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Filmkritik
Traumfrauen sind gefährlich. Vage Schemen, Wesen fließender Übergänge, die sich – im Kino wie im träumenden Bewusstsein – schnell entziehen, wenn man ihrer habhaft werden will. Ihr Geheimnis liegt im Verschwinden, dem kostbaren kurzen Augenblick, der jenes flüchtige Bild erzeugt, das die Erinnerung beflügelt und die Sehnsucht treibt – bis es, auf Karton gepresst oder ins Reich der Eindeutigkeit überführt, schnell in Alltäglichkeit erstarrt.
Wahrscheinlich hat sich William Thacker, ein schüchterner, etwas linkischer Buchhändler aus dem Londoner Stadtteil Notting Hill, darüber nie Gedanken gemacht. In seiner winzigen Bücherstube in der Portobello Road verkehren nur Menschen mit schmalem Portemonnaie, die einen Reiseführer auch mal unbezahlt mitgehen lassen. Bis eine junge Frau mit Sonnenbrille in seinen Regalen stöbert, die sogar ein Kinomuffel wie er erkennt: Anna Scott, eine aus der 15-Millionen-Dollar-Gagen-Riege Hollywoods.
Mehr als ein paar unbeholfene Worte bringt er nicht über die Lippen, dann ist der Laden so leer wie Thackers Blick. Aber die Welt ist klein in Notting Hill und das Verhängnis nur eine Straßenecke weit. Ein Glas Orangensaft, der sich über Annas Shirt ergießt, führt sie wieder zusammen. Fünfzig Meter weiter, in Thackers maroder WG, weiß er nicht viel Tiefschürfenderes zu stammeln. An der Tür aber küsst ihn die stille Schöne unvermittelt – und weg ist sie. Tage später erfährt er beiläufig, dass eine Amerikanerin angerufen habe. Mit einem Strauß Blumen rast er ins Hotel, wo Anna gerade Interviews gibt. Thacker erhält zehn Minuten, aber ihr Agent sitzt neben ihr.
Dennoch gelingt es, für den Abend ein Date auszumachen: die Geburtstagefete seiner Schwester. Tage später überredet ihn Anna, die Nacht gemeinsam zu verbringen, doch in ihrem Zimmer wartet eine Überraschung: ihr Freund. Als es sechs Monate später dann endlich doch soweit ist, endet das morgendliche Liebesturteln im Desaster: Die Klatschpresse lauert in Armadastärke vor der Tür. Wieder bleibt Thacker nur die Leere und eine vage Erinnerung, die nicht aus seinem Herz verschwinden will.
Es ist der warmherzige Unterton dieser romantischen Komödie von Roger Michell, der trotz einer verhaltenen Stimmung und seiner gut kaschierten retrospektiven Erzählperspektive nie einen Zweifel am Ausgang aufkommen lässt. Stattdessen erlaubt die Romanze mit Langzeitverzögerung einen erschöpfenden Blick auf die Seelenlage eines sympathisch-unspektakulären Antihelden und gewinnt durch zündende Wortspiele, erhellende Einsichten in den englischen Humor und eine beschwingte Darstellerriege beträchtlich an Weite.
Obwohl als Nachfolger von „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ konzipiert, überrascht der Film durch einen eigenwilligen, fast schlendernden Rhythmus, der sich dem Temperament seiner männlichen Hauptfigur unterordnet und auf eine allzu glatte Publikumsorientierung verzichtet. Hugh Grant spielt den zurückhaltenden Mittdreißiger als gutmütigen, aber auch ein wenig vertrottelten großen Jungen, der viel Rückhalt bei seinen bunt gemischten, lebensfrohen Freunden erfährt. In ihrem Kreis erlebt ihn Anna als bodenständige Verkörperung einer Normalität, die für sie eine magische Anziehungskraft besitzt. Die Lösung der Frage, ob sich ein berühmter Filmstar in einen Nobody verlieben kann, liegt hier begründet, auch wenn Julia Roberts wenig Gelegenheit hat, diese Seiten anklingen zu lassen. Zu sehr erscheint sie als ferne, im Stil von Audrey Hepburn inszenierte Schönheit, die sich bei näherem Augenschein als überversorgte, launische junge Frau entpuppt, die im Blitzlichtgewitter der Kameras bislang wenig Zeit fand, hinter ihren vielen Rollen einen eigenen Charakter zu formen. Der Duktus der märchenhaften Geschichte, die den Reichtum von Beverly Hills zugunsten eines viktorianischen Reihenhauses im Westen von London tauscht, steht einer Vertiefung ihrer Figur ebenso im Weg wie die filmische Orientierung am idealisiert-verliebten Blick auf sie.
Vital und höchst unterhaltsam aber gerät das Leiden an der Sehnsucht durch die vielen Nebenfiguren, angefangen bei Thackers skurrilem Mitwohnfaktotum Spike (Rhys Ifans) bis zur illustren Schar der Freunde, die bevorzugt um einen Tisch versammelt werden. Honeys kleine Geburtstagsfeier mit dem berühmten Gast gestaltet sich zu einer spannenden Verhaltensstudie, die amüsant und voller Tempo ein facettenreiches Bild vom Lebensgefühl des großstädtischen, jungen englischen Mittelstandes entwirft und in knappen Szenen eine zutiefst britische Lebensart skizziert. Am Ende des Abends soll ein Spiel entscheiden, wer das letzte Kuchenstück erhält: derjenige nämlich, der am schwersten an seinem Schicksal trägt. Was dabei an schwarzhumorigem Sarkasmus serviert wird, würde anderswo das Gespräch schnell ersterben lassen. In Notting Hill aber verfügen die Menschen über die Gabe, auch im drastischen Scherz eine Spur Ernsthaftigkeit nicht zu vergessen und bei aller persönlichen Tragik ein deutliches Moment der Selbstrelativierung mitschwingen zu lassen. Auch dies sind fließende Übergänge, deren (Lebens-) Kunst darin besteht, keines ihrer Elemente absolut zu setzen.