähriger Mann, lebt bei seiner Tante in einem kleinen Dorf in den Abruzzen. Auf einem Kindergeburtstag trifft er den Animateur Agostino und ist sofort fasziniert von dessen älterem, selbstbewussten und unabhängigen Wesen. Yuri schließt sich als Assistent Agostino an und reist mit ihm in einem Wohnmobil. Ihr Ziel ist Patagonien, das Land der Freiheit. Während ihrer Reise durch Süditalien entwickelt sich zwischen dem aufopferungsvollen Yuri und dem dominanten Agostino eine Beziehung mit klaren Rollenverteilungen, geprägt von Nähe und Spannungen. Als Agostino in einem Trailer-Park Halt macht, in dem jede Nacht ekstatische Raves gefeiert werden, scheint das Ziel Patagonien plötzlich unerreichbar weit weg zu sein.
Mit brennenden Bildern und einem pulsierenden Soundtrack erzählt der italienische Regisseur Simone Bozzelli in seinem Debütfilm von einer vergessenen Jugend, für die nur ein Leben am Rand der Gesellschaft und in ständiger Bewegung in Frage kommt, um den unbändigen Hunger nach Aufrichtigkeit und Freiheit zu stillen. Getragen von einer kompromisslosen filmischen Vision, von Respekt gegenüber den Figuren und zwei überwältigenden Hauptdarstellern zeigt „Patagonia“ eine ambivalente Liebe als verzehrendes Machtspiel zwischen Zärtlichkeit und Destruktion. Ein raues Roadmovie, das im Wettbewerb von Locarno als Entdeckung gefeiert wurde. Eine aufregende neue Stimme im europäischen Queer Cinema!

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Filmkritik

Der Welpe, den Yuri (Andrea Fuorto) im Tierheim als Geburtstagsgeschenk für seinen Cousin ausgesucht hat, sieht zerrupft und ein wenig abgewetzt aus, als habe er in seinem jungen Hundeleben schon Schlimmes durchgemacht. Vielleicht findet Yuri deshalb sofort Zugang zu dem kleinen Tier, das der Beschenkte nur widerwillig entgegennimmt. Denn als 20-jähriger Mann mit dem reinen Gemüt eines Kindes ist Yuri ähnlich angreifbar. Bei der Geburtstagsfeier wird seine naive Begeisterung für den Animateur Agostino (Augusto Mario Russi) dann auch prompt von diesem bestraft. Der agile rothaarige Mann mit den Piercings und Tattoos führt ihn vor und stachelt die versammelte Kinderschar dazu an, ihn als „Nichtsnutz“ zu verspotten.

Beziehungsdynamik der Abhängigkeit

Das unschuldige Kind und der zwielichtige Clown, der den Unterlegenen mit seinem bald auch sexuellen Spiel aus Verführung, Zärtlichkeit und Bestrafung einspinnt, sind in „Patagonia“ die Figuren in einer von Abhängigkeit, Manipulation und Missbrauch geprägten Beziehungsdynamik. Es ist die „klassische“ Geschichte von Herr und Sklave, Macht und Unterwerfung, die der italienische Filmemacher Simone Bozzelli in einem sehr speziellen Milieu an den Rändern der Gesellschaft verortet.

Wie Alice Rohrwacher und Pietro Marcello erzählt auch Bozzelli in seinem auf 16mm gedrehtem Debüt von Außenseitern abseits des urbanen Lebens – von „fahrendem Volk“. Das ist aber auch schon alles, was ihn mit den Genannten verbindet. An die Stelle von Folklore, Lyrizismus und Magie, von Verwitterung und staubiger Schönheit tritt in „Patagonia“ eine ungleich physischere Form der Erdverbundenheit. Hier schwitzen die Menschen unter der brennenden Sonne so, dass ihnen das Wasser in kleinen Bächen das Gesicht herunterläuft und die Farben brennen. Und auch wenn der Titel einen Mythos aufruft, so ist Bozzelli doch auf unmittelbare und direkte Weise an einer Beschreibung und queeren Perspektivierung von Gegenwart interessiert.

Abenteuerlust und Anarchie

„Patagonia“ nimmt seinen Anfang in einem kleinen Dorf in den Abruzzen. Yuri lebt dort in engen Lebensverhältnissen bei einer überfürsorglichen Tante, die mit dem Handtuch neben der Wanne steht, wenn er sich badet, und ihn mit Eiscreme tröstet. Als Agostino ihm anbietet, ihn als Assistenten zu beschäftigen, packt er kurzentschlossen seinen Rucksack und schließt sich ihm an. Der genderfluide „Ago“ verströmt eine Aura von Abenteuerlust und Anarchie, sein Reich ist ein Wohnwagen, mit dem er mit seiner Clown-Nummer von Auftritt zu Auftritt durch den Süden des Landes zieht. Er lebt von der Hand in den Mund, gibt sich unabhängig und frei. Bald ist das Ziel Patagonien.

Auf dem Weg machen sie aber erst mal Halt in einem Trailerpark, der eine Anlaufstelle für Späthippies, Junkies, Gammler und Raver ist. Eigentlich soll es ein kurzer Aufenthalt werden, aber für Ago gibt es immer einen Grund, ein paar Tage länger zu bleiben und die Reise aufzuschieben – seine Pflichten als Vater eines kleinen Sohnes, ein besser bezahlter Job. Und ist nicht dieser Ort in der von der Sonne ausgebleichten Landschaft, an dem man bis in den hellen Tag hinein tanzt, im goldenen Paillettenkleid ekstatisch Feuer spuckt und das Begehren nicht an Regeln gebunden ist, nicht schon in Wahrheit Patagonien, das Land des Feuers und der grenzenlosen Freiheit? Nicht für Yuri. Er fühlt sich fremd und wird von Ago zur Kinderbeaufsichtigung abgestellt. Ago wacht eifersüchtig über seinen Umgang mit einem jungen Trailer-Bewohner, erniedrigt ihn, aber da die Missachtung die weitaus größere Strafe ist, wird irgendwann die Demütigung zu seinem Verlangen.

Rohe und verzweifelte Energie

Räudige und struppige Tiere, in Käfigen, an Leinen, ausgebüxt oder treu ihrem Besitzer ergeben, sind in „Patagonia“ ein wiederkehrendes Motiv. Die Metapher dahinter ist wenig subtil, anders als das Spiel der beiden Darsteller, die auch manche Drehbuchkonvention transzendieren. Ihre mal rohe, mal verzweifelte Energie stößt dabei auf einen Raum, der in Stasis und stumpfen Wiederholungen gefangen ist. Eine Art Endpunkt, der sich zunehmend einem postapokalyptischen Ödland anzuverwandeln scheint.

Erschienen auf filmdienst.dePatagoniaVon: Esther Buss (10.8.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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