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Filmkritik
Niki, eine junge Frau, die von dem späteren Namen und der damit verbundenen Künstlerinnen-Persona Niki de Saint Phalle noch weit entfernt ist, wird für ein Foto-Shooting präpariert. Dass das „Schießen“ für sie selbst einmal große Bedeutung erlangen wird, wenn auch in einem anderen Sinn und mit der eigenen Hand am Abzug, ahnt sie nicht. Das Prinzessinnen-Diadem wird zurechtgerückt, Hände zupfen an ihr, Stimmen aus dem Off dirigieren Posen. Die Kamera verharrt dabei durchgängig auf ihrem zur glatten Oberfläche geschminkten Gesicht; was außerhalb des Bildes passiert, lässt sich nur ahnen. Das ist ein prägnantes Stilmittel, das sich durch den Film „Niki de Saint Phalle“ hindurchzieht. Die Frau wird als Objekt patriarchaler Herrschaft gezeigt und zugleich von innen fühl- und lesbar gemacht.
„Niki de Saint Phalle“, das Regiedebüt der Schauspielerin Céline Sallette, verschreibt sich einer kompromisslosen Nähe zu der Protagonistin. Vor allem in der Inszenierung ihres Beziehungslebens zeigt Salette ein feinfühliges Gespür. Die Reduktion auf einen Trauma-Bewältigungsplot führt aber auch zu einigen Verengungen.
Eine „Terroristin der Kunst“
Der Film ist weniger ein Künstlerinnen-Biopic als das Psychogramm einer Frau „unter Einfluss“. Im Kampf mit den inneren Dämonen findet sie zur Kunst und lernt, diese als Waffe zu begreifen. Inspiriert von Joseph Campbells Buch „Der Heros in tausend Gestalten“ entwirft Sallette diese Lebensgeschichte als feministisch umkodierte Heldinnenreise, die in der Selbstbeschreibung als „Terroristin der Kunst“ zu ihrem Kern vorstößt. Dieser Titel ist annähernd so berühmt wie die „Nanas“ – farbenprächtige voluminöse Frauenplastiken mit überdimensionierten Brüsten und Vulven, die öffentliche Plätze in Paris, Basel, Lissabon und Hannover zu Schauwerten machen.
Im Film ist von den fröhlichen Skulpturen indes nichts zu sehen. „Niki de Saint Phalle“ endet 1956, dem Jahr ihrer ersten „Schießbilder“, die die Künstlerin als Kritik am Patriarchat verstanden wissen wollte. Mit Gips überzogene Objektassemblagen, in die Farbbeutel eingefasst waren, wurden von der Künstlerin öffentlich mit Schusswaffen attackiert, bis sie „bluteten“. Einen Eindruck von diesen Aktionen, die auch Gegenstand experimentell-autobiografischer Filme von Niki de Saint Phalle sind, etwa „Daddy“ (1973), vermittelt der Dokumentarfilm „Niki de Saint Phalle – Wer ist das Monster, Du oder ich?“ (1995) von Peter Schamoni.
Gefangen im männlichen Herrschaftssystem
Zu Beginn des Films ist Niki gerade mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Harry Mathews, aus den USA nach Paris zurückgekehrt. Sie arbeitet als Mannequin und steht als Schauspielerin für Cocteau auf der Bühne, bevor ihr das Leben zunehmend entgleitet. Dass sie die schmutzigen Windeln und Bettlaken mit den Füßen unter den Sessel schiebt, wird von Harry noch mit Kopfschütteln kommentiert. Doch als seine Frau beginnt, Dutzende Messer und andere Werkzeuge unter der Matratze zu horten, schickt er sie in die Psychiatrie. In fragmentarischen Rückblenden entfaltet sich der Hintergrund ihres psychischen Zusammenbruchs. Vom Vater als 11-Jährige sexuell missbraucht, wird Niki bald verhaltensauffällig. Im Museum malt sie die Genitalien einer klassischen Marmorstatue mit rotem Lippenstift an. Von den aufgebrachten Eltern in die Küche verbannt, spaltet sich die Leinwand zum ersten Mal in zwei Hälften. Niki sitzt brütend am Tisch, während auf der anderen Seite des Screens über ihren mentalen Zustand spekuliert wird.
Auch die Psychiatrie, wo sie sich einer quälenden Elektroschock-Behandlung unterziehen muss, enthüllt sich als männliches Herrschaftssystem. Ungläubig zerreißt der behandelnde Arzt einen Brief ihres Vaters, in dem er den Missbrauch einräumt und um Vergebung bittet. Ein erneuter Verrat. In der Klinik findet Niki aber auch den Weg zur Kunst. Weil man ihr zunächst Farbe und Klebstoff verweigert, wird sie erfinderisch und sucht sich ihr Material im Abfall und im Garten zusammen. Es entstehen erste assemblagehafte Malereien auf Pappe – mit der eigenen Spucke.
Tatsächlich bekommt man in „Niki de Saint Phalle“ weder diese noch irgendwelche anderen Kunstwerke je zu Gesicht – und auch nicht die ihrer männlichen Künstlerkollegen aus dem Umfeld des Nouveau Réalisme, in deren unmittelbarer Nachbarschaft sie nach ihrer Entlassung aus der Psychiatrie ein Atelier bezieht; in dem Schweizer Maschinenkünstler Jean Tinguely wird sie bald auch einen neuen Lebenspartner finden. Die Kunst bleibt in „Niki de Saint Phalle“ eine Leerstelle. Stattdessen begibt sich die Kamera auf die Rückseite des Bildes oder nimmt selbst die Subjektive des Kunstwerks ein – sie wird nicht nur angeblickt, sondern blickt ihrerseits zurück. In den Fokus rückt so die künstlerische Praxis selbst: das Zusammentragen von Materialien, das Anrühren von Farbe und Klebstoff, die Kunstbetrachtung sowie das Sprechen über Kunst.
Pfeile gegen den Vater
Das ist ein ambitionierter Ansatz, den Céline Sallette allerdings ein wenig verplätschern lässt. Zum einen, weil das Hantieren mit Puppenköpfen, Plastikblumen, Gips und zertrümmertem Geschirr nie ganz über das Illustrative hinauskommt. Zum anderen, weil sich die künstlerische Praxis ganz auf eine Freud’sche Sublimierungsleistung verkürzt. Ästhetische wie technische Überlegungen werden aus dem Raum der Kunst verbannt, ebenso die gesellschaftliche Auseinandersetzung. Über allem, und zuweilen etwas überdeutlich, schwebt der Vater. Bei der Eröffnung einer Gruppenausstellung fordert Niki de Saint Phalle die Besucher auf, Dartpfeile auf das (nicht sichtbare) Porträt ihres Geliebten zu werfen. Ein Ehepaar winkt dankend ab, bevor ein junger Mann das Kunstwerk voller Emphase mit Pfeilen traktiert. An wen er dabei gedacht habe, will die Künstlerin wissen. Sein Bruder erklärt: „An unseren Vater.“ Auf dem Gesicht der Künstlerin wirbeln die kreativen Gedanken. Es ist die Geburt der Künstlerin Niki de Saint Phalle.